Konzentrationslager Ravensbrück

Stammlager des Konzentrationslagers Ravensbrück

Bezeichnung

Gebiet
Deutschland, Bundesland Brandenburg, Landkreis Oberhavel, Stadt Fürstenberg an der Havel, Ortsteil Ravensbrück

Eröffnung
15.05.1939 durch Verlegung des KZ Lichtenburg

Schließung
Das Lager wurde ab dem 23.04.1945 evakuiert. Die Kranken und das Pflegepersonal blieben im Lager zurück. Befreiung am 30.04.1945 (
Kriegstagebuch der 2. Belorussischen Front)

Deportationen
Am 12.09.1944: 500 Frauen nach KZ Dachau, Oktober 1944 ca. 200 Niederländerinnen nach KZ Dachau; September 1944: 992 nach Dora (KZ Mittelbau-Dora); im Januar 1945: 500 fast ausschließlich Jüdinnen nach Venusberg (KZ Flossenbürg); 1942: im Rahmen der Aktion 14f13 wurden behinderte, kranke und arbeitsunfähige Gefangene nach KZ Auschwitz deportiert.

Häftlinge
Von 1939 bis Ende April 1945 wurden etwa 132.000 weibliche Häftlinge aus über 40 Nationen nach Ravensbrück deportiert.

Geschlecht
Frauen

Einsatz der Häftlinge bei
SS-eigene Gesellschaft für Textil- und Lederverwertung mbH (Texled)

Art der Arbeit
Arbeit in der Schneiderei und Stickerei: Fertigung von Häftlingskleidung für alle KZ, ab 1942 Fertigung, Umänderung und Instandsetzung von Bekleidung für die Waffen-SS

Namensliste der Täter

Arbeitskommandos

Arbeitskommando Meilerei Düsterförde,
Arbeitskommando Meilerei Neuroofen
Arbeitskommando Luft-Muna
Arbeitskommando Dachauer Betriebe GmbH

Arbeitskommando Schreibstube
Arbeitskommando Fürsorgeabteilung
Arbeitskommando SS-Kantine
Arbeitskommando Forstkolonne
Arbeitskommando Effektenkammer
Arbeitskommando Kommandantur (Besoldung)
Arbeitskommando Schanzkommando
Arbeitskommando Klempnerkolonne
Arbeitskommando Tbc-Block

18.05.1939

Am 18.05.1939 erreicht ein Transport mit 867 weiblichen Häftlingen das Frauen Konzentrationslager Ravensbrück. Der Transport kommt aus dem Konzentrationslager Lichtenburg, und hat Lichtenburg am 18.05.1939 verlassen.

21.05.1939

Am 21.05.1939 erreicht ein Transport mit 974 Frauen das Konzentrationslager Ravensbrück. Bei den Frauen handelte es sich um: 388 Zeuginnen Jehowas, 240 Schutzhäftlinge, 114 Polinen, 95 wegen Rasseschande inhaftierte, 16 Deportierte, 2 Schulunghäftlinge, 137 Jüdinen. Der Transport kommt aus dem Konzentrationslager Lichtenburg, und hat Lichtenburg am 21.05.1939 verlassen.

29.06.1939

Am 29.06.1939 erreicht ein Transport mit 440 Romafrauen und Kinder das Frauen Konzentrationslager Ravensbrück in Brandenburg. Der Transport kommt aus Wien-Schwechat, und hat Wien am 26.06.1939 verlassen.
Bericht einer Überlebenden: Wir sind nach Schwechat gebracht worden.
"Da war die Fliegerhalle, und da sind sämtliche Zigeuner von Österreich hingekommen. Uns natürlich auch, ich und meine Schwestern. Mit der SS und der Kriminalpolizei. Dort waren wir. Dort war Stroh drinnen. Da haben wir unterschreiben müssen fürs KZ. Das haben wir nicht gewusst. Uns ist gesagt worden, wir kommen für sechs Wochen zu einer Arbeit. Und dann ist der Zug gekommen, und wir sind nach Ravensbrück gefahren. Drei Tage mit dem Zug unterwegs. '39 im Juni kommen wir in Ravensbrück an. Ich weiß noch ganz genau, es war der 29. Tag. Und die SS, die Aufseherin hat uns mit ihrem Schäferhund abgeholt. Wir haben das KZ gesehen. Ich war jung, 17 Jahre alt. Ich war sprachlos.
Nach der Eingangstortur, bei der die burgenländischen ”Zigeunerinnen” mit ihren Kindern zwei Tage und eine Nacht im Freien verbringen mussten, wurden sie in die schwersten Arbeitskommandos eingeteilt. Infolge der Anwesenheit von Kindern erfuhr die gesamte Gruppe in Ravensbrück mehr Solidarität durch einflussreiche Häftlingsgruppen als die männlichen ”Zi-geuner” in den verschiedenen Konzentrationslagern. Nach den Akten der Opferfürsorge zu schließen, dürften von diesen burgenländischen ”Zigeunerinnen” nur rund 70 überlebt haben. Vor allem Kinder sowie ältere und kranke Frauen starben durch die miserablen Lebens- und Arbeitsbedingungen oder durch die Misshandlungen der SS. Viele wurden nach Auschwitz deportiert und dort ermordet, andere kamen in Außenlagern ums Leben oder fielen den so genannten Todesmärschen bei der Evakuierung des Lagers kurz vor der Befreiung zum Opfer.
Damit befanden sich sechs Wochen nach der Eröffnung des Konzentrationslagers erstmals auch Kinder unter den Häftlingen

22.12.1940

Am 22.12.1940 trifft mit einem Transport vom Bezirksgefängnis St. Pölten kommend die am 15.01.1890 in Austerlitz geborene Streyczek Agnes im KL Ravensbrück ein. Nach der Übernahme ins Lager erhält sie die Häftlingsnummer 5283

24.12.1940

Einige polnische Häftlinge führen für ihre Mithäftlinge das szenische Bild „Die Hirten aus Bethlehem“ auf

14.01.1941

Reichsführer-SS Heinrich Himmler besichtigt das Frauen-Lager. Wie üblich zu solchen Anlässen wurden als Gnadenerweis vier Häftlinge aus dem KZ entlassen, außerdem soll Himmler die Berufsausbildung und Erziehung von asozialen Häftlingen angeordnet haben

28.03.1941

Transport
Am 28.03.1941 trifft mit einem
Transport die am 01.04.1879 in Dessau geborene Schwester des berühmten Ägyptologen Georg Steindorff (nach ihm ist das Ägyptische Museum der Universität Leipzig benannt) Steindorff Lucie aus dem Leipziger Polizeigefängnis Wächterstraße 5 im Konzentrationslager Ravensbrück ein. (Am Morgen des 13. Januar 1941 fanden Hausdurchsuchungen bei den Leipziger Juden statt. Frau Steindorff wohnte zu diesem Zeitpunkt zur Untermiete in der Grassistr. 20. Die Gestapo suchte Geld, das die jüdische Bevölkerung noch bei sich hatte. Bei Frau Steindorff fand man 500 Mark, die sie für ihre Ausreise zurückgelegt hatte. Sie wurde wegen „Devisenvergehens“ verhaftet und man brachte sie in das Polizeigefängnis in die Wächterstraße. Alle Bemühungen ihrer Geschwister in den USA, ihre Schwester nachzuholen, schlugen fehl. Am 28.03.1941 wurde sie in das KZ Ravensbrück deportiert. Am 10.05.1942 wurde Lucie Steindorff mit einem Invalidentransport in die Tötungsanstalt Bernburg gebracht, und am gleichen Tag ermordet.

12.07.1941

Gefangenenstärkemeldung beim Abendappel
4939 weibliche Häftlinge

23.09.1941

Am 23.09.1941 erreicht ein Sondertransport mit 415 ausschließlich Politischen Polinnen, die für Aktivitäten im Widerstand verhaftet worden waren und im Gestapogefängnis Schloss Lublin u. Gefängniss Pawiak in Warschau inhaftiert waren das Konzentrationslager Ravensbrück. Der Transport hat Warschau/Lublin am 23.09.1941 verlassen. Aus diesem Transport wurden nach polnischen Angaben 116 Frauen in der Folgezeit hingerichtet und 66 Frauen ab Ende Juli 1942 von SS-Ärzten im Konzentrationslager als Versuchskaninchen für Menschenversuche mißbraucht. Ungefähr 50 waren von den deutschen Besatzungsbehörden zum Tod verurteilt worden.

02.11.1941

am 02.11.1941 treffen mit einem Transport 38 "Häftlinge" (darunter 13 Polen) vom Konzentrationslager Dachau im Konzentrationslager Ravensbrück ein

19.11.1941

Der SS-Arzt und T4-Gutachter Dr. Friedrich Mennecke trifft erstmals im KZ Ravensbrück ein und beginnt mit der Selektion der von den SS-Ärzten im Lager bereits vorab ausgewählten Häftlinge im Rahmen der Aktion 14f13

05.01.1942

Der SS-Arzt und T4-Gutachter Dr. Friedrich Mennecke trifft im KZ Ravensbrück ein, um bis zum 13.01.1942 seine Selektionen im Rahmen der Aktion 14f13 zu beenden

23.03.1942

Am 23. März 1942 verläßt ein Transport mit 1000 Frauen das Frauenlager des KL Ravensbrück. Ziel und Bestimmungsort ist das KL Auschwitz. Mit diesem ersten Transport aus Ravensbrück sollte in Auschwitz eine Frauenabteilung gebildet werden. Diese "Frauenabteilung, KL Ravensbrück", unterstand in der Anfangsphase der Kommandantur des Frauen-KZ Ravensbrück. Bei den Frauen handelte es sich um deutsche Frauen, die nach den Nazi Bestimmungen als "asoziale" (schwarzer Winkel), kriminelle (grüner Winkel) und einige als politische (roter Winkel) Häftlinge eingestuft worden waren. Von den ursprünglich 1000 Frauen war es der am 7. Februar 1908 in Düsseldorf geborenen und am 16. August 1941 wegen staatsfeindlichen Verhaltens ins Frauen-KZ Ravensbrück eingewiesen Elfriede Martens in der in der Nacht vom 25. auf den 26. März 1942 in der Nähe der Stadt Oppeln gelungen, aus dem Zug zu entkommen. Sie wurde allerdings bereits einige Tage später von der Gestapo in München aufgegriffen. Die anderen 999 Frauen treffen am 26. März 1942 in Auschwitz ein und erhalten die Häftlingsnummern 1 bis 999. Nach der Aufnahme werden sie in die durch eine Mauer vom übrigen Lager abgetrennten Blöcke 1 bis 10 des Stammlagers eingewiesen. Die Frauen sollten für das Frauenlager Auschwitz als "Kapos" und Blockälteste tätig werden. Lagerleiterin wurde die SS-Oberaufseherin Johanna Langefeldt, die ebenfalls ins KZ Auschwitz versetzt wurde.

10.05.1942

Transport
Mit diesem Transport werden "KV Häftlinge" aus dem Konzentrationslager
Ravensbrück in die Tötungsanstalt Bernburg an der Saale (Landes-Heil- und Pflegeanstalt) deportiert. Die Menschen werden am gleichen Tag (10.05.1942) vergast. Eine von Ihnen war:
Steindorff Lucie (Schwester des berühmten Ägyptologen Georg Steindorff (nach ihm ist das Ägyptische Museum der Universität Leipzig benannt)

Transport
Mit diesem
Transport werden 5 weibliche Häftlinge" aus dem Konzentrationslager Ravensbrück ins Konzentrationslager Auschwitz überstellt. Unter den überstellten weiblichen Häftlingen befindet sich auch die Diplom-Ingenieurin für Gartenbau Maria Raczyńska. Ihre Überstellung erfolgt im Zusammenhang der neugegründeten Pflanzenzuchtstation des Leiters der Abteilung Landwirtschaft im KL Auschwitz, SS-Obersturmbannführer Dr. Caesar Joachim. Nach der Übernahme ins Lager erhalten die Übernommenen "Häftlinge" die Häftlingsnummern 7449 - 7453

20.05.1942

Transport
Mit diesem
Transport werden "KV Häftlinge" aus dem Konzentrationslager Ravensbrück in die Tötungsanstalt Bernburg an der Saale (Landes-Heil- und Pflegeanstalt) deportiert. Die Menschen werden am gleichen Tag (20.05.1942) vergast.

08.06.1942

Auf dem Gelände des KZ Ravensbrück, wird auf einem südlich der Lagermauer liegenden Areal, begrenzt durch den Schwedtsee, der Havel und einem ausgedehntem Forstgebiet, in dem auch das Jugend-KZ Uckermark liegt, die ersten von 20 Arbeitsbaracken für die Firma Siemens & Halske errichtet

14.06.1942

Am 14.06.1942 Morgens werden 182 Frauen mit einem Sondertransport ins Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert. Der Transport kommt aus dem 435 km (Luftlinie) entfernten Kladno. Der Transport hat Kladno am 13.06.1942 Abends verlassen. Es handelte sich um Frauen aus dem von den deutschen zerstörten Lidice.
Herzzerreißende Szenen spielten sich beim Abschied im Gymnasium von
Kladno ab, als die Mütter ihre Kindern weggeben mussten. "In der Turnhalle, wo die Kinder versammelt waren, konnten wir sie weinen hören und schreien", schrieb Emilie Rohlová später auf, "es hat nicht geholfen."

30.06.1942

Mit diesem Transport werden 52 männliche "Häftlinge" u. 26 weibliche "Häftlinge" aus dem Konzentrationslager Ravensbrück ins KL Auschwitz überstellt. Nach der Übernahme ins Lager erhalten die übernommenen männlichen "Häftlinge" die Häftlingsnummern 43781 - 43832, die übernommenen weiblichen "Häftlinge" erhalten die Häftlingsnummern 8085 - 8110

02.07.1942

am 02.07.1942 treffen mit einem Transport 10 "Häftlinge" (darunter 7 Polen) vom Konzentrationslager Dachau im Konzentrationslager Ravensbrück ein

08.07.1942

Mit diesem Transport werden 3 weibliche "Häftlinge" aus dem Konzentrationslager Ravensbrück ins KL Auschwitz überstellt. Nach der Übernahme ins Lager erhalten die übernommenen "Häftlinge" die Häftlingsnummern 8510 - 8512

14.07.1942

Mit diesem Transport wird 1 weiblicher "Häftling" aus dem Konzentrationslager Ravensbrück ins KL Auschwitz überstellt. Nach der Übernahme ins Lager erhält der übernommene "Häftling" die Häftlingsnummer 8725

21.08.1942

Die ersten weiblichen Häftlinge beginnen in den Arbeitsbaracken der Firma Siemens & Halske mit der Herstellung von verschiedenen elektrischen Bauteilen für die Rüstungsproduktion.
Täglich werden Anfangs 20 bis 30, im September und Oktober 70 bis 80 und seit Ende November 1942 bis März 1943 bereits 270 bis 290 gefangene Frauen zur Arbeit bei Siemens eingeteilt. (Siehe Bericht der überlebenden Anna Vavak)

10.09.1942

Mit diesem Transport wird 1 weiblicher "Häftling" aus dem Konzentrationslager Ravensbrück ins KL Auschwitz überstellt. Nach der Übernahme ins Lager erhält der übernommene "Häftling" die Häftlingsnummer 19359

24.09.1942

Am 24. September 1942, zum Abendappell, werden die Namen von acht Frauen aufgerufen, darunter Malgorzata Dembowska und Henryka Dembowska aus Warschau. Während Henryka mit den anderen in den "Bunker" gebracht wird, kommt Malgorzata später vom Außenkommando zurück, erfährt von ihrer bevorstehenden Exekution und verabschiedet sich in ihrer letzten Nacht in Gesprächen von den Mithäftlingen in der Baracke. Eine von ihnen berichtet: "Wir beteten mit Malgorzata Sie erinnerte sich an ihr kurzes Leben, an die Arbeit im Untergrund, an das Jahr im Gefängnis, und an die daheimgebliebenen jüngeren Geschwister. Sie opferte sich im Bewußtsein an die Unabhängigkeit des Vaterlandes. Ich erinnere mich an diese Nacht mit Bewunderung für ihre Standhaftigkeit. Vor dem Appell hat sie sich von uns verabschiedet. Eine SS-Frau brachte sie in die Baracke, wo sich ihre Mutter befand. Während des Abendappells beteten wir leise für Malgorzata Wir hörten sechs Schüsse. Bei einem ist sie gefallen.
Nach einigen Tagen fanden Kameradinnen aus der Bekleidungsabteilung einen Zettel mit den Worten: "Wir gehen ruhig in den Tod. Die, die in das Vaterland zurückkehren, werden für uns und für sich arbeiten. Polen soll leben." Eine andere Kameradin erinnert sich: "Als die beiden Dembowskas von uns fortgingen, da hörten wir, bevor die "Graue Minna" angefahren kam, die Frauen im Bunker singen: "Herzlichste Mutter" und "Gott erhalte Polen". Danach gingen sie aus dem Bunker und Janina Borkowska warf einen Zettel hin, auf dem geschrieben stand: Um drei Uhr reichte man uns im Glas weiße Flüssigkeit - wir haben es abgelehnt. Wir sind ruhig, wir unterhalten uns über unsere Familien, jetzt werden wir beten ... andauernd warten wir. Nun ist es geschehen. Wir werden erschossen. Vor einer Weile wurde das Urteil vorgelesen: Zum Tode verurteilt! Wir sind ruhig. Wenn die Sirenen zum Appell heulen, werden wir gehen. betet für uns. Lebewohl. Jetzt werden wir beten."

06.10.1942

Am 06.10.1942 werden auf direkte Weisung des Reichssicherheitshauptamt (RSHA) 600 Häftlinge, darunter 522 Jüdinnen aus dem Konzentrationslager Ravensbrück ins Konzentrationslager Auschwitz überstellt. Der Transport erreicht Auschwitz am 06.10.1942. Die 522 Mädchen und Frauen wurden in einen sog. „Judenblock“ einquartiert. Von den 522 Mädchen und Frauen des Transports haben genau drei die Befreiung erlebt.

17.01.1943

Aufgrund der stetig wachsenden Häftlingszahlen und der damit einhergehenden immer desolater werdenden hygienischen Situation wird im Frauen-Lager eine erste große Entlausungsaktion durchgeführt

03.02.1943

In der Schreibstube des Frauen-KZ Ravensbrück findet eine geheime Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die vor einem Jahr im Rahmen der Aktion 14f13 ermordeten Kommunistinnen statt. Die Teilnehmerinnen der Gedenkfeier werden verraten und mit mehreren Monaten Haft im Zellenbau bestraft

27.02.1943

Entgegen der Genfer Konvention werden 536 weibliche Angehörige der Roten Armee als Kriegsgefangene ins Lager Ravensbrück eingeliefert.

Aussage von Häftlingen:
Die Aufseherin Zieger – gebürtig aus dem Sudetenland – ist außer Rand und Band: Flintenweiber kommen! Eine tolle Sache! Eine wollte einem SS-Mann einen Finger abbeißen während des Transportes durch Fürstenberg! Die Rotarmistinnen marschierten ruhig und diszipliniert in Reih und Glied in das KZ ein. Bei der Aufnahme wurden sie durch die SS besonders schikaniert. Entgegen dem Kontaktverbot gelang es Häftlingen, mit den Frauen und Mädchen der Roten Armee Kontakt aufzunehmen. Es stellte sich heraus, dass sie überwiegend dem weiblichen Sanitätsdienst der Roten Armee angehörten. Es waren also Ärztinnen, Krankenschwestern und Sanitäterinnen, vermutlich waren aber auch Nachrichtenhelferinnen unter ihnen

Frauen und Mädchen in der Roten Armee
Allerdings muss bemerkt werden, Die Rotarmistinnen kämpften unter erheblich schlechteren Bedingungen wie ihre männlichen Kollegen. Die Pflegekräfte waren auch in der vordersten Front. Sie teilten mit den männlichen Kollegen Versorgungsengpässe, Nachschubprobleme, Entbehrungen, miese Arbeitsbedingungen, Schlafmangel, schlechte Witterung, Dreck, Ungeziefer, Angst, Not, Elend. Bei Gefangennahme durften sie nicht auf Gnade hoffen, eher war das Gegenteil der Fall, weil oft genug ihr militärischer Status missachtet wurde. In der Deutschen Wehrmacht war es weit verbreitet, weibliche Kriegsgefangene der Sowjetarmee an Ort und Stelle zu ermorden. Die, die überlebten und auf ihren militärischen Status pochten, also sich weigerten, die Uniform abzulegen, damit sie als Zivilgefangene zur Zwangsarbeit verschickt werden konnten, landeten in der Regel statt im Gefangenenlager im KZ

07.10.1943

am 07.10.1943 werden in einem Transport 20 "Häftlinge" vom Konzentrationslager Ravensbrück zum Konzentrationslager Buchenwald transportiert.

24.12.1943

Nachdem die Häftlinge an diesem Tag nur bis zum Mittag arbeiten mussten, wurden die Blocks der Russinnen und Ukrainerinnen verschlossen, und die Frauen über das gesamte Weihnachtsfest ohne Licht, Luft, Wasser, Strom und Nahrungsmittel gelassen. Angeblich hatte eine von ihnen einen Kohlkopf gestohlen.

02.02.1944

Am 02.02.1944 verläßt ein Transport das Lager Ravensbrück mit Ziel Konzentrationslager Auschwitz.

25.05.1944

Kocwa Eugenia

Nach langer Vorbereitung gelang der Polin Eugenia Kocwa (Häftlings Nu 7401) an diesem Tag die Flucht aus dem Lager Ravensbrück. und sich bis zur Befreiung versteckt halten.
Eugenia Kocwa * 11.11.1907
Krakau + 25.11.1963 Schreiberhau (Szklarska Poręba)
Sie gehörte zu der größten Gruppe im KZ Ravensbrück, den Polinnen. Sie war Stenografin im polnischen Parlament und in einer Presseagentur und im Krakauer Widerstand aktiv. 1941 wurde sie verhaftet und kam nach Ravensbrück. 1944 konnte sie fliehen und sich bis zur Befreiung versteckt halten. Ihre Geschichte „Flucht aus Ravensbrück“, 1949 geschrieben, wurde 1973 auf Deutsch veröffentlicht. Sie schildert darin Hilfe und Unterstützung von anderen, aber auch eisige Ablehnung. Ein Zitat, nachdem ein Pfarrer seine Hilfe verweigerte: Die religiöse Inbrunst, in der ich dreieinhalb Jahre im Gefängnis und im Konzentrationslager gelebt hatte, hatte in mir völlig falsche Vorstellungen über die Verhältnisse in der Welt geformt. Es schien mir unausdenkbar, dass ein katholischer Pfarrer einem Menschen in meiner Lage seine Hilfe versagen konnte. Über ihre Gefühle im Moment der Selbstbefreiung schrieb sie: Ich fühlte mich jedoch keineswegs identisch mit einem Häftling des Konzentrationslagers, der ich noch vor wenigen Augenblicken gewesen war, so als hätte ich mich selbst in dieser seichten Pfütze ertränkt. Nach dem Krieg schrieb sie zahlreiche Artikel über ihre Erlebnisse.

23.06.1944

Am 23.06.1944 erreicht ein Sammeltransport mit Häftlingen aus dem Polizeigefängnis Hannover das Lager Ravensbrück. Der Transport hat Hannover am 22.06.1944 verlassen. Eine der Häftlinge ist Anna-Luise Haaris. Am 12. Dezember 1944 befindet Sie sich im Block 2A. Im Block 2 des alten Lagers waren 1944 Funktionshäftlinge untergebracht, so die Kommunistin und Leiterin der Klempnerkolonne Charlotte Müller, die Haaris aus der Emigrationszeit kannte, und die ehemalige KPD-Reichstagsabgeordnete Helene Overlach.

15.09.1944

am 15.09.1944 werden in einem Transport 300 "Häftlinge" vom Konzentrationslager Ravensbrück zum Konzentrationslager Buchenwald transportiert.

30.09.1944

Am 30.09.1944 erreicht ein Transport mit 77 Häftlingen (Häftlings Nu 73030 – 73800) vom Konzentrationslager Auschwitz kommend das Lager Ravensbrück. Der Transport hat Auschwitz am 30.09.1944 verlassen. Es handelt sich überwiegend um KV Häftlinge (keine Verwendung)

19.11.1944

am 19.11.1944 trifft mit einem Transport 1 "Häftling" vom Konzentrationslager Buchenwald im Konzentrationslager Ravensbrück ein

03.12.1944

am 03.12.1944 treffen mit einem Transport 15 "Häftlinge" vom Konzentrationslager Buchenwald im Konzentrationslager Ravensbrück ein

15.01.1945

Am 15.01.1945 wurden zur SS-Wachmannschaft des KZ Ravensbrück und seiner Außenlager 1008 SS-Männer und 546 SS-Aufseherinnen gezählt

Im Stammlager Ravensbrück und seinen Außenlagern waren zu diesem Zeitpunkt 46.070 Frauen und 7.848 Männer registriert.

28.02.1945

Am 28.02.1945 werden mit einem Evakuierungstransport 3200 Frauen und Kinder vom Konzentrationslager Ravensbrück zum Konzentrationslager Bergen-Belsen überstellt. Der Transport erreicht das Lager Bergen-Belsen am 02.03.1945. Wie viele der Menschen lebend in Bergen-Belsen angekommen sind ist nicht belegt.

09.03.1945

Am 09.03.1945 werden mit einem Transport 1 799 Frauen, vorwiegend Französinnen, Belgierinnen und Holländerinnen aus dem Konzentrationslager Ravensbrück ins Konzentrationslager Mauthausen überstellt. Der Transport erreicht Mauthausen am 09.03.1945. Unter den Belgierinnen befand sich das 16-jährige Mädchen Lucienne Rombaud mit ihrer Mutter aus Antwerpen. Die Rombauds lebten auf einem belgischen Kanalschiff und transportierten Waffen für die Widerstandsbewegung.
Das Schiff wurde von Gestapo-Männern durchsucht, die Waffen beschlagnahmt, der Vater sofort erschossen, Mutter und Kind waren ins KZ Ravensbrück eingewiesen worden

20.03.1945

Innerhalb der nächsten 48 Stunden wurden 800 Menschen in der Ravensbrücker Gaskammer ermordet.

26.03.1945

Am 26.03.1945 verläßt ein Transport mit 250 Schwangere und Wöchnerinnen das Lager Ravensbrück mit Ziel Konzentrationslager Bergen-Belsen. Kein Säugling überlebte diesen
Transport.

30.03.1945

Am 30.03.1945 werden im Konzentrationslager Ravensbrück nach einer Selektion unter anderem 16 Tschechinnen, davon 6 Frauen aus Lidice vergast

01.04.1945

Am 01.04.1945 (Ostersonntag) wurden ca. 1000 Häftlinge in der Ravensbrücker
Gaskammer ermordet. Die Todesfälle auf Grund des Massensterbens mit „natürlichen“ Ursachen werden im KZ Ravensbrück nicht mehr registriert.

Am
01.04.1945 verläßt ein Transport mit überwiegend französischen Häftlingen das Lager Ravensbrück. Ziel ist das Konzentrationslager Neuengamme (Außenlager Salzwedel). Der Transport erreicht Salzwedel 01.04.1945.
Eine der Häftlinge ist Anna-Luise Haaris. Am 12. Dezember 1944 befindet Sie sich in Ravensbrück im Block 2A. Im Block 2 des alten Lagers waren 1944 Funktionshäftlinge untergebracht, so die Kommunistin und Leiterin der Klempnerkolonne Charlotte Müller, die Haaris aus der Emigrationszeit kannte, und die ehemalige KPD-Reichstagsabgeordnete Helene Overlach.

05.04.1945

Am 05.04.1945 um 09:00 Uhr können 300 Frauen unter dem Schutz des Roten Kreuz das Lager Ravensbrück in Richtung Schweiz verlassen. Damit wurde die erste größere Gruppe Frauen direkt in die Freiheit evakuiert.

21.04.1945

Wenige Tage vor der Befreiung des Lagers Ravensbrück werden 59 Frauen auf Befehl des RSHA aus dem KZ Ravensbrück entlassen. Es handelte sich dabei meist um reichsdeutsche und tschechische Frauen, die als politische Häftlinge schon lange Jahre in Ravensbrück inhaftiert waren. Diese Frauen wurden zum Fürstenberger Bahnhof gebracht und dort ihrem Schicksal überlassen.
Eine dieser Frauen war Maria Hilfrich * 15.05.1889 in Niederselters/Taunus + 01.10.1965 in Siershahn und in Niederselters beigesetzt. Ihr wird als erste das Ehrenbürgerrecht von Siershahn verliehen.

22.04.1945

Unter Führung von Urszula Winska geb. Wandasiewicz (Häftlings Nu 7448) entwendeten Polnische Häftlinge sowie Mitglieder der Pfadfindergruppe „Murow“ 13 Mappen mit den Listen von den Transporten versteckt im Wäschekorb aus der Schneiderei. Danach wurden sie in 70 Pakete verteilt und unter den Pfadfinderinnen und anderen vertrauenswürdigen Häftlingen aus der Schneiderei verteilt. Erstellt worden war ein Verzeichnis von 70 Frauen, die die Mappen bekamen, um die Listen in Schweden schnell wieder zusammenführen zu können. Urszula Winska führte außerdem ein Heft, in dem sie alle Daten der Transporte mit den genauen Zahlen und Nummern der polnischen Häftlinge eintrug. Nach ihrer Rückkehr aus dem KZ konnten so die überlieferten Namen von über 25.000 weiblichen Häftlingen in Polen rekonstruiert werden.

Urszula Winska geb. Wandasiewicz * 1902 in Dynów + 01.12.2003. Sie wurde auf dem städtischen Friedhof in Sopot in der Familiengruft beigesetzt.

23.04.1945

16 Tbc-kranke Frauen werden in der Gaskammer ermordet

27.04.1945

Am 27. April 1945, 6:00 Uhr früh begann die „Evakuierung“ der Ravensbrücker Häftlinge durch die SS. Zehntausende Häftlinge wurden von der SS streng bewacht und vom Tode bedroht auf die Todesmärsche in Richtung Nordwesten getrieben.
Bericht der Überlebenden Hildegard Hansche:
„Wir bewegten uns auf der Fürstenberger Landstraße nur langsam vorwärts, müssen uns dicht gedrängt scharf an der linken Straßenkante halten, um Raum freizugeben für die Fahrzeuge, die im Stau sich auf der Straße bewegen in gleicher Richtung nach Norden. Die Straße ist trotz der frühen Stunde voller Verkehr.
Militärlastwagen und Panzer stoßen liegen gebliebene Zivilfahrzeuge mit Insassen von der Straße, sie ist heillos verstopft vom Flüchtlingstreck. Bei diesem Exodus haben Unzählige den Tod gefunden. Die Toten liegen unter den Trümmern
umgestürzter Lastwagen, sie werden von vorpreschenden Heeresbulldozern erdrückt. Verletzte sind liegen geblieben, niemand kümmert sich um sie. Panisch wird die Erregung, wenn Flugzeuge am Himmel auftauchen, und das geschieht oft; denn wir sind in der Kampfszene.“

30.04.1945

Um 11:30 Uhr erreicht ein Vorrauskommando der 49. Abteilung der 2. Belorussischen Front der Roten Armee das Frauen-KZ Ravensbrück.
Sie fand dort 3.500 kranke gefangene Frauen vor, die von anderen Häftlingen versorgt wurden

Aussage Marie-Claude Vaillant-Couturier
„30. April: Wie herrlich ist es morgens ohne Aufseherinnen, ohne Sirenengeheul und ohne Trillerpfeife aufzuwachen. Bevor er sich davonmachte, hat der Kommandant gesagt, daß ein großer tiefer Graben ausgehoben werden müsse, um die Toten zu beerdigen (weil nämlich das Krematorium nicht mehr funktioniert). Hinterher solle der Graben wieder ordentlich zugeschaufelt und ein Kreuz darauf gesetzt werden, ”damit es anständig aussieht“ wie er sich ausdrückte. Dergleichen aus seinem Munde zu hören, war fast zum Totlachen, wenn man bedenkt, daß acht Tage zuvor noch Frauen vergast worden sind. Mittags um halb zwölf sind die ersten russischen Vorposten eingetroffen. Als ich den ersten Rotarmisten auf seinem Fahrrad sah, schossen mir die Tränen in die Augen, aber diesmal waren es Tränen der Freude. Ich mußte an die Tränen der Wut denken, die ich im Juni 1940 auf der Place de l'Opéra beim Anblick des ersten deutschen Kradmelders vergossen habe.“


Tagebuch der 2. Belorussischen Front

02.10.1946

LG Vg 1c Vr 1445/49
Aktenzahl des Gerichts (Geschäftszahl): LG Wien Vg 1h Vr 5008/46

Volksgerichtsverfahren gegen: Genoveva (Genofeva) Reichert, geb. Pucia (Putzia)

wegen
§ 3 KVG (Quälerei und Misshandlung) und § 4 KVG (Verletzung der Menschenwürde)

Verbrechen der Quälerei und Misshandlung sowie der Verletzung der Menschenwürde begangen an Häftlingen im KZ Ravensbrück in den Jahren 1941 und 1942 unter Ausnützung ihrer dienstlichen Gewalt als Aufseherin.

02.10.1946: Anklageerhebung wegen §§ 3, 4 KVG.
26.11.1946: Verurteilung der Angeklagten wegen §§ 3, 4 KVG zu 11 Jahren schweren Kerkers. Vermögensverfall.
22.12.1951: Bedingte Begnadigung durch Entschließung des Bundespräsidenten.

03.07.1962: Abweisung des Antrags auf Tilgung der Verurteilung gemäß NS-Amnestie 1957.

13.02.1997

In und vor der Siemens-AktionärInnenversammlung in Berlin wird die sofortige Entschädigung für alle ehemaligen ZwangsarbeiterInnen gefordert

Aussage: Vavak Anna

Mit 13 Frauen war sie in Wien gemeinsam verhaftet worden und ohne Gerichtsurteil dann über das Gefängnis Pankrac in Prag, ein Arbeitshaus in Leipzig und das Polizeipräsidium am Alexanderplatz in Berlin nach Ravensbrück gebracht worden. Die Frauen waren über 2 Wochen unterwegs und bildeten dann in Berlin eine Gruppe von 50 Frauen verschiedener Nationalitäten, die am 2. Oktober 1942 in Ravensbrück ankamen. Anna Vavak erhielt die Ravensbrücknummer 14 179. Nach den Erzählungen ihrer Ravensbrücker Kameradin Irma Trksak war sie von Beruf Verkäuferin, hübsch und intelligent und außerordentlich liebenswürdig und charmant. Frauen vieler Nationalitäten betrachteten sie als ihre Landsmännin. Sie wurde sehr schnell als sogenannter 1. Anweisungshäftling im Siemensbüro eingesetzt. Nach dem Krieg heiratete sie Hans Marsalek der aus Mauthausen zurückgekehrt war. (* 19.07.1914 in Wien + 09.12. 2011 im 98. Lebensjahr)
Sie starb schwer krank in Wien am 18. November 1959.

Im Herbst 1942, als ich in das Lager kam, wurden die ersten Häftlinge für dieses Kommando ausgesucht. Da jeder Häftling zu irgend einer Arbeit eingesetzt wurde, war mein Bestreben, in diesen Betrieb zu kommen. Ich wollte unbedingt mit den Zivilisten in Kontakt treten, um ihnen das Lagerleben zu schildern, das auf mich einen entsetzlichen Eindruck gemacht hat. Die ersten Tage im Lager waren für mich so voll Schrecken und Verzweiflung und ich wollte alles den deutschen Arbeitern mitteilen und sie dazu bewegen, es weiter zu erzählen, um den Unwissenden zu zeigen, wie man in Deutschland lebt. Leider war ich ein Optimist und habe mir zu viel erhofft. Die baldige Zukunft belehrte mich eines Besseren.

Das Zivilpersonal, das hierher versetzt wurde, waren politisch unaufgeklärte Menschen oder Mitglieder der NSDAP – also viel Sympathie für Häftlinge war nicht zu erwarten. Jeder Zivilarbeiter, der in den Lagerbereich Zutritt hatte, wurde erst in der Kommandantur über das Verhalten den Häftlingen gegenüber aufgeklärt. Aus ihrem Benehmen konnten wir uns schon vorstellen, in welchem Sinne diese Aufklärung war. Später kam mir ein Formular von dieser Vorschrift in die Hände und ich ballte über den Inhalt die Fäuste. Gleichzeitig kam es mir lächerlich, furchtbar niedrig, typisch faschistisch vor. Mein Gefühl sagte mir; wie hoch stehen die politischen Häftlinge über diesem Gesindel.

Am 21.August 1942 hat der Betrieb WWFG (Wernerwerk für Fernsprechgeräte) mit 20 Häftlingen zu arbeiten begonnen. In einer mit Draht eingezäunten Baracke wurden sie mit Justierarbeiten beschäftigt. Zum Großteil waren es Deutsche mit schwarzem Winkel (Asoziale). Es wurde eine Prüfung abgelegt. Diese bestand:

1.
Feststellung der Sehschärfe, da die meisten Arbeiten ein gutes Augenlicht erforderten.

2.
Eine Probe der Handgeschicklichkeit und des Formsinnes.

Für den Aufbau des Betriebes nahm man anfangs nur gute Arbeitskräfte. Wir hatten fast die beste Arbeitszeit von allen Betrieben – 48 Stunden – später 12 Stunden pro Tag eventuell Nachtarbeit oder Sonntagsarbeit. Ich wurde als Schreibkraft aufgenommen.

Zu dieser Zeit hatte das Kommando Aufseherin Ehlert, die zu uns sehr nett war. Es war uns immer sehr wohl, wenn man das Lagertor hinter uns geschlossen hat. Diese Aufseherin wurde dann wegen zu guten Umgangs mit Häftlingen in ein anderes Lager versetzt.

Im nächsten Monat hatten wir schon 71 Häftlinge und bis Dezember 1942 war der Sollstand 508 Häftlinge, davon 51 Prozent Ausländer, getrennt in 25 Nationalitäten. Zuerst wollte man nur deutsche Arbeitskräfte einstellen, aber die Praxis zeigte, daß die Ausländer viel geschickter waren und die Verständigungsschwierigkeiten hat man durch Dolmetscher behoben.

Die Zivilarbeiter, die anfangs sehr schroff und abweisend waren, haben sich mit den Häftlingen etwas befreundet. Sie waren sehr neugierig und wollten von uns etwas hören, aber gleichzeitig feige und mißtrauisch und hatten Angst vor den Konsequenzen. In den wenigsten Fällen wollten sie das Erzählte glauben, hielten es für erlogen, denn laut Weisungen der Kommandantur hatten sie mit Verbrechern zu tun. Es gab aber doch Fälle, wo der persönliche Einfluß so weit reichte, daß der Zivilarbeiter dem Häftling Briefe nach Hause beförderte. Meistens vertrauten sie den Deutschen.

Zu dieser Zeit machte ich schon die Aufnahmeprüfungen und hatte Einfluß auf die Besetzung der Arbeitsplätze. Für politische Häftlinge erforderte es eine Überwindung, in einem Rüstungsbetrieb zu arbeiten. Es gab oft Fälle, ich erinnere mich z.B. an eine jugoslawische Rechtsanwältin, die mich während der Aufnahme leise fragte, ob sie nicht Toiletten reinigen könnte, um nicht für die Kriegsindustrie zu arbeiten.

Als erste Schreibkraft in jeder Halle wurde ein politisch aufgewecktes Mädel eingesetzt, das die Interessen der Häftlinge der Werkstatt vertreten sollte, was oft sehr schwierig war. Speziell in Halle 2, Herrn Lombacher, ein Nazi und Sadist, der mit Befriedigung die Aufseherinnen zur Bestrafung der Häftlinge aufrief. Am liebsten hätte er selbst geschlagen. Alle Beschwerden oder Wünsche konzentrierten sich bei uns im Betriebsbüro, wo ich alle unsere Schmerzen dem Chef vorbrachte. Da er auf die Zusammenarbeit der Häftlinge Wert legte, versuchte er immer das Verhältnis zwischen den Häftlingen und Zivilarbeitern zu regeln. In den meisten Fällen war er auf die Zusammenarbeit der Häftlinge angewiesen, denn diese waren intelligenter als die Zivilisten.

Unser brennender Wunsch war, jemanden zu finden, der uns Radio- und Zeitungsnachrichten übermittelte. Dies ist uns auch gelungen. Zwei oder drei Arbeiter meldeten uns täglich die Tagesneuigkeiten des Auslandssenders, so weit sie diese selbst kannten. Und wir hatten wieder einen moralischen Rückhalt. Vom Betriebsbüro aus wurden alle verläßlichen Stellen im Betrieb und im Lager in Kenntnis gesetzt.

Die Zahl der Aufseherinnen war immer größer. Es kamen viele zum Anlernen, oft hatten wir 30 bis 35. Es war mit ihnen ein schreckliches Martyrium, denn sie hatten arbeitsmäßig nichts zu sagen, wir arbeiteten selbständig. Diese Selbständigkeit rief bei ihnen Minderwertigkeitskomplexe hervor, und um zu zeigen, daß sie doch mehr sind als wir, quälten sie uns, wie es nur ging. Unterwegs durften wir nichts sprechen, es hieß ununterbrochen: »Hände runter, Schnabel halten, Maul halten, Idioten, freche Miststücke, Schmuckstücke usw.« Ewige Kontrollen, Meldungen, das waren ihre Arbeiten … Es waren häufige Kontrollen im Betrieb und im Lager.

Die Pläne der Firma waren sehr groß, man arbeitete mit Hochdruck am Aufstellen der Baracken. Das WWFG-Werk hatte 6 Baracken, das WWR (Radio) 5 Baracken und das WWM (Meßgeräte) 5 Werkstätten. Insgesamt waren wir schon 2000 Häftlinge.

Die Verhältnisse im Lager wurde immer schlechter, alles war überfüllt. Als Anweisungshäftling mußte ich mich um Kleider, Schuhzeug usw. kümmern. Es war aber fast ausgeschlossen, die Leute anzuziehen. Die Verwaltung schickte alles an die Außenkommandos oder für Transporte und für uns blieb nur ganz wenig. Es blühte das Tauschgeschäft, das Organisieren: ein Paar Strümpfe, 3 Kanten Brot, 1 Kleid waschen, 1 Brot, 1 Marmelade und 1 Margarine. Es gab eine Aristokratie und ein Proletariat. Es war ein Jammer, die Häftlinge bei Regenwetter anzusehen. Das einzige Kleidungsstück durchnäßt, Pantinen – nur ein kleines Brett – an die Füße gebunden oder barfuß. So mußten wir in der früh 1 bis 2 Stunden Appell stehen und dann zur Arbeitsformierung antreten. Natürlich kamen wir zu Siemens ganz erfroren und die meisten sollten mit den steifen Fingern ein Pensum schaffen. Den Magen immer leer, den Kopf schläfrig …

Die Leute wurden bockig und ließen in der Arbeit nach. Die Leistung wurde an den Anlernkarten kontrolliert und mit Dauer der Haft immer kleiner. Bei manchen war der Abstieg so markant, daß sie abgeschaltet werden mußten. Die Aufseherinnen wurden oft zum »Nachhelfen« geholt, es nützte aber nichts. Dies war die Zeit der meisten Sabotagen, manche waren sehr naiv durchgeführt und eine Strafe – Bunker oder Strafblock – war vorauszusehen. Das schreckte alles nicht ab, wir waren alle schon ganz gleichgültig. Täglich hörte man von Erschießungen und Transporten in die Gaskammer. Auch wir haben einen sehr wertvollen Menschen, eine österreichische Kommunistin, Mara Günzburg, durch Todesurteil verloren.

Die politische Situation änderte sich und damit auch die Stimmung der Zivilarbeiter und Aufseherinnen. Es folgten für sie des öfteren Appelle, um sie zu erinnern, daß wir Staatsfeinde und Verbrecher sind. Sie wichen jeder politischen Unterhaltung aus, haßten uns mehr als früher. Dies beruhte auf Gegenseitigkeit. Sie mißtrauten uns und befreundeten sich mit den Aufseherinnen.

Die Mittagspause von einer Stunde war für uns zu kurz. Das Antreten und Zählen … erforderte viel Zeit, noch dazu, wenn die Aufseherinnen nicht bis hundert zählen konnten. Kaum kamen wir in das Lager, auf den Block, schon ging die Sirene zum Antreten. Auf den entlegenen Blocks war noch kein Essen, denn es gab zu wenig Kessel im Lager, und die Leute mußten, ohne etwas zu sich zu nehmen, wieder zur Arbeit antreten. Unser Mittagessen war eine Steckrübensuppe, die hauptsächlich aus Wasser und 2 bis 3 Kartoffeln bestand. Als sich die Leute weigerten anzutreten, wurden sie … mit Hunden aus den Blocks herausgehetzt und bis auf den Lagerplatz verfolgt. Es war ein ewiges Jagen, Hetzen, überall ein aufregendes Geschrei und Schimpfen auf das Siemenskommando. Das ganze Lagersystem war aufgebaut auf einem sinnlosen Jagen und Verfolgen menschlicher Massen, um die, die nicht widerstandsfähig sind, zu vernichten. Weg mit den Schwachen, Alten, der tägliche Import waren Tausende junge Körper.

Unser Kommando bestand zum Großteil aus jungen bewußten Leuten, die sich gegen alle unsinnigen Vorschriften wehrten. Durch Murmeln und Rebellieren gaben sie es zum Ausdruck. Strafe stehen nach der Arbeit sollte uns zur Disziplin erziehen. Dies ist ihnen aber nicht gelungen. Zu bedauern waren nur die Kranken und Alten, die bei dem stundenlangen Stehen in Ohnmacht fielen. Andererseits sah man Gruppen von jungen Leuten, die sich unterhielten und aus Opposition Lieder sangen.


Jeden Tag abends war Revierstunde für die Betriebe. Als Revier wurde das Hospital bezeichnet. Der Anweisungshäftling mußte seine Patienten vorführen. Die häufigsten Krankheiten bei den Siemenshäflingen waren: Furunkulose. Durch Avitaminose bildeten sich große Furunkel auf den verschiedensten Körperteilen, Krätze – ebenfalls Erscheinung der Unterernährung –, Augenleiden von der anstrengenden Arbeit, Tuberkulose, Herzleiden und allgemeine Körperschwäche. Der Bauch- und Flecktyphus sowie Ruhrepidemien erforderten aus unserem Betrieb sehr viele Opfer. Ein großer Prozentsatz der jungen Mädels – speziell Französinnen und Russinnen – starben an Tuberkulose.

Alle wurden mit Aspirin behandelt. Nicht nach dem Krankheitsfall, sondern nach Laune der SS-Schwester wurden die Häftlinge in das Revier oder den Bettkartenblock aufgenommen. Die arbeitenden Häftlinge durften nicht erkranken. Hatte jemand lange die Arbeit versäumt, wurde er dem Arbeitseinsatz zur Verfügung gestellt, d.h. er wurde auf einen Fabriktransport geschickt unter noch schlimmeren Verhältnissen …

Durch die Evakuierung der Lager im Osten kamen immer mehr und mehr Zugänge in das Lager und es reichte in keiner Weise für solche Massen. Die Lagerleitung hatte Interesse, das Siemenskommando loszuwerden. Am 3. Dezember 1944 übersiedelten wir in ein kleines Lager westlich des Betriebes am Siemensgelände. Der damalige Stand war 2100 Personen. Dort begann für uns eine ruhigere Zeit. Die Appelle dauerten nur einige Minuten. Die Disziplin wurde gelockert, die Ernährung mit der Lagerküche unvergleichbar. In der Küche war eine Gruppe ehrlicher Tschechinnen, die zeigen wollten, wie das Essen aussehen konnte, wenn nicht gestohlen wird. Wir waren in jeder Hinsicht zufrieden.

Das Kommando übernahm SS-Hauptscharführer Grabow, ein junger, naiver, eitler Mensch, der unter gutem Einfluß für uns viel Gutes machen konnte. Leider hat ihn Aufseherin Holthöwer unterstützt, die die alten Lagermethoden einführen wollte. Sein Steckenpferd war: aus einem Sumpf hinter dem Lager Erde in Kisten auf eine Fläche in unser Lager zu tragen. Damit beschäftigte er uns in der Freizeit.

Wir machten größtenteils, was wir wollten und er bekam von der Lagerleitung des KZ oft den Kopf gewaschen. Aufseherin Holthöwer, die im Betrieb das Kommando hatte, führte indirekt auch das Lager. Sie war eine sehr raffinierte Gestapofrau und wollte sich mit keiner der zwei Seiten verfeinden. Wir durchschauten jedoch bald ihre Doppelrolle. Vor den politischen Häftlingen zeigte sie so etwas wie Respekt, aber in gleicher Minute ließ sie ihre Macht fühlen. Bis zum letzten Augenblick sagte sie immer: »Ich bleibe bei meinen Häftlingen«. Im kritischen Moment haben wir sie aber nicht gesehen. Sie hat die Lagerleitung in jeder Weise im Vorgehen gegen die Häftlinge unterstützt und wußte von allen Aktionen, die im Lager gemacht wurden. Sie war auch Mitarbeiterin das Herrn Ramdohr und des Kommandanten in den Strafhandlungen gegen die Häftlinge. Ich hoffe, daß sie den richtigen Dank dafür auch ernten wird.

In diesem Lager hatten wir ein bißchen mehr Freizeit und konnten uns auf kulturellem Gebiet betätigen. Nationenweise und international fanden Gesangs- oder Tanzvorführungen, Rezitationen usw. statt. Wir hatten internationale Größen der Künstlerwelt.

Durch zahnärztliche Behandlungen im Revier waren wir täglich mit dem alten Lager in Verbindung. Wir hatten auch ein eigenes Revier und eine Stube für Bettlägerige. Als Ärztin war Mila Janu vorgesehen, die aber zum größten Bedauern von uns allen nach einigen Tagen bei uns an Typhus starb. Als Ersatz wurde uns Dr. Kurt zugewiesen. Diese Frau, ohne Gefühl und Herz, hat viel Böses unseren Kranken angetan. Sie war gleichgültig und faul. Eine SS-Ärztin könnte nicht gröber und herzloser sein als sie. Nach der Befreiung durch die Rote Armee wurde sie vom Kommandanten der Stadt Fürstenberg mit einem Strafkommando weggeschickt. Medikamente bekamen wir fast keine, nur was wir uns links organisierten.

Als Block- und Stubenälteste schickte uns das KZ Frauen, die ihnen unbequem waren, weil sie Spitzel des Kommandanten waren. Die Namen Villevers und Skene wurden in der kurzen Geschichte des Siemenslagers schwarz eingeschrieben. Diese Frauen mißhandelten, quälten ihre Mithäftlinge. Durch Intrigen und Spitzelei machten sie ihnen das Leben zur Hölle.

Die Zeit rückte näher, wo die Frage des Evakuierens akut wurde. Wir warteten täglich, daß man uns – wie schon einen Großteil des Lagers – in ein westlich gelegenes Lager transportieren wird. Unser Chef versprach uns, soweit er Einfluß haben wird, werden wir als letzte das Lager verlassen.

Es kam nun der kritische Moment, wo die Zukunft schon klar ersichtlich war. Es stand die Frage, wie werden sich die Zivilarbeiter bei Siemens benehmen und wie werden sie auf dies alles reagieren? Wir hatten mit ihnen viele Diskussionen über das Kriegsende, über die Frage des Evakuierens, über Flüchten usw.

Die meisten, mit denen wir sprachen, zeigten sich als Gegner dieses Regimes. Ich war neugierig, auf welche Art sie dieses Problem lösen werden. Wie ich schon anfangs erwähnte, war ich enttäuscht. Sie handelten nicht als Gegner dieses Terrorregimes, sondern für sie war der wichtige Punkt, daß sie Deutsche sind und evakuierten unter Schutz der SS und Deckung durch die Häftlinge. Unsere Schulung ist mißlungen.

Den Überfluß an Häftlingen löste das faschistische Regime, indem die KZ-Lager eine bestimmte Anzahl Menschen durch den Kamin gehen ließen. Als diese Periode bei uns eintrat, war es ganz schrecklich. Anfangs nahm man Frauen aus den Krankenblocks. Wir sahen oft die Autos, wie man sie wegführte. Zum Großteil machte man es nachts. Als diese Todesangst über unser Lager fiel, gingen wir wie lebende Fragezeichen herum. »Wer wird jetzt drankommen?« war in den Augen aller zu lesen. Jeder, der nur halbwegs konnte, wich dem Revier aus. Die Revierstunden waren fast ohne Patienten.

Später … ließen einzelne Blocks antreten, suchten einmal grauhaarige, ein anderes Mal Frauen mit Krampfadern, Senkfüßen usw. aus und schickten sie in das Jugendlager. In diesem Lager waren früher tatsächlich deutsche jugendliche Mädels und nun war es für Frauen bestimmt, die dort unter Hunger, Kälte und langem Stehen ihr Leben rascher beenden sollten. Da die tägliche Zahl der Toten das vorgeschriebene Quantum nicht erreichte, gab man ihnen erst Pillen, später Injektionen und halb betäubt führte man sie in das Krematorium. Der Kamin des Krematoriums rauchte Tag und Nacht wie ein warnendes, um Hilfe rufendes Feuer.

Der Weg vom Krematorium zum Jugendlager führte an dem Siemenslager vorbei. Oft stand ich spät abends und zählte die Autos, die mit Menschen beladen, eines nach dem anderen, immer denselben Weg einschlugen. Tag und Nacht allein oder mit anderen Kameradinnen stellte man die Frage, was können wir dagegen tun? Durch die vielen apolitischen Elemente waren wir zersplittert, uneinig und auch sonst zu schwach. Wir erzählten es den Aufseherinnen, denen man diese Tatsachen verheimlichte und den Zivilarbeitern, denen die Haare vor Angst zu Berge stiegen.

Bei Siemens ging diese Aktion noch ganz gut vorbei. Es war unter uns die Parole, keine alten Frauen abschalten und keine Patienten in das Lagerrevier zu schicken. Da sie unten genug Material hatten und wir ein kriegswichtiger Betrieb waren, haben sie uns vorläufig verschont. Eines Tages um 23 Uhr, kam der Befehl, mit sämtlichen Sachen anzutreten. Wir dachten, jetzt ist der Moment des Evakuierens gekommen. Man führte uns aber in das KZ Lager zurück, denn unser Lager wurde von Männern aus Dora besetzt, die schon in Fürstenberg waren. Wir kamen wieder hinter Mauern und hinter Draht und lebten wieder im Schmutz und in Massen bis zum 28. April 1945, dem Tag unserer Evakuierung.

Das Siemenskommando rückte fast geschlossen aus dem Lager. Die SS-Männer jagten uns mit Gewehr und Hunden die Straße nach Malchow entlang. Ein Großteil wußte, daß wir sie bis Malchow nicht begleiten werden. Den nächsten Tag, physisch ganz erschöpft, am Rastplatz verschwand ich noch mit einer anderen Frau in einer Scheune, wo wir – im Stroh eingegraben – einschliefen. Es weckte uns ein starkes Bombardieren und ich dachte, daß meine Freiheit keine lange Dauer haben wird. Wir versteckten uns in den Wäldern und warteten auf die Rote Armee. Am nächsten Tag und in der Nacht waren noch schwere Artilleriebeschüsse und Luftkämpfe. Die Stadt Mirow wehrte sich sehr lange. Endlich kam der 1. Mai 1945. Ich wußte: dieser erste Mai bringt mir die ersehnte Freiheit. Das Panzerfeuer wurde stumm und man hörte das Rollen der Panzer der Stadt zu. Wir waren frei, wirklich frei! Wie herrlich!

Kiss Edith

Edith Kiss wurde am 21. November 1905 als jüngste von vier Töchtern einer jüdischen Familie in Budapest geboren. Sie studierte Bildhauerei in Düsseldorf. Vor dem 2. Weltkrieg war Edith Bán-Kiss in Ungarn eine bekannte Bildhauerin.
Im Herbst 1944 wurde Edith Kiss mit tausenden ungarischer Jüdinnen nach Ravensbrück deportiert. Auf dem Transport ins KZ lernte sie Ágnes Bartha kennen. Den Weg von Budapest über Österreich bis nach Zirndorf mussten die Frauen zu Fuß zurück legen. Zwischen Edith Kiss und Ágnes Bartha entwickelte sich auf diesem Gewaltmarsch eine lebenslange Freundschaft. Daher ist ihre Lebensgeschichte an vielen Punkten eine Gemeinsame. Im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück teilten beide Frauen das Schicksal der ungarischen Jüdinnen: Sie kamen in das unbeheizte und überfüllte Zelt, eine Todeszone. Sie halfen sich gegenseitig aus scheinbar aussichtlosen Situationen – so, als Edith eine Selbstmordversuch im Zelt von Ravensbrück mit Hilfe von Ágnes überlebte. Im Daimler-Benz-Werk Genshagen/Ludwigsfelde mussten Edith Kiss und Àgnes Bartha ab Dezember 1944, wie 1.100 andere Häftlingsfrauen unter unmenschlichen Bedingungen Flugzeugmotoren montieren.
Durch die Unterstützung einer befreundeten deutschen Häftlingsschreiberin, Friedel Franz, waren sieben oder acht ungarische Jüdinnen gemeinsam in einem Zimmer untergebracht , das eigentlich für Funktionshäftlinge gedacht war. Dort skizzierte Edith 12 Bilder „Lagerleben“, welche von einer Aufseherin konfisziert und vermutlich vernichtet wurden. Über diese Zeichnungen erzählte Àgnes Bartha: „Da besprach ich mich mit Edith, daß wir den Frauen eine Freude machen wollten, damit sie ihren Lebensmut nicht ganz verlieren (...) Edith hatte eine Mappe gezeichnet mit 12 Blättern: Lagerleben in Bildern. Da waren auch SS-Frauen karikiert Die Lagerälteste lachte, als sie das sah und fragte, ob sie es einer der SS-Frauen zeigen dürfe, die sei anständig, die würde es nicht übel nehmen, daß wir sie karikiert haben. Wir konnten nichts dagegen tun. Aber eine halbe Stunde, nachdem die SS-Frau die Mappe bekommen hatte, schmiß man uns aus diesem Zimmer heraus und wir mussten zurück in die Kellerräume, wo wir zu zweit, zu dritt, manchmal zu viert auf der Pritsche lagen.“
Das Daimler-Werk wurde Ende April 1945 evakuiert und die Frauen wurden nach Oranienburg verschleppt. Nach drei Tagen in einem geschlossenen Transportwaggon kamen die Frauen wieder nach Ravensbrück, wo sie bei der Evakuierung mit einem der Todesmärsche das Lager verließen. Edith konnte mit Ágnes, die hohes Fieber hatte, bei Strasen an der Havel aus der Kolonne fliehen. Auf dem Weg nach Berlin begegneten die Frauen sowjetischen Soldaten. Edith Kiss und Ágnes Bartha werden von ihnen vergewaltigt. Anfang Juli 1945 kehrten sie nach Ungarn zurück.
Edith Kiss sprach nie über ihre Erlebnisse im KZ und versuchte, mit ihrer Kunst die Erinnerungen zu verarbeiten.

Lecoq Violette

Lecoq Violette
Zur Welt kommt Violette Lecoq am 14. Juni 1912. Als Krankenschwester arbeitet sie seit dem September 1939 beim Roten Kreuz und betreut in erster Linie Kriegsgefangene. Zugleich geht sie zur französischen Widerstandsbewegung, der Resistance. Im Rahmen dieser Tätigkeit ist sie daran beteiligt, dass 83 gefangenen französischen Soldaten die Flucht aus dem von Deutschen besetzten Gebieten gelingt.
Durch Verrat wird sie selbst gefangen genommen und kommt am 31. Oktober 1943 in einem Sondertransport nach Ravensbrück. Wie viele andere Französinnen ist sie ein sogenannter „Nacht und Nebel-“Häftling, was nichts anderes bedeutet, als dass sie spurlos verschwinden sollte: Ein Todesurteil. Der sogenannte Nacht-und-Nebel-Erlass wird 1941 vom Chef des Oberkommandos der Wehrmacht Keitel speziell für die Bekämpfung des antifaschistischen Widerstandes, vor allem in Frankreich, gegen die deutsche Besatzung erlassen.
Im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück ist sie mit der Nummer 24571 eingesperrt und kommt anfangs in ein Außenkommando. Weil sie Krankenschwester ist und zudem die deutsche Sprache spricht wird Violette Lecoq in den Tuberkuloseblock versetzt. Dort wird sie Zeugin von Selektionen, welche die SS durchführt um nicht mehr arbeitsfähige Frauen zu ermorden. Seit 1945 geschehen diese Vernichtungsaktionen auch in Ravensbrück in einer Gaskammer.
Violette Lecoq fertigt viele Zeichnungen an mit denen sie den Alltag der Frauen dokumentiert. Sie wird im April 1945 durch das Schwedische Rote Kreuz evakuiert und ihre Zeichnungen dienen im ersten Ravensbrück-Prozess als Beweismaterial gegen die Aufseherinnen und SS-Angehörige.
In Frankreich wird Violette Lecoq mit der Resistancekämpfer-Medaille und dem Kriegskreuz wegen ihres Mutes und ihrer Verdienste geehrt.

Neus Català

* 1915 in Guiamets Els (Priory)

Neus Català war eine von über 100.000 Internierten im Frauen-KZ Ravensbrück. Sie war eine sogenannte „Politische“, 1943 verhaftet in Spanien als Sozialistin im Widerstand gegen den spanischen Faschismus. „An uns erinnert sich niemand!“ stellte Neus Català ein halbes Jahrhundert später fest.

Bei einer Temperatur von 22 Grad unter Null kamen wir, tausend Frauen aus allen Gefängnissen und Lagern in Frankreich, am 3. Februar 1944 um drei Uhr morgens in Ravensbrück an. Es war der „Transport der 27.000er“, wie er von den Deportierten genannt wurde und heute noch bekannt ist. Ich erinnere mich, daß unter diesen tausend Frauen Tschechinnen und Polinnen waren, die in Frankreich lebten oder dorthin geflohen waren, und eine Gruppe von Spanierinnen.

Mit zehn SS-Männern mit ihren zehn Maschinenpistolen, zehn Aufseherinnen mit zehn Pferdepeitschen, mit zehn Wolfshunden, bereit, uns zu zerfleischen, hielten wir, bestialisch angetrieben, unseren triumphalen Einzug in die Welt der Toten.

Was mochte jede einzelne dieser tausend Mitkämpferinnen der „Armee der Schatten“ jetzt denken, erschöpft, wie sie waren, von den Aufgaben in der Résistance, von den vielen Monaten im Gefängnis, von den Folterungen bei den schrecklichen Verhören? In einigen Minuten würde sich der Höllenschlund von Ravensbrück schließen und sich mit seinem mörderischen Getriebe der heroischen Frauen bemächtigen, die schon bald zu Schatten werden sollten. In Ravensbrück ging am 3. Februar 1944 meine Jugend zu Ende. Ich war die Nr. 27534.

Zwischen drei und vier Uhr morgens heulte zweimal die Sirene. Das erste Mal zum Aufstehen, das zweite Mal zum Antreten auf dem Appellplatz. Wir passierten das Lagertor in Fünferreihen, vor den neuen Folterknechten, die weit über das Glaubhafte hinaus blutdürstig und grausam waren.

Mitten in der Nacht, erleuchtet von den starken Scheinwerfern der Wachtürme, betraten wir schwarzglänzenden Boden, von Lichtern übersät, die nicht weiß waren: es waren Nadeln aus Eis, die ein schwarzes Licht gaben. Zwischen zwei Reihen von Baracken, die eine Gasse bildeten, gingen wir bis zum Block weiter, wie die Baracken genannt wurden; er war am Ende des Lagers, für 500 von uns; die anderen 500 kamen in den Block 32, deklariert als „Nacht und Nebel“. (Politisch „Verdächtige“, die bei Nacht und Nebel verhaftet und verschleppt worden waren.)

Augen beobachteten uns eingehend, von Kopf bis Fuß, durch die Fenster. Nur Augen, einziges Lebenszeichen in den Skeletten, Totenschädeln von Frauen, die bestürzt den Vorbeimarsch betrachteten. Wir sahen diese Gesichter, die ohne Zweifel einmal schöne Gesichter gewesen waren, und sahen sie, voller Schrecken, durch die Entbehrungen, den Hunger und den Tod gezeichnet.

Baracke 22, links die verstopften Klosetts; rechts der Raum der „Blokowa“, die polnische Bezeichnung für die Blockälteste. Davor der Waschraum, mit oder ohne Wasser, in jedem Falle mit Typhus oder Ruhr verseucht. Die Kloaken des Lagers, oder besser gesagt: die Gruben unter offenem Himmel waren auf der gleichen Höhe wie die Wasserzufuhr, und auf jeder Seite lagen ein Aufenthaltsraum und ein Schlafraum, die für 100 Personen vorgesehen waren. Auf der B-Seite waren wir ungefähr zu 300 im Aufenthaltsraum. Wir wurden dort ohnmächtig vor Schwäche, aber wir konnten nicht hinfallen: es gab keinen freien Millimeter, wir bildeten eine geschlossene menschliche Wand!

Doch wir waren von Kämpfen und Aktionen geprägt angekommen, und spontan ergab sich unser erster Akt der Rebellion: 500 Kehlen schleuderten ein beeindruckendes „Non!“ heraus. Die, die vorne standen, bekamen den ersten heftigen Angriff der „Kapos“ und der Aufseherinnen ab, aber wir ließen sie hinter die zweite Reihe schlüpfen. Unter den Schlägen unserer Henker, und wir drei vorneweg, belegten wir den Aufenthaltsraum A. Das bewahrte uns vor dem Ersticken, denn die Fenster und Türen waren hermetisch verschlossen.

Die Baracke war am Tag vorher von einer Gruppe von osteuropäischen Zigeunerinnen leergeräumt worden. Welchem Schicksal gingen sie entgegen? Der erste Rauchschleier machte ein Nachforschen unnötig: wir verstanden es sofort.

Unsere Baracke war nicht desinfiziert, sie war voller Läuse. Unsere elenden Lager hatten Sägemehl statt Stroh als Unterlage, was Entzündungen der Luftröhre hervorrief; das Dach war kaputt, an einigen Stellen zerstört. Wir schliefen zu zweit in einem Bett, wenn man das Bett nennen konnte, in drei Stockwerken übereinander. In unserem Bett mußten wir zwei weitere Kameradinnen mit zudecken, weil deren Bett zugeschneit war. Achtzig Zentimeter für vier Frauen, Kopf und Fuß gegeneinander gelegt... Nächte mit Wachträumen, Nächte ohne Schlaf, Nächte des Entsetzens. Schau nicht aus dem Fenster, steh nicht auf !...

Welchen Tod starben jene Frauen, die mit herzzerreißenden Schreien des Entsetzens und des Schmerzes für Minuten, für nicht enden wollende halbe Stunden die Totenstille der Straßen in Ravensbrück durchbrachen? Was machten die Wolfshunde mit ihnen, deren Gebell und Geknurre dem von Raubtieren beim Verschlingen von Fleisch glich ?

Während der Nacht konnten wir nicht zum Klo gehen. Die Tür der Baracke blieb ständig offen. Wehe denjenigen, die in genau dem Moment von einem SS-Mann und seinem Hund entdeckt wurden: sie sollten nicht mehr in den Schlafraum zurückkehren. Manchmal passierte es, daß die Gefangene Zeit hatte, sich im Innern einzuschließen und auf die Kloschüssel zu klettern, damit ihr der Wolfshund nicht die Füße zerreißen konnte. Halbtot vor Hunger und Müdigkeit mußte sie lange Stunden ausharren, den Ekel und die Erniedrigung aushalten, ihren Körper über ihren eigenen Beinen vergehen zu fühlen.

Wenn man sich waschen wollte, falls es Wasser gab, mußte man auf die Leichen derer treten, die auf der Suche nach frischer Luft in den Waschräumen gestorben waren. So begann in Ravensbrück das sogenannte Leben im „Chateau“. Das waren die Tage der Quarantäne, in denen wir stufenweise zu weiteren Sklaven gemacht werden sollten. Alle uniformiert, alle krank, alle häßlich und körperlich schon ruiniert.

Die „Blokowa“ sowie die beiden „Stubo-was“ (die polnische Bezeichnung für die Stubenälteste, die Helferinnen der „Blokowa“) und wir Deportierten schlossen einen Pakt: Akzeptanz einer eisenharten Disziplin und ihres Geschreis in Anwesenheit der SS, bei deren Abwesenheit aber die Erleichterung, vor jeder Gefahr geschützt und bewacht zu sein. Alles weitere aber, das nicht von ihrem Willen abhing, war die erste Stufe zur Hölle.

In den ersten acht Tagen, und ohne daß wir auf die Straßen des Lagers hinausgekommen waren, sah ich mehr als acht Freundinnen sterben. Meine großen Freundinnen aus dem Gefängnis waren Luisa und Teresa Menot, die ich „Titi“ taufte; sie war zehn Jahre jünger als ich. Ich liebte sie wie eine Tochter. Sie nahm auch an allen Aktionen im Gefängnis teil, und durch mich trat sie der Kommunistischen Partei bei.

In Ravensbrück war auch eine französische Baronin von 69 Jahren. Diese alte Frau, schwarz gekleidet, nicht aus Trauer, sondern weil sie den brennenden Wunsch hatte, einfacher Dorfpfarrer zu sein, war eine einzigartige Erscheinung. Eine Adlernase, die ausgeprägter war als die der Heiligen Teresa, schwarze glänzende Augen voll ewiger Jugend; sie war von außerordentlicher Intelligenz und exquisitem Benehmen und Auftreten. Sie war nur eine kurze, aber untrennbare Freundin meiner ersten Wochen in Ravensbrück.

Nach 20 Tagen kamen wir dann hinaus, zum Zählappell. Wir sahen die Gruppen, die für ein Arbeitskommando eingeteilt waren, zum Ausgang hinmarschieren, grotesk herausgeputzt, völlig schwach, mit ihren Spitzhacken und Spaten und „Halli-hallo“ singend. Die Ältesten gingen in Richtung Betrieb (Werkstätten), um Strümpfe herzustellen. Sie waren unnütze Esser, sie produzierten nicht genug. Wenn sie nicht vergast wurden, wurden sie mit Knüppeln erschlagen.

Gegenüber unserer Gruppe formierte man die jüdischen Mütter und Kinder. Babys, die in den Armen ihrer Mütter schluchzten; die, die laufen konnten, klammerten sich fest an ihre Röcke. Sie weinten schweigend: es waren Kinder, aber schon vergreist, sie kannten die Gefahr der glänzenden Stiefel und der langen schwarzen Umhänge der SS.

Von vier Uhr morgens bis um neun auf den Beinen, bei 22 Grad unter Null, sah ich, wie zwei Kapos, mit schwarzem Dreieck, eine Tote herbeischleiften, die nicht zum Zählappell herausgekommen war. Eine wilde SS-Frau, eine Aufseherin, beschimpfte und schlug sie mit der Peitsche. Sie führte sich auf wie eine Bestie. Von da an fünf Stunden unbeweglich, unter Vermeidung tiefen Einatmens: die Nase fror wegen des Frosts fest; ohne zu weinen: Tränen froren ebenfalls und konnten dich blind machen.

Du sahst bedauernswerte Frauengestalten, die zur Strafe oder weil sie Pech hatten, der „Scheißkolonne“ zugewiesen waren. Das war immerhin besser denn als „Verfügbare“ übrigzubleiben, wo du zum Aufhängen anderer Gefangener benutzt worden wärst. Das war meine ständige Angst. Das hätte ich niemals gemacht. Eher die Folter. Das hatten wir uns alle in unserer Baracke geschworen.

Blanca Ferón hatte eine Frau gefunden, die im Elektrozaun gestorben war (viele konnten es nicht länger ertragen und begingen so Selbstmord, in Ravensbrück wie in anderen Lagern). „Geh nicht gerade diese Straße lang“, sagte sie mir, aber ich war zu neugierig und trotz des Risikos, entdeckt und mit dem Bunker bestraft zu werden, war ich hinter diesem neuen Schrecken her. Alles wollte ich in meinem Gedächtnis eingegraben haben, falls ich lebendig herauskäme.

Warum habe ich gezögert, das in alle Winde herauszuschreien? Sie ließen die Gefangene zwei Tage liegen, um die Angst zu vergrößern. Ich sah jenen Körper meiner Schwester; steif, die Hände erstarrt wegen des schrecklichen Kampfes, einen Faden geronnenen Blutes in der Nase und in den Mundwinkeln, gab sie mir ein Bild davon, was sein würde, würde ich eines Tages benannt, Gefangene zu erhängen. Tausendmal eher jenen Tod, als Henker zu sein. Ich sah diese Leiche, zu Boden gestreckt, aber ruhig. Sie litt nicht – was erwartete mich?


Es gab ein Orchester im Lager, mit lauter Violinen; die Musikerinnen waren wie wir gekleidet, aber sauber und mit einem weißen Tuch. Sie mußten im Schnee und in der Kälte, die von der Ostsee herüberkam, spielen. Die Leiterin dirigierte und weinte. Hinter ihrem Rücken stand die Aufsicht, eine Kapo, und eine SS-Frau. Gegenüber die Schornsteine des Krematoriums, immer in Betrieb; die Asche der Körper diente als Dünger oder wurde in die See geworfen. Das wenige Fett, das in einer besonderen Rinne gewonnen wurde, diente als Schmierfett für die Maschinen, und es war, so der Meister von Holleischen, das beste für diesen Zweck. Auch wurde Schuhcreme hergestellt.

Es gab viele sowjetische Soldatinnen. Wie sehr die Nazis die Russen haßten! Ich sehe den Aufruhr und die Mithilfe der anderen Gefangenen, um eine sowjetische Frau zu retten, die von einer Kapo verfolgt wurde. Titi bemerkte das, öffnete ihr Fenster und ließ sie auf der gegenüberliegenden Seite heraus. Unterdessen waren wir zu mehreren verzweifelt am Tanzen, um jede Bewegung der Kapo unmöglich zu machen. An diesem Tag wurde die sowjetische Soldatin gerettet. Sie waren so tapfer und solidarisch, und von solcher Würde!

Ein Kübel, der sich über den schwarzen Boden von Ravensbrück ergießt. Die Häftlinge, die ihn trugen, waren vor Erschöpfung hingefallen. Die Gruppe von Häftlingen, Skelette, sie warfen sich auf den Boden und leckten die Suppe auf. Die Stockschläge fielen unterschiedslos. Wieviele kamen mit dem Leben davon? Daß uns ja niemand entdeckte, wie wir durch die Fensterscheiben sahen; die ganze Baracke wäre mit einem Strafstehen über 12 oder 24 Stunden im Schnee bestraft worden.

Ich habe eine Straßenwalze von 900 Kilo gesehen – man kann sie heute noch in Ravensbrück sehen – von sechs Frauen gezogen, die dem Tode nahe waren. Dies nannte man „Planierung“. Unsere unvergessene Carmen Buatell mußte diese Arbeit machen. Viele Häftlinge starben, zerquetscht durch die Steinwalze. Das war zum Wahnsinnigwerden, ich habe es mit eigenen Augen gesehen.

Die Tage vergingen weiter, in gleicher Weise oder noch schlechter. Alles, was uns umgab, war Terror. Dieser Geruch nach verbranntem Fleisch oder nach Verwesung, und das unablässige Gewirr von Stimmen, ein unnachahmliches Geräusch, eine Mischung von Jammern, Gemurmel, Geheul, Klagen, Schreien, Zungenschnalzen, Keuchen, Gebell und den tausendundeins Flüchen jenes Turms von Babel. Und die Öfen im Krematorium arbeiteten unaufhörlich Tag und Nacht, bis sie auch die verschlangen, die sie sonst mit Menschenfleisch füttern mußten. Mit Toten und mit Lebendigen wie Sofía Litman, einer jungen spanischen Mutter. Und die Raben immer am Krächzen, die Beerdigungsmusik. Wenn der Ofen es nicht schaffte, wurden Gruben ausgehoben, mit Benzin wurden sie in Brand gesteckt.

Auf diese Weise verschwand eine große Zahl von jüdischen Kindern und Zigeunerkindern. Die SS ließ sie in mit Benzin besprengte Gruben hinabsteigen, und unter dem zynischen Vorwand, sie vor Bombenangriffen zu schützen, mit einem Bonbon in der Hand, wurden sie in Brand gesteckt. Einmal machten sie es so nahe am Lager, daß ihre Mütter ihre Schreie hörten und vor Schmerz verrückt wurden. Sie schrien so sehr, die armen Mütter, daß sie in einer Baracke ohne Essen und Trinken eingesperrt wurden, ohne Decke und ohne Toiletten, bis sie sich, wirklich verrückt geworden, gegenseitig zerrissen. Halbtot brachte man sie nach „Mittweida“, ein fiktives Lager, einen Ort der direkten Vernichtung.

Acht Tage nach unserer Ankunft fand ich die erste Laus bei mir, so groß und häßlich, daß ich mich übergeben mußte. Meine Kameradinnen machten sich lustig über mich. „Gut, wetten, daß wir alle Läuse haben, warum kratzen wir uns wohl so oft. Sucht nur, sucht, und ihr werdet die Antwort finden.“ Es gab sie zu Dutzenden, zu Hunderten. Diese verfluchten Tiere brachten mir die Totalrasur ein, als man uns zur Kleiderkammer brachte, um aus uns einen Teil der formlosen, ungestalteten Welt zu machen.

Nach einer mehrfach nacheinander abwechselnd kochend heißen oder eiskalten Dusche, die uns zu grotesken Verrenkungen veranlaßte, warfen sie uns ein Hemd und Hosen zu, die wie die Unterhosen der alten Bauern in der Ribera d’Ebre aussahen, einen Kittel und eine Jacke, halb aus Werg und halb aus dem Haar derer, die vor mir geschoren worden waren, mit blauen und schmutziggrauen vertikalen Streifen, und einer Kapuze, die dazu diente, das Haar zu bedecken und uns zu verunstalten, nicht, uns zu schützen.

Bei der Rückkehr in die Baracke sah ich mich mit meinem abrasierten Kopf in der Fensterscheibe an: „Wie ähnelst du dem ‘morito Mordejai’!“ Das Kleid war lang, ebenso wie die Jacke und die „Unterwäsche“, sie paßten mir. Die Strümpfe, die aus Wolle sein sollten, ohne Strumpfhalter, und die Schuhe mit einer Holzsohle und aus bunten Segeltuchstücken, Größe 42: sie waren mehr ein Witz. Dort verstand ich, warum die Frauen der Kleidung eine solche Bedeutung beimessen.

Nach der Entlausung und der Einkleidung kam die Personenaufnahme in der Kommandantur. Zurück in der Baracke, fast schon im Dunkeln, schnell eine Speckkartoffel und 60 Gramm Schwarzbrot, das mit Sägemehl vermischt war, runterschlingen, und dann deinen Teil des „Bettes“ finden – nur, wie es finden in völliger Dunkelheit?

Um drei Uhr morgens zeigte die Sirene das Ende des Terrors der Nächte an. Die einen waren am husten; andere weinten und schrien im Schlaf, wenn sie ihre Folterungen in den Verhören noch einmal durchlebten; andere brachen in Gelächter aus. Glücklich die, die einen unbeschwerten Schlaf hatten; ihr Erwachen war hart, aber sie hatten einige menschenwürdige Momente gehabt. Für uns, die wir nicht geschlafen, die wir einen erschöpfenden Husten unterdrückt hatten, für die, die überempfindlich alle Arten mysteriöser Geräusche gehört hatten, bedeutete die Sirene auch ein Leiden, aber eins im Tageslicht.

Vom Revier, der Krankenstation dieser Hölle, bewahre ich eine genaue Erinnerung an den Terror und die Schande, die wir erlitten. Junge und Alte, Erwachsene, Nonnen wie Schwester Maria und Mutter Elisabeth – alle mußten wir nackt und ohne hygienischen Schutz, wie ich ihn an jenem Tag brauchte, vor „Ärzten“ der SS und nazistischen „Krankenschwestern“ vorbeidefilieren. Sie schauten uns in den Mund. Wehe der, die Zahnersatz aus Gold hatte! Ihr Name wurde mit rotem Stift in dem Register markiert. Auch bei mir, die ich gerade anfing, zum Skelett zu werden, wurde der Name rot. Sie glaubten, daß ich Tuberkulose hätte.

Für jene, die Goldzähne hatten, für die zu alten, für die, die eine chronische oder unheilbare Krankheit hatten, sollte die Selektion sehr schnell kommen; man mußte Kosten sparen und das Zahngold bekommen. Acht Tage später wurde ich zur Röntgenuntersuchung wieder in den Krankenbau gerufen, aus dem nur wenige Kranke wieder herauskamen, es sei denn als Rauch durch den Schornstein. Während ich darauf wartete, an die Reihe zu kommen, betrachtete ich eine andere Deportierte. War es möglich, daß ein menschlicher Körper, an dem man alle Knochen sah, an der Stelle seiner Brüste zwei leere Höhlungen hatte und bei dem man hinter der Haut des Bauches die Eingeweide erkennen konnte, sich noch auf den Beinen halten konnte? Ihre angstvollen Augen beobachteten die Reaktion der Krankenschwester. „Gut arbeiten?“, fragte sie. „Nein!“, antwortete man ihr brutal, und sie ging und weinte über ihren Tod.

Ich betrachtete meinen entblößten Körper. Nein, ich habe keine Tuberkulose, ich hatte Hoffnung. Als ich zur Baracke kam (sie hatten „gut arbeiten“ gesagt), umarmten mich alle vor Freude. Auf jeden Fall hatten sie vorgesorgt und eine andere Nummer bereitgehalten, damit ich der Selektion entgehen konnte. Auf diese Weise wurde – dank der deutschen Antifaschistinnen, den ersten Bewohnerinnen des Lagers, und einer Gruppe Französinnen – meine Freundin Tony Lehr aus Österreich gerettet, die verurteilt worden war, geköpft zu werden.

Erneut der Weg in den Krankenbau, zur Vaginaluntersuchung unter so schandvollen wie erniedrigenden Bedingungen. Mit dem gleichen Instrument wurden ohne Desinfektion die Abstriche von allen genommen. Welcher Ekel und welche Angst! Dies war eine zusätzliche Tortur, die auf uns als Frauen angelegt war. Alle kamen wir voller Wut und niedergeschlagen heraus.

Wenn eine schön war, konnte sie für ein Bordell bestimmt werden, wie es einer Sängerin der Oper und der Frau eines sozialistischen Abgeordneten aus Belgien passierte. Wie viele andere begingen sie Selbstmord. Die Bordelle waren generell für die Kapos und für die nach dem Strafrecht Verurteilten, also die Kriminellen reinsten Wassers, vorgesehen. Zumindest war es in Ravensbrück so.

So, zwischen widerwärtigen und schrecklichen Szenen, lernten wir unsere „Aufgabe“ als Deportierte, deren erste Verpflichtung es war zu sterben. Einige hatten schnell den Schwarzhandel gelernt, für das Bruchstück eines Kammes voller Nissen gleich 60 Gramm Brot, und das waren die guten Zeiten. Am Morgen ein Fünftel Liter schmutziges und lauwarmes Wasser als Kaffee. Zum Mittag zwei Scheiben Rüben in einem Teller voller Wasser ohne Fett, auf dem Grund fanden sich manchmal kleine Fasern von Knochenhaut. Die Veteraninnen des Lagers, völlig ausgehungert, sagten uns, es sei Fleisch von Jüdinnen, und in den ersten Tagen, als „Rekrutinnen“, haben wir es nicht kapiert und haben ihnen unsere Ration überlassen. Am Abend: eine Kartoffel und 15 Gramm Käse, der aus fermentierten Kartoffeln gemacht war.

Wie konnte eine, die sich verspätet hatte, ihren Platz in diesem Labyrinth finden? Sie mußte die ganze Nacht vor Kälte zitternd auf dem Fußboden bleiben. Und wiederum setzte uns die Sirene wie eine Triebfeder in Gang; du mußt deine Kleidung und deine Schuhe anziehen, das Bett richtig rechteckig geordnet hinterlassen, rechteckig wie die Köpfe der Nazis; den „Kaffee“ trinken, dann der Zählappell vor der Baracke um Punkt vier, das synchrone „Zapzap“ unserer zu Tausenden zählenden Holzschuhe auf dem Weg zum Appellplatz.

Im Viereck aufgestellt erwarteten wir voller Schrecken, was das erste Verbrechen des Tages sein würde. Wir durchlitten eine solche Härte, daß wir jeden Morgen Leichname auf einem schrecklichen Feld der Ehre zurückließen. Jene Ärzte und Krankenschwestern, die selbst Deportierte waren, zerrissen sich, konnten aber wenig machen. Sie hatten keine Medikamente. Sie konnten in der Agonie nur ihre moralische Unterstützung geben. Im Krankenbau fehlte alles, und doch gab es einen Operationssaal, der mit den modernsten Instrumenten ausgestattet war.



Antonina Nikiforova, sowjetische Ärztin und eine bewundernswerte Frau, berichtet in ihrem Buch „Plus jamais Ravensbrück“ über erschreckende Dinge. Unter anderem erwähnt sie den Fall eines zwölfjährigen Zigeunermädchens aus Osteuropa, an dem man eine Totaloperation der Gebärmutter vorgenommen hatte und das man mit offenem Bauch, ohne Verband, sterbend liegen ließ. Dieses Mädchen schrie schrecklich, ohne Unterbrechung, bis es starb, bei lebendigem Leibe verfault. Den Müttern, die in dieser Zeit ein Kind zur Welt gebracht hatten, wurde das Baby in einem Wasserbottich ertränkt, während die Mütter fast am Kindbettfieber starben. Zuvor nahm man die Neugeborenen am Kopf und an den Füßen und riß sie mit einem Ruck auseinander.

In Ravensbrück starb man, wie in anderen Lagern, auf tausenderlei Arten eines „natürlichen Todes“: durch Typhus, Durchfall, Hunger, Folter, Benzineinspritzungen ins Herz oder in die Venen, die schrecklichste Schmerzen hervorriefen; durch weiße Pülverchen, die dich für immer einschläferten; durch Erschießungen, von den Hunden zerrissen, aufgehängt, durch Knüppel, zerquetscht von Güterwagen oder von der Straßenwalze, erstickt in den Latrinen.

Der Operationssaal war gut ausgestattet, aber er diente fast ausschließlich für Experimente. Den größten Teil führte der SS-Arzt Gebhardt durch. Für diese Experimente war eine Gruppe junger polnischer Mädchen ausgesucht, „Kaninchen“ genannt. Aus ihren Gliedmaßen wurden Nerven, Muskeln und Knochen entnommen. Mit ihren schrecklichen Verstümmelungen sahen wir sie, gut genährt, im Lager umhergehen. Man erfuhr, daß sie umgebracht würden, um keine Spuren von den an ihnen verübten Verbrechen zu hinter-lassen. Es war die Solidarität anderer Gefangener, die es ermöglichte, daß einige gerettet wurden.

Um uns ganz zu „Untermenschen“ zu machen, begann man, uns in Gruppen von 40, in Fünferreihen, aus dem Lager zu holen. Mit riesigen Schaufeln auf dem Rücken mußten wir Fürstenberg durchqueren: kleine Häuser mit weißen Gardinen, Blumen zwischen den Doppelfenstern, Häuser aus roten Ziegeln. Gefängnis und Lager hatten einen Teil unserer Erinnerung ausgelöscht. So schön ist die Erde!

An einem freien Gelände angekommen, mußten wir einen riesigen Berg Erde von der rechten Seite zur linken und wieder zurück bewegen. Auf den ersten Pfiff setzte sich die erste Schaufel in Bewegung, und nach weniger als einer Minute waren alle vierzig Schaufeln in Bewegung.

Soweit wir noch einen Sinn für Komik oder Spaß hatten, imitierten wir Chaplin aus „Moderne Zeiten“, aber nach einer Stunde spürten wir die Wirkung der irrationalen Arbeit. Diese Irrationalität paßte völlig in die Logik der Nazis. Tod durch Erschöpfung.

Wenn wir aus Unvorsichtigkeit die Position der Schaufel veränderten, blieb die Haut von unseren Händen kleben; von diesem Augenblick zweifelte ich nicht mehr daran, daß jene schönen Häuschen mit Blut gebaut waren: „An jedem Ziegelstein ein Tropfen vom Blut eines deutschen Antifaschisten“, war uns gesagt worden. Es waren Wohnungen für die SS-Leute und ihre Familien, kleine Kinder, die uns mit Steinen bewarfen.

Eine andere Arbeit meiner Gruppe war es, das Sumpfland trockenzulegen. Knöcheltief im eiskalten Wasser mußten wir Bewässerungsgräben ausheben. Aber Vorsicht, verschwendet wurde dort nichts; mit bloßen Händen, ohne Schnur und ohne Form mußten wir perfekte Lehmziegel herstellen und sie höher auftürmen als wir selbst groß waren. Zwölf Stunden täglich diese Arbeit, und nach 20 Tagen warst du so fertig, daß du reif für den Schlachthof warst.

Auf dem Rückweg zum Lager mußten wir direkt am Hundezwinger vorbeilaufen; 200 Wolfshunde, die von unserem Geruch wild wurden. Ich passierte die Strecke immer, ohne Luft zu holen; eine tödliche Angst paralysierte mich: wenn plötzlich die Tore aufgingen... Erschossen zu werden war ein schrecklicher Gedanke – aber von einem Hund zerrissen zu werden?

Ich habe gesagt, daß es in Ravensbrück niemals einen Augenblick der Stille gab. Plötzlich, eines Morgens Ende März 1944, war eine totale Stille entstanden, wie durch Zauberhand. Was sahen wir plötzlich vor unserer Baracke? Himmler höchstpersönlich, den Chef der Gestapo und aller Vernichtungslager, mit seinem Stab. Welch unheimliches Einherstolzieren! Wozu ist er nach Ravensbrück gekommen? Sein Besuch sollte das Vorspiel massiver Gemetzel sein...

Die Ereignisse überstürzten sich; wir sabotierten weiter, und sie mähten weiterhin Leben nieder. Sie waren irrsinnig und grausam bis zum letzten Moment. Bei einem der Appelle erschlug der SS-Chef des Lagers mit dem Stock eine Kameradin zu meiner Rechten. Dies war ein Lager von Verrückten. Die Nazis und wir schienen wie in einer Tretmühle, in einem Schöpfrad ohne Eimer eingespannt.

Die Bombardements und das Maschinengewehrfeuer der Alliierten verstärkten sich, die Bestrafungen und der Hunger noch mehr. Wir aßen Kartoffelschalen und verfaulte Rüben. Ich habe rohe Schnecken gegessen, Kleeblätter, Kiefernsprossen. Man konnte uns nicht mal mehr nach Flossenbürg überführen, um uns dort im Gas zu töten. Sie setzten uns zu Trümmerarbeiten ein, und so kamen einige ums Leben. Manchmal kamen wir alleine zum Lager zurück.

In der Ferne hörten wir den Lärm der Kämpfe an der sowjetischen Front. Im Westen ergaben sich die Deutschen ohne Widerstand den Amerikanern. Am 3. Mai, um 11 Uhr nachts, sahen wir von Prag her kommend, 80 Kilometer von Holleischen entfernt, eine mehrere Kilometer lange ununterbrochene Feuerfront.

Wie wunderbar! Würden sie rechtzeitig kommen?

Glücklich waren wir, wenn wir, querfeldein in Bombentrichter springend oder fallend, Gras fanden. Unsere Beine knickten um, ein Windhauch warf uns zu Boden. Ach Westfront! Vorwärts, vorwärts, hin zu denen, die am Sterben sind, aber leben wollen. Aufgeregt und voller Sehnsucht erwarteten wir den Schlußakt unserer Tragödie.

Am Morgen des 5. Mai verschlossen sie unsere Baracken mit Vorhängeschlössern und schweren Eisenstangen. Was hatten sie mit uns vor? Für den Fall, daß die SS bis auf 10 Kilometer eingeschlossen war, wußten wir, daß sie den Befehl hatten, alles zu zerstören.

Sie sollten keine Spuren ihrer schrecklichen Verbrechen zurücklassen. Wir aßen das Stück Brot, das sie uns gegeben hatten, die höchste Befriedigung des Verurteilten. Um halb zwölf vormittags befreite uns eine Gruppe Guerrillakämpfer. Uff! Das Lager war vermint und sollte um Punkt zwölf in die Luft fliegen.

Den Kommandanten unseres Lagers, den dritten und schlechtesten von allen, zwangen sie, die teuflische Maschinerie zu entschärfen, und erschossen ihn ohne weitere Umstände in einem Straßengraben, 50 Meter vom Lager entfernt. „Ihr könnt ihn euch ansehen“, sagten uns die Befreier. Ich war verblüfft. Ich fühlte keinen Haß und keine Freude. Nichts, nichts!

Ich war frei, und erstmals weinte ich nicht Tränen der Wut, sondern der Rührung. Was war mit Albert, meinem Mann (der nicht mehr aus den Lagern zurückkehrte)? Mit den Meinen? Mit denen aus der Résistance in Frankreich und Spanien?

Ich wollte das Lager nicht verlassen; die Freiheit zog mich nicht an, ich hatte Angst vor der Rückkehr. Ich hatte sie in den Wochen, Tagen und Stunden vor der Befreiung schon in Träumen durchlebt. Das Wissen darum, daß die Feinde vernichtend geschlagen waren, gab mir eine solche Energie, daß ich nicht an den Tod dachte. Wir hatten, unter immensen Gefahren, Teil am Sieg, und das war das Wichtigste.

Amalie Schaich

Zeuginnenaussage
In Ravensbrück war ich auch Zeuge, wie die SS-Ärzte junge Sinti-Mädchen zwangssterilisiert haben. Sie wurden von den Blöcken abgeholt um ‚operiert' zu werden - das ist abgelaufen wie auf einer Schlachtbank. Die Mädchen haben so sehr geschrieen, dass ich mir die Ohren zugehalten habe, weil eich es nicht mehr ertragen konnte. Das Schlimmste war, dass viele Mädchen jünger waren, als sie sich ausgegeben haben. Wir lebten ja in ständiger Furcht, dass die Kinder erneut ausselektiert und nach Auschwitz zurückgeschickt werden. Von einem Kind, das sterilisiert worden ist, wusste ich, dass es erst sieben Jahre alt war.

Inge Schwark

"Meine Mutter war von Mitte 1944 bis zum sogenannten 'Todesmarsch' im Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert. Einmal befand sie sich zufällig auf der Lagerstraße, als ein 'Zigeunertransport' eintraf. Sie kam von der Arbeit - sie mußte damals in der Kleiderkammer Zwangsarbeit leisten - und hatte unter ihrem Häftlingskleid ein Kleidungsstück für eine kranke Kameradin herausgeschmuggelt. Meine Mutter war deshalb sehr vorsichtig, um bei der SS nicht aufzufallen.

Als die SS-Männer den Transport mit Sinti und Roma vorbeitrieben, stellte sie sich daher von der Lagerstraße weg an die nächste Baracke. Von dort aus konnte sie erkennen, daß in dem ankommenden Transport der Sinti und Roma sehr viele Kinder waren. Diejenigen Kinder, die nicht mit den Erwachsenen Schritt halten konnten, wurden immer wieder von der SS mit Gewehrkolben vorangetrieben.

Plötzlich sah meine Mutter, wie sich ein kleiner Sinti-Junge von etwa fünf Jahren bückte, um etwas aufzuheben, was ihm heruntergefallen war. In diesem Augenblick schlug ein SS-Mann dem Jungen mit dem Gewehrkolben auf den Kopf und zertrümmerte ihm den Schädel. Mit einem Fußtritt schleuderte der SS-Mann den Gegenstand, nach dem sich das Kind gebückt hatte, an den Rand der Lagerstraße. Meine Mutter konnte jetzt erkennen, daß es ein kleiner Teddybär war. Als der Transport vorüber war, hat sie einen passenden Moment abgewartet und den Teddybären zu sich genommen, um ihn zu verstecken. Viele Monate lang hat sie ihn heimlich aufbewahrt, nachts an ihrem Körper getragen und schließlich mit auf den Todesmarsch genommen. Die Geschichte mit dem Jungen und seinem Teddybären hat sie niemals losgelassen, bis zu ihrem Tod hat sie immer wieder davon gesprochen."

Name der Häftlinge

Adelhütte Emilie (geb. Salen) Köln (Preußen, Rheinprovinz, Regierungsbezirk Köln Stadt und Landkreis Köln)
überstellt 1942 (innerhalb der Sonderbehandlung 14 f 13) nach Landes-Heil- und Pflegeanstalt in
Bernburg (Saale)

Anspacher Dora Bremen (Land Bremen)
überstellt am 26.01.1940 (innerhalb der Sonderbehandlung 14 f 13) nach Landes-Heil- und Pflegeanstalt in
Bernburg (Saale)

Buchmann Erika München Land Bayern, Regierungsbezirk Oberbayern
1939-40 und 1942-1945

Namensliste der Opfer

Täter

SS-Unterscharführer
Binder Gustav
* Wallern in Oberösterreich
letzter bekannter Wohnort: Himmelpfort bei Ravensbrück

SS-Hauptsturmführer
Opitz Fritz

SS-Oberscharführer
Graf Josef

Oberaufseherin
Binz Dorothea

Kalfaktorin
Salvequart Vera

Ärztin Dr. med.
Oberheuser Herta (Lagerärztin)

Verfahren nach 1945

NS-Archiv des MfS, Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt
Obj. 14 ZD 54/3029/03
Ermittlungsverfahren (nach SMAD-Befehl 201; Kontrollrats-Gesetz Nr. 10; Kontrollrats-Direktiven Nr. 24 und Nr. 38) gegen die ehemalige Aufseherin im KZ-Lager Ravensbrück Hildegard Römisch, geb. Tröger, geb. 18.02.1911, wegen des Verdachts der Beteiligung an Misshandlungen von KZ-Häftlingen