Sobibor

Am 02.03.1943 verläßt ein Sonderzug mit 1105 Personen das Polizeiliche Durchgangslager Westerbork mit Ziel Sobibor. Der Transport erreicht das Vernichtungslager Sobibor am 05.03.1943

Bericht

Der erste Transport nach Sobibor fuhr am 2. März 1943 in Westerbork ab. Er beförderte 1001
Deportierte (einige Quellen sprechen von 1111), davon 412 Männer und 689 Frauen. Laut einer von Aline Pennewaard erarbeiteten Studie war die Mehrheit der auf diesem Transport Deportierten erst wenige Tage vor ihrer Abfahrt in Westerbork eingetroffen. Die meisten wohnten zuvor in Amsterdam, eine Gruppe von 268 Juden war allerdings am 26. Februar in verschiedenen jüdischen Einrichtungen in Rotterdam festgenommen worden. Unter ihnen befanden sich Patienten und Personal (Ärzte und Schwestern) des jüdischen Krankenhauses, Bewohner eines Altersheims und Kinder aus einem Waisenhaus. Die Verhaftungen in Rotterdam wurden von W.A.-Leuten (Angehörigen der Weerbaarheidsafdeling, der Miliz der Nationaal-Socialistischen Beweging) gemeinsam mit deutschem Sicherheitspersonal und niederländischen Polizisten brutal durchgeführt.

Die älteste Deportierte war eine 97-jährige Witwe; der jüngste ein zwei Monate zuvor in Westerbork geborener Säugling. 72 der Deportierten waren als „Häftlinge“ klassifiziert – eine Bezeichnung für Juden, die im Versteck oder beim Verstoß gegen eine antijüdische Verordnung (wie dem Tragen des Gelben Sterns oder die Ausgangssperre ab 20 Uhr) verhaftet wurden. Ihre Sonderbehandlung hatte schon in Westerbork begonnen, wo man sie in gesonderten Baracken unterbrachte, ihnen den Kopf schor und blaue Arbeitskleidung verpasste.

Über die genaue Fahrtroute dieses Zugs nach Sobibor liegen keine genauen Angaben vor. Der Transport traf am 5. März in Sobibor ein, die meisten Deportierten wurden gleich nach der Ankunft in die Gaskammern geschickt und dort ermordet. Laut Berichten des Roten Kreuzes wurden allerdings wohl einige Deportierte zur Zwangsarbeit selektiert. Der Historiker und Überlebende Jules Schelvis entdeckte Postkarten und Briefe von 13 Personen, die sich auf diesem Transport befanden. Die Postkarten wurden vom Lager „Alter Flughafen“ in Lublin in die Niederlande gesendet und trafen dort sämtlich am 7. September 1943 ein, annähernd sechs Monate nach dem Transport. Zwei von Deportierten aus Auschwitz-Birkenau abgesandte Briefe erreichten die Niederlande im Januar 1944. Niemand von diesem Transport hat überlebt.

Dov Freiberg, ein in Warschau geborener Sobibor-Insasse, war offensichtlich zugegen, als der Transport eintraf. In seinen Memoiren erinnert er sich:

„Einer der Transporte aus Holland brachte die gesamte Belegschaft eines jüdischen Krankenhauses – Ärzte, Schwestern, Verwaltung und Patienten. Die Krankenhausverwaltung organisierte sie geschwind. Bevor noch alle Leute aus den Waggons ausgestiegen waren, war das Krankenhaus schon in Betrieb. Auf freiem Feld neben den Baracken wurde ein Tisch aufgestellt, an den sich dann jemand setzte – wohl der Krankenhausdirektor −, und um ihn herum standen Ärzte und Schwestern in weißen Kitteln, die Listen prüften und Medikamente verteilten […] Der Ort wurde in ein Feldlazarett verwandelt. Schwestern halfen den Patienten, zum Lager 2 zu laufen, einige wurden auf Bahren getragen. Das Verwaltungspersonal wandte sich gelegentlich an die Deutschen – offensichtlich, um um Sachen zu bitten, die sie für die Patienten benötigten −, und wie es scheint, war es den Deutschen gelungen, sie bis zum letzten Moment hinters Licht zu führen. Nach kurzer Zeit waren alle ins Lager 2 gebracht worden

Quelle: yad vashem

Hon Brundhilde aus Hadamar

Meine Lieben !
Jetzt sind wir noch in Holland, und ich will Euch von hier ein paar Grüße senden.
Es ist 12.30, und in einer halben Stunde passieren wir die Grenze. Wir sind
alle guten Mutes, und unser Vorhaben ist, auch weiterhin tapfer zu bleiben.
Wir dürfen nichts rauswerfen. Ich habe durchs WC eine Karte geschmissen.
Hoffentlich findet man sie.

Jetzt stehen wir still, und ich schreibe weiter. Wir haben gute Sitzgelegenheit.
Direkt am Fenster, also schöne Aussicht nach draußen. Im Augenblick sind wir in
Nieuwschanz. Der Zug fährt wie ein Bummelzug und macht jede halbe Stunde Halt.
Wir haben das schönste Coupé und sitzen bei der grünen Polizei nebenan. Ich bin
todmüde. Ist kein Wunder, bin heute Nacht erst nach 2 Uhr eingeschlafen. Es ist 2 Uhr,
und wir sind jetzt in Deutschland. Weener heißt das Dorf, wo wir im Moment sind.
Ein kleines Grenzkaff.

Der Zug rollt, und immer näher kommen wir dem Ziel jenes Ziels! Unserer Begleiter
sind hochanständig. Ihr wißt wohl, was ich damit meine. Einer von ihnen hat eben
eine ganze Weile mit uns gequatscht, und wenn wir herausgucken, dann lächelt er.
Man muß auf jeden Fall mittun, vielleicht hat man dadurch einen Vorteil.
Ich kann es mir fast nicht vorstellen, dass es Wirklichkeit ist. Der Abschied von Meyr,
Froman und Jefr. Frank fiel mir doch schwer, obwohl sie die letzte Zeit nicht mehr
nett zu uns waren. Gerade fahren wir durch Lehr. Sagt Leo de Fries; wir hätten die
Grüße weitergegeben. Jetzt sind wir schon in Oldenburg.

Gestern Abend um 5 Uhr hörte ich auf, und dann kam die Nacht.
Der Zug fuhr vollkommen ohne Licht, und es war stockfinster. Noch ein Mädel und
ich, wir haben die ganze Nacht bei den Grünen nebhenan gesessen und haben uns
unterhaltren und haben geraucht. Sie haben uns reingerufen und uns warmen Kaffeee
gegeben. Aber bitte erzählt es nicht weiter. Ihr versteht mich wohl? Jetzt sind wir in
Hirschberg und haben soeben Brot und Jam bekommen. Wasser haben wir ein
paarmal holen dürfen. Wir sind jetzt in Breslau-Neukirch und haben soeben Juden am
Wege arbeiten sehen. Die Leute sehen schlecht aus und sie haben Essbewegungen
gemacht. Was es bedeuten soll, weiß man nicht.

Wir haben alle vollauf zu essen und zu trinken. Meine Lieben! Schickt diesen Brief an
meine Verwandten in Hertzogenbosch. Lasst diesen Brief an Honis alle Bekannten
lesen, ebenso Bachrach. Doris Katz sitzt neben mir im Coupé und lässt grüßen.
In der Nähe sehen wir ein kleines Barackenlager, das sehr viel Ähnlichkeit mit
Westerbork hat. Die Männer arbeiten am Schienenbau unter Aufsicht von grüner
Polizei. Sie haben auf der Brust und auf dem Rücken einen Stern. Was in uns vorgeht,
kann ich mit Worten nicht sagen. Vielleicht ist mein Vati dort. Gesichter kann man
nicht erkennen.

An der Grenze war nichts los, und es ist alles glattgegangen. Im Moment ist ein
furchtbarer Schneesturm. 4.30 Uhr hinter Breslau schlechtes Wetter. Soeben hat uns
die grüne Polizei von ihrem eigenen warmen Kaffee abgegeben. Unerhört, was?
Also lebt wohl, alles Gute für Euch alle, unzählige Grüße und Küsse.
Eure Hilde

Tot ziens in vrede.
Ich denke stets an Euch. Wir haben wieder Juden gesehen, mit nur einem Stern auf der Brust.

04.03.1943
Meine Lieben!
Gestern Abend habe ich meinen Brief beendet, und jetzt will ich Euch noch eben meine
Eindrücke von Polen schildern.
Es ist alles fast unbearbeitet und liegt brach. Die Häuser sehen sehr arm und
schmutzig aus. Wie man sagt, gibt es hier viel Wanzen, also Insektenpulver mitnehmen
Mit Wasser ist es hier in Polen sehr schlecht. Auf jeden Fall bewahrt etwas bis nach
Auschwitz. Wenn es geht Eau de Cologne oder Creme zum Gesichtwaschen.
Nochmals alles Gute, Tausend innige Küsse und Grüße, stets bin ich
Eure Hilde
Wir fahren nach Krakau, Warschau und Lublin. Ob wir jemals nach Auschwitz
kommen, wissen wir nicht. Es ist sehr kalt im Zug. Man soll sich dort dick anziehen.
Ich schwitze kein bisschen...

05.03.1943
Meine Lieben!
Heute ist schon Freitag, und wir sitzen bereits vier Tage im Zug. Heute Nacht um 1.30
Uhr kamen wir in Lublin an, und es stand der Zug still bis ca. 2 Uhr. Die Lokomotive
musste einen Zug zur Front bringen. Es war eiskalt, und bis jetzt habe ich in jeder
Nacht fast kein Auge zugetan.
Jetzt erst fahren wir nach Auschwitz, haben einen Riesenumweg gemacht. Der Zug
fährt den Weg wieder zurück, denn an Auschwitz waren wir schon lange vorbei.
Was das bedeutet, wissen wir nicht. Bei uns im Zugabteil ist alles gesund. In den
übrigen Wagen sind bis heute schon vier Tote. Einer hat sich erhängt.
Wir denken, die ganze Nacht durchfahren zu müssen. Wir sind jetzt 77 Stunden
unterwegs.
Ich denke viel an Euch alle, in Gedanken seid Ihr stets bei mir.