Die Erwachseneneuthanasie

Die Erwachseneneuthanasie war eine durch die nationalsozialistischen Machthaber betriebene, in allen Einzelheiten geplante Massentötung durch ein eigens entwickeltes Erfassungsverfahren ausgewählter, mehr oder minder geistig erkrankter Insassen von Heil- und Pflegeanstalten.

Ideologischer Ausgangspunkt dieser Aktion waren der nationalsozialistischen Gedankenwelt entstammende Wunschbilder wie Volksgesundheit, Rassereinheit, Herrenmenschentum und Elitezüchtung. Solche Wunschvorstellungen führten zur Abstempelung ganzer Menschengruppen als Untermenschen oder auch lebensunwertes Leben. Als Beurteilungsmassstab diente auch der rein wirtschaftliche Nutzen eines Menschen, was dazu führte, dass insbesondere arbeitsunfähige Geisteskranke oder solche mit eingeschränkter Arbeitsfähigkeit als Ballastexistenzen hingestellt wurden. Adolf Hitler, der sich bereits in seinem Buch Mein Kampf mit der Frage der Menschenauslese und einer Korrektur des Minderwertigen zugunsten des Besseren befasst hatte, äußerte im Jahre 1935 dem damaligen Reichsärzteführer gegenüber, dass er sich der Schwierigkeiten und Widerstände bewusst sei, die der von ihm als notwendig erachteten Vernichtung lebensunwerten Lebens entgegenstünden, und dass er sich deshalb eine Lösung dieser Fragen für den Fall eines Krieges vorbehalte. Er glaubte, dass die Tötung von Geisteskranken in einem Krieg, in dem ohnehin ein großes Sterben stattfände, nicht mehr in dem Maß auf Widerstände stoßen würde wie in Friedenszeiten.

Die ersten praktischen Maßnahmen auf dem Gebiet der sogenannten Euthanasie wurden durch Gesuche um Gewährung des Gnadentodes veranlasst, mit denen sich die Gesuchsteller infolge der entsprechenden nationalsozialistischen Propaganda an Hitler wandten, um seine Einwilligung zur Tötung der kranken Angehörigen zu erlangen. Die Gesuche gingen in der Kanzlei des Führers der NSDAP ein. Hitler hatte sich diese Dienststelle neben der Parteikanzlei und der Reichskanzlei als private Kanzlei geschaffen. Ihre Aufgabe bestand im Wesentlichen in der Bearbeitung der Privatangelegenheiten Hitlers sowie aller an ihn persönlich gerichteten Gesuche und Eingaben. Aus einem ursprünglich kleinen Büro entwickelte sie sich bis zum Jahre 1938 zu einem umfangreichen behördenartigen Gebilde, das in fünf Hauptämter gegliedert war und der Leitung von Reichsleiter Philipp Bouhler unterstand.

Bei den Hauptämtern handelte es sich neben anderen um das Hauptamt I (Privatkanzlei Hitlers) unter der Leitung von Oberdienstleiter Albert Bormann und das Hauptamt II (Angelegenheiten betreffend Staat und Partei) unter der Leitung von Oberdienstleiter Viktor Brack.

Das Hauptamt II gliederte sich in Einzelämter, nämlich in das Amt II a, das dem SA-Oberführer Werner Blankenburg, der kein eigenes Sachgebiet bearbeitete, vorbehalten war, sowie in die Ämter IIb, IIc und IId. Das Amt IIb unter der Leitung des Zeugen Dr. Hef., dessen ständiger Vertreter der Zeuge von Hegener war, bearbeitete die Angelegenheiten aus dem Bereich der Reichsministerien und deren nachgeordneten Geschäftsbereichen mit Ausnahme von Wehrmacht, Polizei und Sicherheitsdienst (SD). Das Amt IIc, seit 1937 unter der Leitung des Angeklagten Vorb., hatte als Sachgebiet Angelegenheiten der Wehrmacht, Polizei und des SD und zeitweise Kirchenangelegenheiten.

Die bei der Kanzlei des Führers eingehenden Gesuche um Gewährung des Gnadentodes wurden durch das für diese Angelegenheiten zuständige Amt IIb an Hitler persönlich weitergeleitet. Ein derartiges Gesuch wurde Ende 1938 / Anfang 1939 auch hinsichtlich eines in der Kinderklinik in Leipzig befindlichen Kindes namens Knauer durch dessen Angehörige an Hitler gerichtet. Dieses Kind war blind, idiotisch und hatte nur zwei Extremitäten. Hitler sandte darauf seinen Leibarzt Dr. Brandt nach Leipzig. Auf Grund der übereinstimmenden Beurteilung des Krankheitszustandes des Kindes durch Brandt und den Leiter der Leipziger Kinderklinik Professor Catel erteilte Hitler die Erlaubnis zur Tötung des Kindes, die dann auch erfolgte. Für den Fall eines Strafverfahrens wegen dieser Tötung hatte Hitler zugleich die Niederschlagung des Verfahrens angekündigt.

Hitler erteilte darauf dem Reichsleiter Bouhler und seinem Leibarzt Dr. Brandt die mündliche Ermächtigung, in ähnlichen Fällen entsprechend zu verfahren. Er ordnete an, dass künftige Gesuche um Gewährung des Gnadentodes in alleiniger Zuständigkeit der Kanzlei des Führers unter Mitwirkung von Brandt zu bearbeiten seien, und zwar als Geheime Reichssache, um ein Bekanntwerden derartiger Fälle in der Öffentlichkeit und damit deren Beunruhigung zu vermeiden. Die Kanzlei des Führers durfte dabei jedoch nicht als sachbearbeitende Dienststelle in Erscheinung treten. Deshalb wurde als Unterabteilung der Kanzlei des Führers ein Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden (Reichsausschuss) gegründet, mit dem eine wissenschaftliche Forschungseinrichtung vorgetäuscht werden sollte. Auf Veranlassung von Brandt berief der Zeuge Dr. Hef. ein beratendes Ärztegremium zusammen, dessen Aufgabe darin bestand, Richtlinien für die künftige Behandlung der sogenannten Euthanasieangelegenheiten auszuarbeiten. Das führte zu dem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 18.08.1939, mit dem eine Anzeigepflicht für Ärzte und Hebammen eingeführt wurde. Sie hatten jedes neugeborene Kind mit bestimmten schweren geistigen oder körperlichen Leiden formularmäßig dem Gesundheitsamt zu melden.

Außerdem wurden sogenannte Kinderfachabteilungen in etwa 21 verschiedenen Krankenanstalten eingerichtet. Die auf Grund des Ministerialerlasses eingegangenen
Meldebogen wurden nach Aussonderung der leichteren Fälle nacheinander drei ärztlichen Gutachtern des Reichsausschusses zugeleitet. Nach Abschluss des Begutachtungsverfahrens, das in Zweifelsfällen eine Beobachtung der Kinder in den Kinderfachabteilungen einschloss, wurden die Kinder, für deren Tötung die Gutachter votiert hatten, in den Kinderfachabteilungen mit Medikamenten getötet. Diesen Maßnahmen sind bis zum Ende des zweiten Weltkrieges tausende von Kindern zum Opfer gefallen.

Im Jahr 1939 hielt Hitler die Zeit für gekommen, auch die von ihm geplante Tötung erwachsener Geisteskranker in die Tat umzusetzen. Im Sommer 1939 erörterte er die Frage der Tötung erwachsener Geisteskranker mit dem Chef der Reichskanzlei Dr. Lammers und dem Reichsgesundheitsführer Dr. Conti. Er beauftragte zunächst Conti, diese Frage mit Unterstützung Lammers zu prüfen. Den Auftrag zur Durchführung einer solchen Aktion erteilte er jedoch dann im August 1939 mündlich an Bouhler und Brandt, die bereits mit der Kindereuthanasie befasst waren und um Erweiterung der ihnen erteilten Ermächtigung auf die erwachsenen Insassen von Heil- und Pflegeanstalten nachgesucht hatten. Bei der Besprechung mit Lammers motivierte er das Tötungsvorhaben mit der Erlösung schwer Geisteskranker von ihrem Leiden durch den Tod. Als weiteres Motiv gab er bei dieser Besprechung und danach auch Bouhler und Brandt gegenüber die Beschaffung von Lazarettraum sowie die Freistellung von Ärzten und Pflegepersonal für Kriegszwecke an. Nach dem Wunsch Hitlers sollte die Angelegenheit eine schnelle und völlig unbürokratische Lösung unter strenger Geheimhaltung sowie möglichst ohne Einschaltung staatlicher Stellen erfahren.

Entsprechend diesem von Hitler erteilten Auftrag errichteten Bouhler und Brandt eine Organisation zur Tötung erwachsener Geisteskranker. Dabei wurde wiederum das Amt II der Kanzlei des Führers tätig, das bereits mit der Kinderaktion befasst war. Das ganze Unternehmen wurde zur Geheimen Reichssache erklärt und demgemäß behandelt. Bouhler und Brandt wandten sich an den Sachbearbeiter für das Irrenwesen bei der Gesundheitsabteilung des Reichsinnenministeriums Dr. Linden, der bereits im Zusammenhang mit dem Reichsausschuss mit der sogenannten Euthanasie befasst worden war. Auf Vorschlag Dr. Lindens wählten Bouhler und Brandt eine Anzahl von Ärzten aus, die zur Beteiligung an der Erwachseneneuthanasie geeignet erschienen. Es handelte sich um etwa 14 Personen, und zwar Universitätsprofessoren, unter ihnen der Ordinarius für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Berlin Professor de Crinis und der Ordinarius für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Würzburg Professor Heyde, sowie andere, und zwar überwiegend leitende Ärzte von Heil- und Pflegeanstalten. Dieses Gremium wurde im August 1939 zu einer Vorbesprechung nach Berlin eingeladen. Bouhler erläuterte dabei den Anwesenden den ihm und Brandt von Hitler mündlich erteilten Auftrag zur Durchführung der Euthanasie-Maßnahmen. Er wies auch darauf hin, dass Hitler den Erlass eines Gesetzes abgelehnt und die unbedingte Geheimhaltung der beabsichtigten Tötungsmassnahmen angeordnet habe, dass aber die Mitarbeiter an dieser Aktion vor einer Strafverfolgung geschützt seien. Er führte den Anwesenden ferner vor Augen, dass die Tötung eines Teils der Anstaltsinsassen die ärztliche Versorgung der übrigen gewährleiste und zum Freiwerden von Lazarettraum und Personal für Kriegszwecke führe. In der Folgezeit fanden eine Reihe von weiteren derartigen Konferenzen statt, in denen die praktische Durchführung der beabsichtigten Euthanasie-Maßnahmen erörtert wurde. Ende September 1939 weihte Brack den Zeugen Dr. Boh. in die Aktion ein und veranlasste ihn zur Mitwirkung.

Es kam auch zu Besprechungen unter Beteiligung von Brack, Blankenburg, Dr. Hef. und Dr. Linden mit dem Ziel, eine schriftliche Fassung des von Hitler an Bouhler und Brandt schon mündlich erteilten Auftrags zur Durchführung der Massentötungen auszuarbeiten. Hitler billigte schließlich im Oktober 1939 eine auf den 01.09.1939, den Tag des Kriegsausbruchs, rückdatierte Formulierung. Zur Niederschrift wurde ein Privatbriefbogen Hitlers aus dessen Privatkanzlei verwendet. Er trug links oben das Hoheitszeichen der NSDAP. Nach dem Diktat Blankenburgs schrieb die Zeugin Li. den Text mit einer Schreibmaschine darauf nieder. Anschliessend wurde das Schreiben Hitler vorgelegt, der es unterzeichnete.

Das Schreiben lautete wörtlich wie folgt:

Adolf Hitler Berlin, den 01.September 1939

Reichsleiter Bouhler und
Dr.med. Brandt
sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.

Adolf Hitler.

Brack nahm das Schreiben sowie mehrere Fotokopien davon in seinen Panzerschrank in Verwahrung.

Im Zuge des Aufbaues der Organisation für die geplanten Massentötungen wurde in Berlin eine besondere Zentraldienststelle eingerichtet, die ausserhalb der Kanzlei des Führers untergebracht war, und zwar zunächst im Columbushaus, Potsdamer Platz 1. Anfang des Jahres 1940 wurde die Zentraldienststelle in die zu diesem Zweck gemietete Privatvilla Tiergartenstrasse 4, abgekürzt T4, verlegt. Fortan diente die Abkürzung T4 unter den Beteiligten als Bezeichnung der Zentraldienststelle. Das erforderliche Verwaltungspersonal wurde im Wege der freien Vereinbarung, der Dienstverpflichtung und der Abordnung herangezogen. Mitarbeiter wurden vor ihrer Einstellung in das Tötungsunternehmen in ihren Aufgabenbereich eingeweiht. Sie mussten ferner unterschriftlich bestätigen, dass sie über die Pflicht zur strengsten Geheimhaltung und die ihnen bei Verstoß gegen dieses Verbot drohenden Strafen belehrt worden seien.

Die Zentraldienststelle gliederte sich in sechs Abteilungen:
a) Die medizinische Abteilung unter der Leitung von Prof. Dr. Werner Heyde, von Dezember 1941 ab unter Prof. Dr. Paul Nitsche, war zuständig für die Erfassung der für die Euthanasie in Betracht kommenden Anstaltsinsassen. Ihr unterstand auch das Arzt- und Pflegepersonal der für die Durchführung der Massentötungen eingerichteten Euthanasie-Anstalten. Im Rahmen dieser Abteilung erhielten Heyde, Nitsche und Linden die Funktion von Obergutachtern in den Verfahren zur Erfassung der Anstaltsinsassen. Hinzu kamen etwa weitere 40 Ärzte als Gutachter.

b) Die Büroabteilung unter dem Zeugen Dr. Boh., vom Sommer 1940 ab unter Friedrich Til., der von einem gewissen Schüppel vertreten wurde, hatte die Aufsicht über alle Verwaltungsarbeiten, die in den Euthanasie-Anstalten nach den Tötungen anfielen.

c) Die Hauptwirtschaftsabteilung unter Willy Schneider, später Fritz Schmiedel und danach Robert Lor., hatte die persönliche und sachliche Ausstattung der Zentraldienststelle sowie der ihr angegliederten Anstalten zu verwalten.

d) Die Transportabteilung unter der Leitung des Angeklagten Vorb., dessen Aufgaben später weitgehend von Sie. und Krauss übernommen wurden, führte den Abtransport der für die Tötung ausgewählten Kranken aus den Verwahranstalten in die Tötungsanstalten durch und erledigte die im Zusammenhang damit stehenden Verwaltungsarbeiten.

e) Die Personalabteilung stand unter der Leitung des SS-Hauptsturmführers Friedrich Haus mit dem Zeugen Arnold O. als Vertreter und Nachfolger sowie dem Zeugen Reinhold Kau. als sogenanntem Sozialbetreuer.

f) Der Inspektionsabteilung unter der Leitung des Zeugen Adolf Gustav Kau. oblag die Auswahl und Einrichtung der Euthanasieanstalten.

Im Verkehr nach außen, insbesondere bei der Korrespondenz, trat die Zentraldienststelle je nach dem, um welche Angelegenheit es sich handelte, unter verschiedene Bezeichnungen auf.

a) Als Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten (abgekürzt: RAG) handelte die Zentraldienststelle vor allem bei der Erfassung der Heil- und Pflegeanstalten und deren Insassen sowie bei der Anordnung und Vorbereitung der Krankenverlegungen zum Zweck der Tötung der Kranken.

b) Unter der Bezeichnung Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege (abgekürzt: Stiftung) handelte die Zentraldienststelle als Arbeitgeberin der bei ihr beschäftigten nichtärztlichen Personen sowie als Empfängerin der von der Parteikasse der T4 zur Verfügung gestellten Gelder.

c) Die Gemeinnützige Krankentransport GmbH (abgekürzt: Gekrat) wurde gegründet, um den Anschein des Vorhandenseins eines besonderen Rechtssubjekts für alle mit den Tötungstransporten im Zusammenhang stehenden Angelegenheiten zu erwecken, insbesondere um nicht die Kanzlei des Führers als Kraftfahrzeughalterin auftreten lassen zu müssen. Der Zeuge Dr. Boh. hatte den Gesellschaftsvertrag ausgearbeitet. Auf seinen Vorschlag erwirkte man die Anerkennung dieses Gebildes als Gemeinnützige Gesellschaft, um es gegen eine finanzamtliche Inanspruchnahme und Überprüfung abzuschirmen. Es erfolgte eine Eintragung in das Handelsregister des Amtsgerichts Berlin. Geschäftsführer waren zunächst unter Beibehaltung des Referates IIc in der Kanzlei des Führers der Vorb. und der Schwen.

d) Auf Anregung des Angeklagten All. wurde schließlich die Zentralverrechnungsstelle Heil- und Pflegeanstalten geschaffen, die dem Angeklagten All. auch unterstand und unter anderem die Aufgabe hatte, die Schwierigkeiten zu vermeiden, die daraus entstehen konnten, dass sich infolge der Verlegung der Kranken zum Zweck der Tötung Erhöhungen der bisher von den Kostenträgern gezahlten Verpflegungssätze ergaben.

Um nach außen hin jede Verbindung zwischen der Zentraldienststelle und der Kanzlei des Führers zu verschleiern, benutzten führende Angehörige des Hauptamtes II der Kanzlei des Führers Decknamen, soweit sie bei der Tötungsaktion in Erscheinung traten. Der Leiter des Hauptamtes II, Oberdienstleiter Brack, führte den Decknamen Jennerwein, sein Vertreter Blankenburg nannte sich Brenner und der Leiter des Referates IIc, der Angeklagte Vorb., wählte unter sinngemäßer Umkehrung seines richtigen Namens den Decknamen Hintertal.

Die Durchführung der Tötungsaktion wurde von der Gesundheitsabteilung des Reichsinnenministeriums eingeleitet. Die Kanzlei des Führers hielt deren Mitwirkung für notwendig, um der Aktion den Anstrich der Legalität zu geben. Am 21.September 1939 erging ein Runderlass des Reichsministers des Innern an die ausserpreussischen Regierungen zum Zweck der Erfassung der Heil- und Pflegeanstalten. Danach waren sämtliche Anstalten im Reichsgebiet, in denen Geisteskranke, Epileptiker und Schwachsinnige nicht nur vorübergehend verwahrt wurden, bis zum 15.Oktober 1939 dem Reichsinnenministerium unter Angabe der Bettenzahl zu melden. Dieser von Dr. Conti unterzeichnete Runderlass brachte die Absicht des Reichsinnenministers zum Ausdruck, den in Frage kommenden Anstalten allgemeine Fragebogen über den Betrieb der Anstalten sowie auch Einzelfragebogen über die vorhandenen Patienten zugehen zu lassen. Die Versendung der Fragebogen werde unmittelbar vom Reichsinnenministerium erfolgen. Ebenso sei eine unmittelbare Rücksendung vorgesehen.

Eine derartige Erfassungsmassnahme bezüglich der in Preußen gelegenen Anstalten erübrigte sich, weil der Reichsinnenminister, der zugleich Preußischer Innenminister war, über diese Anstalten eine Übersicht ohnehin besaß.

Bereits am 09.Oktober 1939 erging ein weiterer Runderlass des Reichsinnenministers, der an die einzelnen Heil- und Pflegeanstalten zusammen mit einer der jeweiligen Belegungsstärke der Anstalt entsprechenden Anzahl von Formblättern mit der Bezeichnung Meldebogen 1 zum Zweck der Erfassung der einzelnen Heilanstaltsinsassen versandt wurde. Dem Runderlass waren ferner ein grünes Merkblatt zur Ausfüllung des Meldebogens 1 und eine Anzahl von Meldebogen 2, in denen zur Prüfung über künftige Verwendungsmöglichkeiten der Anstalten Angaben über die einzelnen Anstalten gefordert wurden, beigefügt.

Der Runderlass war von Dr. Conti unterzeichnet. Er enthielt unter anderem eingangs das Ersuchen, dass im Hinblick auf die Notwendigkeit planwirtschaftlicher Erfassung der Heil- und Pflegeanstalten ... die anliegenden Meldebogen nach Maßgabe des beiliegenden Merkblattes auszufüllen und an den Reichsminister des Innern zurückzusenden seien. Die Meldebogen sollten von dem leitenden Arzt ausgefüllt werden unter möglichst genauer Angabe der Diagnose und wenn angängig auch noch unter kurzer Schilderung des Zustandsbildes. Der Runderlass schloss mit dem ausdrücklichen Vorbehalt ab, gegebenenfalls noch an Ort und Stelle durch Beauftragte des Reichsministers des Innern weitere Erhebungen anstellen zu lassen.

Die Meldebogen und das Merkblatt lauteten wörtlich wie folgt:

Meldebogen 1 Nach Möglichkeit mit Schreibmaschine auszufüllen!

Lfde. Nr. .......
Name der Anstalt:
Anschrift:
Zu- und Vorname des Patienten (bei Frauen auch Geburtsname):
Geburtsort:
Geburtsdatum:
Staatsangehörigkeit und Rasse:
Diagnose:
Genaue Angabe der Art der Beschäftigung:
Seit wann in Anstalten:
Als krimineller Geisteskranker verwahrt:
Straftaten:
Anschrift der nächsten Angehörigen:
Erhält Patient regelmäßig Besuch:
Besteht Vormundschaft:
Anschrift des gesetzlichen Vertreters:
Kostenträger des Anstaltsaufenthalts:
Unterschrift des ärztlichen Leiters

oder seines Vertreters:

Deutschen oder artverwandten Blutes (deutschblütig), Jude, jüdischer Mischling I. oder II. Grades, Neger, Negermischling, Zigeuner, Zigeunermischling usw.

Auf der linken unteren Seite dieses Fragebogens befand sich ein schwarz umrandetes liniiertes Feld von der Größe 8,8 x 4,4 cm. Über diesem rechteckigen Feld war folgender Hinweis angebracht: Dieser Raum ist freizulassen.

Merkblatt

Bei Ausfüllung der Meldebogen zu beachten!

Zu melden sind sämtliche Patienten, die

1) an nachstehenden Krankheiten leiden und in den Anstaltsbetrieben nicht oder nur mit mechanischen Arbeiten (Zupfen u.ä.) zu beschäftigen sind:
Schizophrenie,
Epilepsie (wenn exogen, Kriegsdienstbeschädigung oder andere Ursachen angeben)
senile Erkrankungen,
Therapie-refraktäre Paralyse und andere Lues-Erkrankungen,
Schwachsinn jeder Ursache,
Encephalitis,
Huntington und andere neurologische Endzustände,
oder
2) sich seit mindestens 5 Jahren dauernd in Anstalten befinden
oder
3) als kriminelle Geisteskranke verwahrt sind,
oder
4) nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder nicht deutschen oder artverwandten Blutes sind unter Angabe von Rasse a) und Staatsangehörigkeit.


Die für jeden Patienten einzeln auszufüllenden Meldeblätter sind mit laufenden Nummern zu versehen.

Die Meldebogen sind nach Möglichkeit mit Schreibmaschine auszufüllen.

Als Stichtag gilt der ..............

a) Deutschen oder artverwandten Blutes (deutschblütig), Jude, jüdischer Mischling I. oder II. Grades, Neger, Negermischling, Zigeuner, Zigeunermischling usw.

Meldebogen 2 Ist mit Schreibmaschine auszufüllen!

Name der Anstalt:.......................
in:...........................................
Regierungsbezirk: ............................Kreis:.....................
Bahnstation:........................ Entfernung von der Anstalt:....... km
Voll- oder Schmalspur:.............. eigener Gleisanschluss: ja / nein
Post:....................... Fernsprechamt:..............Rufnummer:.......
Baujahr:...............
(Seit wann Heil- und Pflegeanstalt, gegebenenfalls Umbau- bzw. Renovierungsjahr?)
Flächengröße des Gesamtareals in qm: ...............................................
Bausystem (geschlossen, Pavillonystem usw.:.........................................
Sonderhäuser bzw. Sonderabteilung für Kriminelle:..................................
Besitzer oder Träger der Anstalt:.........................................................
Höhe des Jahresetats: ......................................................................
Davon Zuschüsse in Hohe von RM .....................................................
Von wem werden diese geleistet: .......................................................
Gesamtzahl der vorhandenen Krankenbetten: .........................................
Krankenbestand am Stichtag: ........
Davon: Juden:..............Kriminelle Geisteskranke oder -schwäche: ...........
Ist die Anstalt bzw. sind Teile derselben zur Zeit anderen Zwecken zugeführt,
wenn ja, welchen .........................................................................
Vor- und Zuname des Anstaltsleiters: ..................................................
Vor- und Zuname des leitenden Arztes: ...............................................
Planmässige Zahl der Ärzte: männlich:..... weiblich:......
Planmässige Zahl d. Pflegepersonals: männlich:..... weiblich:.......
Zahl der Ärzte am Stichtag: männlich:..... weibich:.......
Zahl des Pflegepersonals am Stichtag: männlich:..... weiblich:.....
Welcher Organisation gehört das Pflegepersonal an (Orden, Mutterhaus): ......
Planmässige Zahl des sonstig. Personals: männlich:..... weiblich:.....
Zahl des sonstigen Personals am Stichtag: männlich:.... weiblich:.....

Bemerkungen: ...............................................................................

Datum:...................... .................................................

(Unterschrift des Anstaltsleiters oder seines Vertreters)


Der Meldebogen 1 erhielt später folgende Fassung:

Meldebogen 1 Ist mit Schreibmaschine auszufüllen!

Lfd.Nr. .....
Name der Anstalt:.........................................................
in: ............................................................................
Vor- und Zuname des Patienten: ........................... geborene .......
Geburtsdatum: .............. Ort: ...................... Kreis: ......................
Letzter Wohnort: ...................................... Kreis: ................
ledig, verh., verw. od. gesch.: ........ Konf.: ....... Rasse a): .............
Staatsangehörigkeit: ..............................
Anschrift der nächsten Angehörigen:......................................................
Regelmäßiger Besuch und von wem (Anschrift): .....................................
Vormund oder Pfleger (Name, Anschrift): .............................................
Kostenträger: ................. Seit wann in der dortigen Anstalt: ....................
In anderen Anstalten gewesen, wo und wie lange: ............................
Seit wann krank: ..... Woher und wann eingeliefert: ....................
Zwillinge: ja - nein ..... Geisteskranke Blutsverwandte: .....................
Diagnose:......................................................................................
Hauptsymptome: ...........................................................................
Vorwiegend bettlägerig? ja - nein ..... Sehr unruhig? ja - nein .....
In festem Haus? ja - nein .....
Körperliches unheilbares Leiden? ja - nein ..... Kriegsbeschädigung? ja - nein
Bei Schizophrenie: Frischfall ..... Endzustand ..... gut remittierend .....
Bei Schwachsinn: debil: ..... imbezill: ..... Idiot: .....
Bei Epilepsie: psychisch verändert ......................

durchschnittliche Häufigkeit der Anfälle: .....

Bei senilen Erkrankungen: stärker verwirrt ..... unsauber .....
Therapie (Insulin, Cardiazol, Malaria, Salvarsan usw.): .....

Dauererfolge: ja - nein

Eingewiesen auf Grund §51, §42b StGB usw. ..... durch .......................
Delikt: .............. Frühere Straftaten: ..................................
Art der Beschäftigung:(Genaueste Bezeichnung der Arbeit und der Arbeitsleistung, zB Feldarbeit, leistet nicht viel. - Schlosserei, guter Facharbeiter. - Keine unbestimmten Angaben, wie Hausarbeit, sondern eindeutige: Zimmerreinigung usw. Auch immer angeben, ob dauernd, häufig oder nur zeitweise beschäftigt.)
.................................................................
Ist mit Entlassung demnächst zu rechnen: .............................................
Bemerkungen: ..........................................................................

Ort, Datum ............

(Unterschrift des ärztl. Leiters oder seines Vertreters)

a) Deutschen oder artverwandten Blutes (deutschblütig), Jude, jüdischer Mischling I. oder II. Grades, Neger, (Mischling), Zigeuner, (Mischling) usw.

Auch diese veränderte Fassung war auf der linken unteren Seite mit einem schwarz umrandeten unbeschriebenen Feld versehen.

Der Runderlass des Reichsministers des Innern mit seinen Anlagen wurde in der Folgezeit von der Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten im Zusammenwirken mit dem Reichsinnenministerium teilweise unmittelbar, teilweise über die Gesundheitsabteilungen der Innenministerien der Länder oder Provinzialregierungen an alle Heil- und Pflegeanstalten versandt. Neuzugänge von Kranken waren an das Reichsinnenministerium nachzumelden und wurden gleichfalls erfasst.

Zunächst wurden die Meldebogen von den Anstalten ausgefüllt und an das Reichsinnenministerium zurückgeschickt. Nachdem die Tötungsaktion begonnen hatte und in den Anstalten bekannt geworden war, dass aus diesen abtransportierte Kranke den Tod gefunden hatten, hegte eine Reihe von Anstaltsärzten den Verdacht, dass die Meldebogenaktion nicht der im Runderlass vom 09.Oktober 1939 vorgegebenen planwirtschaftlichen Erfassung der Anstalten, sondern anderen Zwecken dienen sollte. Sie weigerten sich deshalb, die Meldebogen auszufüllen. Daraufhin wurden sogenannte Ärztekommissionen gebildet, die die betreffenden Anstalten bereisten und die Meldebogen an Ort und Stelle selbst ausfüllten. Teilweise ging dieser Ausfüllung keine Untersuchung der Patienten voraus, sondern lediglich eine Anhörung des Pflegepersonals über die betreffenden Patienten.

Soweit die Anstaltsärzte selbst die Meldebogen ausfüllten, taten sie dies nicht immer richtig. In der Annahme, auf diese Weise den Abtransport von Kranken verhindern zu können, stellten sie deren Krankheitszustand manchmal ungünstiger dar, als er tatsächlich war.

Nachdem die ausgefüllten Meldebogen 1 bei Dr. Linden in der Gesundheitsabteilung des Reichsministeriums des Innern eingegangen waren, wurden sie von dort aus in die Zentraldienststelle in das Columbushaus und später in die Tiergartenstrasse 4 übersandt. Hier wurden die Meldebogen 1 registriert und fotokopiert. Für jeden Meldebogen wurden eine Einzelakte und eine Karteikarte angelegt. Die in der Registratur in der Tiergartenstrasse 4 beschäftigten Zeugen He. und Meu. haben insgesamt etwa 200.000 Meldebogen 1 registriert und fortlaufend nummeriert. Von den Meldebogenkopien waren 3 für das Gutachterverfahren und 2 weitere für das Tötungsverfahren bestimmt. Die Zeugen Meu. und später He. versandten sodann die für die Gutachter bestimmten Kopien an Hand einer vom Leiter der Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten zusammengestellten Gutachterliste an drei verschiedene Ärzte als Gutachter. Für jeden der Gutachter wurde jeweils eine Sendung von mindestens 100 solcher Meldebogenkopien zusammengestellt und mit einem vom Leiter der Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten unterzeichneten Übersendungsschreiben abgesandt.

Die Begutachtung sollte nach Weisung Bracks möglichst scharf sein und in Zweifelsfällen zum Nachteil der Kranken ausfallen. Ein wesentlicher Begutachtungsgesichtspunkt war die Arbeitsfähigkeit der Kranken; es sollten nicht nur die geistig toten, sondern möglichst alle diejenigen, die zu produktiver Arbeit unfähig waren, der Tötung zugeführt werden. Auszunehmen davon waren verdiente, kriegsverwundete und ausgezeichnete ehemalige Soldaten, grundsätzlich auch Senile, ferner Personen, die keine deutschen Staatsangehörigen waren. Auf den Fotokopien trugen die Gutachter ihre Entscheidung in den schwarz umrandeten Raum des Meldebogens ein, und zwar ohne irgendeinen Zusatz in Form der Zeichen: +, - oder ?. Das mit Rotstift eingetragene Pluszeichen bedeutete den Vorschlag zur Tötung, das mit Blaustift eingetragene Minuszeichen den Vorschlag zur Zurückstellung von der Tötung, ein Fragezeichen - eventuell mit einem stichwortartigen Zusatz wie zum Beispiel Arbeit - bedeutete, dass der Gutachter keine Entscheidung treffen konnte. Neben diese Zeichen setzte der Gutachter sein Handzeichen. Nach Rücksendung der Kopie mit den Gutachten zur Zentraldienststelle in Berlin übertrugen dort die Zeugen He. und Meu. die Eintragungen der einzelnen Gutachter auf die Urschrift des jeweiligen Meldebogens, so dass jeder Meldebogen mit 3 Gutachten versehen war. Dann wurden diese Meldebogen mit den dazugehörigen Akten über den Leiter der Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten den "Obergutachtern Prof. Dr. Heyde, Prof. Dr. Nitsche sowie Dr. Linden vorgelegt. Der Obergutachter setzte mit den gleichen Zeichen, wie sie die Gutachter verwendeten, sein Votum neben das schwarz umrandete Feld des Meldebogens und versah es mit seinem Handzeichen. Die Entscheidung des Obergutachters lautete entweder töten oder zurückstellen, letzteres auch in Zweifelsfällen.

Die Meldebogen und Meldebogenkopien wurden gesammelt und in der Zentraldienststelle verwahrt. Eine der bis dahin in den Akten abgelegten Meldebogenkopien ging an die Gekrat, die dann zum Zweck der Tötung der betreffenden Kranken deren - wie es damals hieß - Verlegung veranlasste. In der ersten Zeit wurden die Kranken aus den Abgabeanstalten unmittelbar in eigens für die Tötung eingerichtete Tötungsanstalten, die Euthanasieanstalten, transportiert, ab Herbst 1940 dagegen aus den Abgabeanstalten zunächst in sogenannte Zwischenanstalten verlegt. Von dort gelangten sie zur Tötung in die Euthanasieanstalten. Die entsprechenden Transporte führten besondere oder die sogenannten Transportstaffeln der Euthanasieanstalten durch. Für die einzelnen Heil- und Pflegeanstalten wurden Transportlisten zusammengestellt, in denen die in die Aktion einbezogenen Kranken dieser Anstalten unter zusätzlicher Kennzeichnung durch fortlaufende Nummern der Zentraldienststelle namentlich aufgeführt waren. Die Transportlisten wurden den betreffenden Heil- und Pflegeanstalten zugesandt. Bis zur Einrichtung der Zwischenanstalten erstellte die Leitung der jeweiligen Euthanasieanstalt die Transportlisten, und zwar an Hand der ihr durch die Transportabteilung der Gekrat in Berlin zugeleiteten mit einem die Abgabeanstalt und die Tötungsanstalt bezeichnenden Stempelaufdruck versehenen, aber kein Gutachtervotum enthaltenden Meldebogenkopien. Die Transportlisten, von denen die Gekrat eine Durchschrift erhielt, gelangten dann auf dem Dienstweg über die Gesundheitsabteilungen der Landes- bzw. Provinzialverwaltungen an die einzelnen Abgabeanstalten. Nach Einrichtung der Zwischenanstalten stellte die Transportabteilung der Gekrat in Berlin selbst die für die Abgabeanstalten bestimmten Transportlisten zusammen und ließ sie diesen Anstalten auf dem bereits genannten Dienstweg zugehen, um die nach den Voten der Obergutachter für die Tötung vorgesehenen Kranken zunächst den im Hinblick auf die jeweilige Euthanasieanstalt zentral gelegenen Zwischenanstalten - so zum Beispiel Galkhausen (Galkhausen ist eine Ortslage vom Stadtteil Reusrath in der Stadt Langenfeld (Rheinland) und Andernach für
Hadamar - zuzuführen. Die zu tötenden Kranken wurden dann von den Euthanasieanstalten nach Bedarf in den Zwischenanstalten abgerufen und durch die bereits genannten Transportstaffeln dort abgeholt.

Über Ziel und wahren Zweck der vorgesehenen Verlegungen unterrichtete man die Anstalten nicht. Vielmehr ließ ihnen die Gekrat die Mitteilung zugehen, dass im Auftrag des Herrn Reichsverteidigungskommissars die Kranken aus Gründen der Reichsverteidigung in andere Anstalten zu verlegen seien. Den Anstalten wurde darüber hinaus ausdrücklich untersagt, die Angehörigen der Kranken von dem bevorstehenden Abtransport zu benachrichtigen. Den Transporttermin erfuhren die Anstalten jeweils durch eine kurzfristige Nachricht der Gekrat. Termingemäß hielten sie dann die betreffenden Kranken zum Abtransport entsprechend den ihnen erteilten näheren Weisungen bereit. Zum angegebenen Termin erschien in der Anstalt eine aus Omnibussen bestehende Transportstaffel unter Führung eines sogenannten Transportleiters der Gekrat, der an Hand eines Exemplars der Transportliste überprüfte, ob die in ihr aufgeführten Kranken vollzählig für den Transport bereitstanden. Gelegentlich wurde von Seiten der Anstalt versucht, einzelne Patienten zurückzubehalten, was jedoch meistens nicht gelang. Außer den für den Transport bestimmten Kranken übernahm der Transportleiter auch deren transportable Sachen sowie die jeweiligen Krankenakten. Der Abtransport erfolgte in den Omnibussen, deren Fenster verhängt oder mit Farbe zugestrichen waren. In geringerem Umfang sind auch Eisenbahntransporte durchgeführt worden. Die deutsche Reichsbahn stellte die erforderlichen Waggons zur Verfügung. Erst nach Abgang des Transports durften die Anstalten die Angehörigen der abtransportierten Kranken unterrichten. Formularmäßig wurde den Angehörigen mitgeteilt, auf Grund eines Erlasses des Reichsverteidigungskommissars sei der Patient durch die Gemeinnützige Krankentransport GmbH in eine andere noch nicht bekannte Anstalt verlegt worden, von wo aus weitere Nachricht erteilt werde. Sollte jedoch innerhalb von 14 Tagen keine Mitteilung durch die Aufnahmeanstalt erfolgt sein, werde empfohlen, sich bei der Gemeinnützigen Krankentransport GmbH in Berlin zu erkundigen.

Nach Ankunft der Kranken in der Tötungsanstalt erhielten die Angehörigen durch diese Anstalten eine Formularmäßige Nachricht folgenden Inhalts: Der auf Grund ministerieller Anordnung gemäß Weisung des Herrn Reichsverteidigungskommissars in unsere Anstalt verlegte Patient sei gut angekommen. Besuche könnten zurzeit aus mit der Reichsverteidigung in Zusammenhang stehenden Gründen nicht zugelassen und aus gleichem Grund telefonische Auskünfte nicht erteilt werden. Etwa eintretende Änderungen hinsichtlich des Befindens des Patienten oder bezüglich der angeordneten Besuchssperre würden alsbald mitgeteilt. Der durch die Kriegsverhältnisse bedingte Personalmangel und die dadurch notwendige Mehrarbeit zwinge zu der höflichen Bitte, von weiteren Anfragen Abstand zu nehmen.

Ablauf der Vernichtung

Berichte aus der Bevölkerung

Die Opfer Beispiele

Im Rahmen der Tötungsaktion wurden insgesamt 6 Tötungsanstalten unterhalten, von denen in den Jahren 1940 und 1941 jeweils vier Anstalten etwa gleichzeitig in Betrieb waren, und zwar

1.
Schloss Grafeneck Kreis Münsingen/Württb.
(Tarnbezeichnung: A)
Statistik Schloss Grafeneck
Personal in Grafeneck
Opfer in Grafeneck

2.
Brandenburg an der Havel, nicht zu verwechseln mit Zuchthaus Brandenburg an der Havel, das ebenfalls eine Tötungsanstalt war.
(Tarnbezeichnung: B)

3.
Bernburg an der Saale
(Tarnbezeichnung: Be)

4.
Hartheim bei Linz/Donau
(Tarnbezeichnung: C)
Berichte aus Hartheim
Personal in Hartheim

5.
Sonnenstein bei Pirna/Sachsen
(Tarnbezeichnung: D)
Personal in Sonnenstein bei Pima

6.
Hadamar bei Limburg/Lahn
(Tarnbezeichnung: E)

In diesen Anstalten wurden die Kranken durch Giftgas getötet, und zwar in allen Anstalten unter Anwendung des gleichen Verfahrens. Nach ihrer Ankunft mussten sich die Kranken entkleiden. Dabei war ihnen das Anstaltspersonal behilflich. Dann wurden sie in einem Untersuchungsraum in entkleidetem Zustand nacheinander einem Arzt der Tötungsanstalt vorgeführt. Dieser sah sie sich lediglich an, ohne dass eine eigentliche ärztliche Untersuchung stattfand. Der Zweck der Vorführung bestand unter anderem darin, die Identität der aktenmäßig Begutachteten mit den Vorgeführten und das Vorhandensein einer auf Tötung lautenden obergutachtlichen Entscheidung festzustellen. Außerdem war die Staatsangehörigkeit zu prüfen, da nur deutsche Staatsangehörige von der Aktion erfasst werden sollten. Ferner sollten die Kranken ausgesondert werden, bei denen es offensichtlich war, dass sie nach den Begutachtungsrichtlinien den Gnadentod nicht erhalten sollten. In relativ seltenen Fällen fanden daher in diesem Stadium noch Zurückstellungen statt. Im Übrigen suchte man Anhaltspunkte für die Auswahl einer die wirkliche Todesursache verschleiernden fingierten Todesursache zu gewinnen, die bei der Beurkundung des Todesfalles angegeben wurde. Die Vorführung bezweckte zugleich, den Kranken vorzutäuschen, sie würden in der neuen Anstalt ausschließlich nach heilkundlichen Grundsätzen behandelt. Nach der Vorführung wurden die Kranken mittels Leukoplaststreifens oder Farbstiftes auf dem Rücken zur späteren Identifizierung gekennzeichnet und dann noch von einem Anstaltsfotografen fotografiert. Schließlich wurden sie jeweils in größeren Gruppen, die aus etwa bis zu 50 Personen bestanden, in den nach außen hermetisch verschließbaren Vergasungsraum gesperrt. Dieser Raum war so hergerichtet, dass er wie ein Duschraum aussah; es waren an der Decke Brausen angebracht. Man sagte den Kranken, sie würden jetzt gebadet oder geduscht, um ihnen den wirklichen Zweck des Aufenthaltes in diesem Raum zu verschleiern. Zu den Täuschungsmassnahmen gegenüber den Kranken sah man sich dadurch veranlasst, dass nach der in der Zentraldienststelle herrschenden und von leitender Seite auch gewünschten Begutachtungspraxis nicht nur geistig Tote, völlig kontakt- und aufnahmeunfähige Kranke, die ohnehin nicht bemerkten, was mit ihnen geschah, unter die Aktion fallen sollten.

Nach Schließung der Türen wurde durch einen Arzt Kohlenmonoxydgas etwa 10 bis 20 Minuten lang in den Vergasungsraum eingelassen. Aus Düsen, die in die Duschen oder die Rohrleitungen eingebaut waren, strömte das Gas ein. Dass ein Arzt den Gashahn bediente, hatten Brandt und Brack ausdrücklich angeordnet, weil sich die Ermächtigung in dem Schreiben Hitlers vom 01.09.1939 nur auf Ärzte bezog. Die Gaszufuhr regelte ein Ventil, das sich an den ausserhalb des Vergasungsraumes aufgestellten Gasflaschen befand. Unter der Einwirkung des Gases wurden die Eingeschlossenen, ohne dass sie irgendwelche körperlichen Schmerzen verspürten, nach einigen Minuten bewusstlos. Nach 10 bis 20 Minuten trat ausnahmslos der Tod ein. Der die Vergasung leitende Arzt beobachtete den Vergasungsvorgang durch ein kleines Fenster. Er beendete die Gaszufuhr, sobald er sie als zur Tötung ausreichend ansah. Nach der Vergasung wurde durch einen Ventilator das Gas aus dem Raum entfernt. Soweit die Leichen nicht vereinzelt für Sektionszwecke bestimmt waren, wurden sie in Leichenverbrennungsöfen verbracht und dort verbrannt.


Infolge der Täuschungsmassnahmen vollzog sich die Einsperrung und Vergasung in der Regel, ohne dass sich die Opfer erkennbar gegen die ihnen zuteil werdende Behandlung sträubten oder protestierten. Einen Fall, in dem es zu einem Protest kam, hat die Zeugin Edith Dal. miterlebt. Diese zum Büropersonal der Tötungsorganisation gehörende Zeugin wurde einmal von einem Arzt aufgefordert, sich einen Tötungsvorgang anzusehen, bei dem es, wie ihr der Arzt sagte, ganz human zuginge. Sie sah durch das Beobachtungsfenster und konnte durch die noch nicht geschlossene Türe hören, wie eine ältere Frau, die wie die anderen Frauen der in dem Vergasungsraum befindlichen Gruppe nackt war, empört rief: Ihr Mörder, ihr Mörder, das wird sich rächen!
Die Todesfälle wurden durch eigene bei den Tötungsanstalten eingerichtete Sonderstandesämter beurkundet. Diese waren aus den Gemeindestandesämtern als selbständige Standesämter ausgegliedert und ausschließlich für die Sterbefälle in der jeweiligen Euthanasieanstalt eingesetzt. Damit sollte verhindert werden, dass die häufigen Todesfälle in ein und derselben Anstalt bei dem örtlichen Standesamt auffielen. Für jeden Todesfall wurde eine natürliche Todesursache fingiert und auf der in dem Sonderstandesamt hergestellten Sterbeurkunde ausdrücklich vermerkt. Unterzeichnet wurden die Sterbeurkunden mit fingierten Namen.

Die Büroabteilung der Tötungsanstalt benachrichtigte dann die Angehörigen von dem Tod des Patienten durch ein formularmäßiges Schreiben, den Trostbrief, wie man ihn damals nannte. In diesem Schreiben wurde mit dem Ausdruck des Beileids die fingierte Todesursache angegeben und mitgeteilt, dass die Leiche aus seuchenpolizeilichen Gründen habe eingeäschert werden müssen. Es enthielt ferner das Anerbieten, die Urne mit der Asche des Verstorbenen kostenlos an die Hinterbliebenen zu überführen. Beigefügt waren dem Schreiben zwei Exemplare der von dem Sonderstandesamt der Tötungsanstalt angefertigten Sterbeurkunde. Die Ärzte der Tötungsanstalten unterzeichneten das Schreiben mit Decknamen. Um die Geheimhaltung der Massentötungen zu verbessern, wurden sogenannte Absteckabteilungen eingeführt, die den Sonderstandesämtern angegliedert waren. In diesen Abteilungen wurden Karten und Stadtpläne der Heimatgebiete der Kranken angebracht und jeder Todesfall durch eine farbige Nadel am Heimatort des Toten kenntlich gemacht. Wenn sich auf diese Weise zeigte, dass zur gleichen Zeit gehäufte Tötungen von Kranken aus dem gleichen Heimatbezirk stattgefunden hatten, wurden die Krankenakten an andere Anstalten zur Beurkundung weitergegeben. Das führte zur Beurkundung einer anderen Todeszeit und eines anderen Todesortes. Diese fingierten Angaben sollten verhindern, dass der gleichzeitige Tod zu vieler Kranker in ein und derselben Anstalt nach Außen hin bekannt wurde und auffiel.

In der Tötungsanstalt führten die Ärzte für jeden Kranken eine Akte. Dieser Akte war eine verkleinerte Fotokopie des Meldebogens 1 beigefügt, auf der kein Gutachtervotum enthalten war. Nach der Tötung wurden in den Akten die Angaben über den Todesfall aufgenommen, und zwar derart fingiert, wie sie den Hinterbliebenen bekannt gemacht werden sollten. Dieser Akteninhalt lag den Todesbeurkundungen durch die Sonderstandesämter zugrunde. Abschließend hatten die Ärzte für jeden getöteten Kranken einen Krankheitsverlauf zu fingieren, der mit der den Hinterbliebenen bekannt gemachten Todesursache in Einklang zu stehen hatte. Eine schriftliche Schilderung dieses fingierten Krankheitsverlaufs kam in die Krankenakte. All diese Angaben über Krankheit und Tod wurden in der Akte mit dem Handzeichen der bearbeitenden Ärzte versehen. Den Akten wurden eine Abschrift des Trostbriefes und der Sterbeurkunde sowie ein Lichtbild des Kranken beigegeben. Sie wurden anschließend ebenso wie die Transportlisten an die Zentraldienststelle in Berlin gesandt. Vor der Versendung erhielten die Listen den Vermerk Desinfiziert am .... In den Kreisen der Tötungsorganisationen gebrauchte man das Wort desinfizieren an Stelle des Wortes töten, was zur Geheimhaltung der Aktion beitragen sollte. Nachdem auf diese Weise die Tötungen der Zentraldienststelle gemeldet worden waren, versahen dort die Zeugen He. und Meu. die von ihnen angelegten Akten und die Karteikarten der getöteten Kranken mit einem Kruckenkreuz. Die genannten Unterlagen wurden später wegen der Kriegsereignisse in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz an der Donau ausgelagert und vor Kriegsende in einer Papiermühle bei Linz vernichtet.

Die Vorbereitungen der Tötungsaktion erfolgten ohne Mitwirkung und ohne Kenntnis der Reichsjustizverwaltung und der anderen Justizbehörden. Erst nach dem Anlaufen der Tötungsaktion erhielt der damalige Reichsjustizminister Dr. Gürtner Kenntnis von ihr, da es trotz der Verschleierungsmaßnahmen nicht gelungen war, die Tötungen geheim zu halten. Es waren oft bei den Staatsanwaltschaften Strafanzeigen eingegangen, in denen der Verdacht geäußert wurde, dass die Kranken nach ihrer Verlegung in den Aufnahmeanstalten ums Leben gebracht werden. Mehrfach wandten sich daher Generalstaatsanwälte und Oberlandesgerichtspräsidenten mit Berichten an das Reichsjustizministerium und baten um Weisung, wie auf derartige Strafanzeigen zu reagieren sei. In den Berichten war auch die Rede davon, dass in der Bevölkerung eine durch diese Vorgänge ausgelöste Beunruhigung zu beobachten sei. Reichsjustizminister Dr. Gürtner erkundigte sich darauf bei dem Chef der Reichskanzlei Reichsminister Dr. Lammers nach den Ursachen des aufgekommenen Verdachts. Lammers unterrichtete Gürtner, dass tatsächlich eine Geisteskrankentötungsaktion unter Mitwirkung der Kanzlei des Führers im Gang sei und dass Hitler die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage hierfür abgelehnt habe. Auch der Zeuge Dr. Schlegelberger, damals Staatssekretär im Reichsjustizministerium, erhielt durch Gürtner Kenntnis hiervon. Gürtner beantwortete die Mitteilung des Reichsministers Dr. Lammers mit Brief vom 24.07.1940. Darin brachte er seine Überzeugung zum Ausdruck, dass im Hinblick auf die Ablehnung eines Gesetzes durch Hitler die sofortige Einstellung der heimlichen Tötung von Geisteskranken notwendig sei. Lammers setzte Gürtner darauf fernmündlich davon in Kenntnis, dass Hitler die Kanzlei des Führers mit der Durchführung der Maßnahmen beauftragt habe. Das nahm Gürtner zum Anlass, seine im Brief vom 24.07.1940 an Lammers abgegebene Stellungnahme Bouhler abschriftlich zur Kenntnis zu bringen. Durch Bouhler erhielt Gürtner nunmehr Kenntnis von dem Schreiben Hitlers vom 01.09.1939. Es kam dann zu eingehenden Besprechungen zwischen Gürtner und Schlegelberger bezüglich der Frage, ob es sich dabei um einen Erlass mit Gesetzeskraft handele. Diese Erörterungen führten zu der gemeinsamen Überzeugung, dass die Legalität des Erlasses trotz der strengen Geheimhaltung nicht verneint werden könne, weil Hitlers Willensäußerungen ohne Rücksicht auf deren Form und Inhalt kraft der von ihm in Anspruch genommenen Machtbefugnis verbindlich seien.

Die Verhandlungen zwischen Gürtner und Bouhler fanden ihren Abschluss in dem Schreiben Bouhlers vom 05.09.1940 an den Reichsjustizminister. Es lautete, auf Grund der Vollmacht Hitlers habe er, Bouhler, als der für die Durchführung der zu treffenden Maßnahmen allein Verantwortliche die ihm notwendig erscheinenden Anweisungen gegeben. Darüber hinaus erscheine ihm der Erlass besonderer schriftlich zu fixierender Ausführungsbestimmungen nicht mehr erforderlich.

In der Folgezeit sammelte das Reichsjustizministerium zahlreiche Berichte nachgeordneter Behörden und Eingaben von kirchlicher und privater Seite, die sich auf die Tötungsaktionen bezogen. Das Ministerium wies die Staatsanwaltschaften an, einschlägige Vorgänge unbearbeitet als Geheime Reichssache dem Reichsjustizministerium vorzulegen oder ihm darüber zu berichten. Es hat keinen der ihm unterbreiteten Vorgänge zum Anlass genommen, Maßnahmen irgendwelcher Art zu ergreifen. Soweit Verlegungen von Kranken bei den Vormundschaftsrichtern in Erscheinung traten und diese Richter versuchten, sich diesen Maßnahmen entgegenzustellen, vermochte auch das eine Durchführung der Aktion nicht zu verhindern. So wurde der Zeuge Dr. Krey., damaliger Vormundschaftsrichter in Brandenburg, wegen seiner Gegenvorstellungen beim Reichsjustizministerium schließlich aus seinem Amt entfernt. Auch sein Nachfolger, der Zeuge Dr. Schmi.-L., der ebenfalls versuchte, den Vorgängen nachzugehen, wurde durch einen anderen Richter ersetzt.

Nach dem Tod des Reichsjustizministers Dr. Gürtner war der Zeuge Dr. Schlegelberger mit der Führung der Geschäfte des Reichsjustizministers beauftragt. Gürtner hatte ihm vor seinem Tod nahegelegt, für die nächste Routine-Sitzung der höchsten Justizbeamten des damaligen Reichsgebietes die Euthanasieaktion auf die Tagesordnung zu setzen. Demgemäß berief der Zeuge Dr. Schlegelberger die Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte für den 23. und 24.April 1941 zu einer Arbeitstagung nach Berlin. Für den 23.April 1941 vormittags waren als Programmpunkt Vorträge über eine für die Justiz besonders wichtige Frage vorgesehen. Der Zeuge Dr. Schlegelberger hielt hierzu eine einleitende Ansprache, in der er zum Ausdruck brachte, die Anwesenden müssten mit einer Entschließung des Führers vertraut gemacht werden, damit nicht Richter und Staatsanwälte sich zum schweren Schaden der Justiz und des Staates gegen Maßnahmen wenden, die sie gutgläubig, aber irrtümlich für illegal halten, und sich schuldlos mit dem Willen des Führers in Widerspruch setzen. Deswegen, so sagte der Zeuge Dr. Schlegelberger, sollten die Anwesenden nunmehr durch erste Sachkenner die für ihre Amtsführung notwendigen Aufschlüsse darüber erhalten, welche Bewandtnis es mit der Vernichtung lebensunwerten Lebens habe. Im Anschluss daran hielten Oberdienstleiter Brack und Prof. Dr. Heyde je einen Vortrag. Brack eröffnete den Anwesenden zunächst das Hitlerschreiben vom 01.09.1939 und sagte, es handele sich um eine für Staatsbehörden ungeeignete Aufgabe, weil sie mangels Gesetzes nach außen illegal erscheine. Das Problem sei neu, einschlägige Erfahrungen fehlten, es seien deshalb Vorermittlungen nötig, ehe ein Gesetz komme. Um Vernichtung lebensunwerten Lebens handele es sich nicht, sondern um Durchführung eines Erlösungsaktes für Schwerleidende und ihre Angehörigen. Sodann schilderten Brack und Heyde Einzelheiten der Tötungsaktion. Die Tagungsteilnehmer hörten sich diese Ausführungen schweigend an. Eine anschließende Aussprache fand nicht statt. Abschließend wurde den Teilnehmern ein Geheimerlass des Reichsjustizministers vom 22. April 1941, unterzeichnet von dem Zeugen Dr. Schlegelberger, ausgehändigt, der wie folgt lautete:


Betrifft Vernichtung lebensunwerten Lebens.


Sachen in denen die Frage der Vernichtung lebensunwerten Lebens eine Bedeutung haben kann, bitte ich in ihrem Bezirk in jedem Einzelfall zur Vortragssache bei ihnen zu erklären.

Seitdem wurden keine Strafverfahren wegen Tötung von Geisteskranken mehr eingeleitet. Die zuvor eingeleiteten Ermittlungsverfahren waren sämtlich niedergeschlagen worden.

Bereits zum 15.August 1940 hatte Prof. Dr. Heyde eine Ärztekonferenz nach Berlin einberufen. Die Konferenz fand mit insgesamt 13 Teilnehmern statt, und zwar vorwiegend Direktoren von staatlichen Heil- und Pflegeanstalten, darunter auch Prof. Nitsche. Die Besprechung stand unter Leitung Heydes. Er kam auf die Euthanasierung zu sprechen, die fortgesetzt werden müsse. Man benötige zwar im Gegensatz zur zurückliegenden Zeit die Heilanstalten nicht mehr so dringend für militärische Zwecke, man müsse sie aber trotzdem noch weiterhin frei machen, weil man nicht wisse, was noch komme. Es sei Aufgabe der Konferenzteilnehmer, sich als Gutachter oder Obergutachter an der Aktion zu beteiligen. Die Euthanasie sei juristisch durch ein bereits unterschriftsreif vorliegendes Gesetz gesichert, das nach dem Krieg veröffentlicht werden solle. Die jetzt laufende Aktion sei eine Voreinführung des Gesetzes. Anschliessend ergriff einer der Teilnehmer, der Zeuge Prof. Dr. Ewa., das Wort und brachte seine Ablehnung, an der Aktion als Gutachter teilzunehmen, unter näherer Begründung zum Ausdruck. Trotz der Vorstellungen, die dann hiergegen Nitsche erhob, blieb der Zeuge bei seiner Weigerung und wurde deshalb von Heyde verabschiedet. Er verließ die Konferenz und legte seine vorgebrachten Weigerungsgründe schriftlich nieder. Er richtete an den Reichsgesundheitsführer Dr. Conti, den Landeshauptmann in Hannover, den Dekan der medizinischen Fakultät in Göttingen und Prof. Dr. Göring in Berlin, Nervenarzt und Vetter des Reichsmarschalls Göring, jeweils ein Schreiben und brachte ihnen darin den Inhalt seiner Niederschrift zur Kenntnis. Dieses Verhalten des Zeugen Prof. Dr. Ewa.s zog keine Folgen für ihn nach sich.

Auch von offizieller kirchlicher Seite erfolgten Stellungnahmen ausnahmslos gegen die Tötungsaktion, so in den Schreiben des Erzbischofs von Freiburg Conrad vom 01.08., 14.08., 01.10. und 08.11.1940 an den Chef der Reichskanzlei, den Badischen Innenminister und den Reichsinnenminister, des Bischofs von Limburg Dr. Hilfrich vom 13.08.1941 an den Reichsjustizminister, des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Erzbischof von Breslau Kardinal Bertram, vom 11.08.1940 an den Chef der Reichskanzlei, des Erzbischofs von München Kardinal Faulhaber vom 06.11.1940 an den Reichsjustizminister und des Bischofs von Osnabrück für die Bischöfe der Kölner und Paderborner Kirchenprovinz vom 28.08.1941 an das Reichsinnenministerium.

Herbeigeführt worden ist eine Stellungnahme offizieller kirchlicher Kreise zu der Tötungsaktion nicht. Brack ließ lediglich im Jahr 1938 durch den Zeugen Har. bei dem Moraltheologen Prof. Dr. May. in Paderborn ein moraltheologisches Gutachten über die Frage der Tötung Geisteskranker einholen. In diesem Gutachten waren verschiedene sich widersprechende Meinungen wiedergegeben. Es schloss mit der Feststellung, dass nach der Moral des Jesuitenordens die Euthanasie nicht verboten sei, wenn probable Gründe dafür sprechen.

In ihrer Sitzung vom 20. bis 22.August 1940 verurteilte die Konferenz der deutschen katholischen Bischöfe ausdrücklich die Euthanasiemaßnahmen. Sie verbot den katholischen Pflegeanstalten die Mitwirkung beim Abtransport der betreffenden Kranken und beschloss, in Berlin vorstellig zu werden, um eine Einstellung der Tötungen zu erreichen. Damit wurde der Bischof Wi. beauftragt, der wiederholt bei der Reichsregierung und Parteidienststellen vorsprach und dort Vorstellungen gegen die Tötungsaktion erhob. Dies blieb jedoch erfolglos.

Auch offizielle Kreise der evangelischen Kirche lehnten die Euthanasie-Maßnahmen offen ab, so der Leiter der Hoffnungsthaler Anstalten und Vizepräsident des Zentralausschusses für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche Pastor Braune in seiner Denkschrift vom 09.07.1940, gerichtet an den Reichsjustizminister, den Reichsinnenminister und den Chef der Reichskanzlei, sowie der Landesbischof Wurm in seinen Schreiben vom 19.07.1940 an den Reichsjustizminister und den Reichsinnenminister, vom 23.08. und 05.09.1940 an den Reichsinnenminister sowie vom 06.09.1940 an den Reichsjustizminister.

Auch in der Bevölkerung stießen die Tötungen, sofern sie nicht geheim gehalten werden konnten, weithin auf Ablehnung und Protest. So schrieb zum Beispiel Frau von Löwis, selbst Nationalsozialistin und Frauenschaftsführerin, in einem Brief am 25.11.1940 an Frau Buch, die Ehefrau des obersten Parteirichters der NSDAP: Sie wissen sicher von den Maßnahmen, durch die wir uns zur Zeit der unheilbar Geisteskranken entledigen, aber vielleicht haben Sie doch keine rechte Vorstellung davon, in welcher Weise und in welch ungeheuerlichem Umfang es geschieht, und wie entsetzlich der Eindruck im Volk ist! Die Anstalt Grafeneck musste im Dezember 1940 aufgelöst werden, weil die Massentötungen in der Umgebung bekannt geworden waren und zu erheblicher Unruhe in der Bevölkerung geführt hatten. Himmler veranlasste deshalb Brack zur Stilllegung der Anstalt. Das Personal wurde im Januar 1941 in die neu eingerichtete Anstalt Hadamar versetzt. Desgleichen führte Unruhe in der Bevölkerung zur Schließung der Anstalt Brandenburg, deren Personal in die an ihrer Stelle in Betrieb genommene Anstalt Bernburg versetzt wurde.

Im Sommer 1941 erstattete auch der Bischof von Münster, Klemens August Graf von Galen, wegen ihm bekannt gewordener Tötungen von Heilanstaltsinsassen bei der Staatsanwaltschaft und der Polizei Strafanzeige unter dem strafrechtlichen Gesichtspunkt des Mordes, ohne eine Antwort zu erhalten. Demzufolge hielt er am 03.08.1941 eine Predigt in der Lamberti-Kirche in Münster, in der er öffentlich gegen die Geisteskrankentötungen protestierte und diese ausdrücklich als Mord bezeichnete. Er teilte in der Predigt auch den Inhalt der von ihm erstatteten Strafanzeige mit und wies darauf hin, dass ihm keine Nachricht von einem Einschreiten der Staatsanwaltschaft und Polizei zugegangen sei. Diese Predigt in Verbindung mit den schon früher erhobenen Protesten veranlasste Hitler, die sofortige Einstellung der Tötungsaktion zu befehlen. Das führte dazu, dass die Tötungsaktion am 24.August 1941 schlagartig beendet wurde. In der Folgezeit sind auch weiterhin Tötungen von Heilanstaltsinsassen, Wilde Euthanasie genannt, in nicht feststellbarer Zahl vorgekommen, und zwar auf Grund von Sonderermächtigungen, die jedoch nicht mehr in den Rahmen der am 24.August 1941 beendeten Aktion fielen.

Insgesamt sind der bis zum 24.08.1941 durchgeführten Tötungsaktion 70273 Menschenleben zum Opfer gefallen. Diese Anzahl, verteilt auf die einzelnen Tötungsanstalten für den Gesamtzeitraum der Jahre 1940 und 1941, setzt sich aus folgenden Einzelzahlen zusammen, die in der Zentraldienststelle registriert und die von dem Zeugen Edmund Bra. im Jahr 1942 bei der Anfertigung einer Statistik über die durch die Desinfektionen erzielten Ersparnisse zugrunde gelegt worden sind.

Als in Hadamar die zehntausendste Tötung stattgefunden hatte, wurde dort aus diesem Anlass unter Beteiligung von Anstaltspersonal in einem Raum der Anstalt eine Versammlung mit Umtrunk abgehalten, bei der eine in das Gewand eines Pfarrers verkleidete Person agierte und der zehntausendste Tote scherzhaft gefeiert wurde.

Zu den Opfern dieser Gnadentodaktion, wie sie damals genannt wurde, gehören auch Anni Cieslicki, Kurt Han., Charlotte Hub. geb. Kun., Anneliese Kaiser und Paul Laabs. Nach der damaligen Registrierung sind Anni Cieslicki am 19.06.1940 in Hartheim, Kurt Han. am 30.09.1940 in Sonnenstein, Charlotte Hub. geb. Kun., am 09.10.1940 in Grafeneck, Anneliese Kaiser am 20.02.1941 in Bernburg und Paul Laabs am 19.08.1941 in Bernburg verstorben. Zwar ist mit Rücksicht auf die in den Standesämtern der Tötungsanstalten aus Tarnungsgründen geübte Falschbeurkundungspraxis nicht sicher, dass die Angaben über den Todestag und den Todesort mit dem tatsächlichen Zeitpunkt des Ablebens und dem tatsächlichen Todesort übereinstimmen. Doch gibt es keinen begründeten Zweifel daran, dass diese Menschen auf jeden Fall in der einen oder anderen der genannten Tötungsanstalten entweder zu den angegebenen Zeiten oder wenige Tage davor oder danach durch Vergasung ums Leben gekommen sind.

Von der Tötungsaktion, der 70273 Menschen zum Opfer gefallen sind, waren auch jüdische Anstaltsinsassen betroffen. Anfangs noch vereinzelt wie die anderen Opfer durch Meldebogen erfasst und entsprechend der Begutachtung zur Tötung ausgewählt, wurden sie später und zum weitaus größten Teil jedoch durchweg ohne Rücksicht auf ihre Arbeitsfähigkeit und den Grad ihrer Erkrankung in die Aktion einbezogen. Man fasste sie überwiegend zunächst in besonderen Anstalten zusammen. Von dort aus wurden sie in die Euthanasie-Anstalten verbracht und wie alle anderen Opfer durch Gas getötet.

Die Tötungsaktion, soweit sie sich auf jüdische Anstaltsinsassen bezog, wurde durch Erlass des Reichsinnenministers vom 15.04.1940 eingeleitet, der eine zahlenmäßige Erfassung der in Anstalten untergebrachten Juden anordnete. Mit Erlass vom 12.06.1940 erinnerte der Reichsinnenminister an die Erledigung dieser Anordnung. Die dementsprechend gemeldeten Juden holte man aus den Unterbringungsanstalten heraus. So wurden bereits im Juni 1940 aus der Anstalt Buch bei Berlin insgesamt etwa 200 jüdische Anstaltsinsassen mit 6 Reichsbahnomnibussen ohne die später übliche vorherige Zusammenfassung in einer Zwischenanstalt direkt in die Euthanasie-Anstalt Brandenburg verbracht und dort auf die übliche Weise getötet, nachdem man sie unter dem Vorwand, sie baden zu wollen, entkleidet und in den Vergasungsraum eingeschlossen hatte.

In dem an den Oberpräsidenten in Kiel gerichteten Erlass des Reichsinnenministers vom 30.08.1940, der die Verlegung der in den Heilanstalten Neustadt und Schleswig-Stadtfeld untergebrachten Juden in die Anstalt Hamburg-Langenhorn zum Zweck eines von dort am 23.09.1940 durchzuführenden Abtransportes in eine Sammelanstalt für Juden anordnete, wurde die Verlegungsmaßnahme damit begründet, dass eine gemeinsame Unterbringung von Juden und Deutschen nicht weiter hingenommen werden könne. Falls Unterschiede zwischen dem bisherigen Verpflegungssatz und dem in der Anstalt Hamburg-Langenhorn erhobenen aufträten - so lautete der Erlass ferner -, werde der Unterschiedsbetrag von der Gemeinnützigen Krankentransport GmbH, Berlin W 9, Potsdamer Platz 1, übernommen.


Über die Auswirkungen dieses Erlasses für die Juden, die in der Anstalt Neustadt untergebracht waren, lassen sich folgende Feststellungen treffen. Der Oberpräsident in Kiel veranlasste über die Verwaltung des Provinzialverbandes die Verlegung der Juden. Ausweislich eines Berichts der Anstalt Neustadt sind die Juden am 13.09.1940 in die Anstalt Langenhorn verbracht worden. Entsprechend dem Erlass vom 30.08.1940 erfolgte am 23.09.1940 von Langenhorn aus ihre Weiterverlegung in die Sammelanstalt. Das war die Tötungsanstalt Brandenburg. Die Einlieferung in diese Anstalt tritt in dem privaten Tagebuch des Tötungsarztes der Anstalt Dr. Eberl in Erscheinung. Für den 23.09.1940 lautet seine Tagebucheintragung: Hamburg-Langenhorn J. Mit dem Buchstaben J wollte Dr. Eberl zum Ausdruck bringen, dass es sich um Juden handele. Die eingelieferten Juden wurden in der Anstalt ebenfalls auf die übliche Weise durch Gas getötet.

Diese Aussonderung und Tötung von jüdischen Anstaltsinsassen war nicht auf die Provinz Schleswig und Hamburg beschränkt, sie erstreckte sich in gleicher Weise auf das damalige Reichsgebiet im übrigen, insbesondere auf Bayern. Dort wurden jüdische Kranke in der Anstalt Eglfing-Haar bei München gesammelt, bevor sie in eine Tötungsanstalt abtransportiert und getötet wurden.

Den Abtransport der Juden in die Tötungsanstalten besorgte durchweg Personal der Gemeinnützigen Krankentransport GmbH. Die büromäßige Abwicklung der Tötungen von Juden erfolgte in der Zentraldienststelle in Berlin. Zunächst im Columbushaus, dann in einem Gebäude in der Kanonierstrasse waren die Zeugen Beh. und später Sim. damit befasst, getarnte Trostbriefe und Sterbeurkunden bezüglich getöteter jüdischer Kranker herzustellen. Die Sterbeurkunden wurden mit der Bezeichnung Standesamt Chelm oder Cholm II versehen. Hinsichtlich 7 der 11 aus der Anstalt Neustadt herausgeholten und getöteten Juden weisen die Sterbeurkunden Todeszeitpunkte innerhalb der Zeit vom 04.12.1940 bis zum 31.03.1941 aus. In der Korrespondenz firmierte als Absender die Tarnbezeichnung Irrenanstalt Cholm Post Lublin. Um diese glaubhafter erscheinen zu lassen, wurde ein Kurierdienst eingerichtet, der die Briefsendungen in die Gegend von Lublin brachte und dort zur Post gab. Die Zahl der auf die festgestellte Weise zu Tode gebrachten Juden geht in die Tausende.

Bericht: Elfriede Schreyer aus der Heilerziehungsanstalt Kalmenhof (Calmenhof)

Landesheilanstalten nach 1945