D VI. 4.

Der Tod des Arbeitsjuden Herschel aus Tomaschow-Mazowiecki

Anfang 1943 befand sich der aus Tomaschow-Mazowiecki stammende Häftling Herschel wegen einer Typhuserkrankung im Krankenrevier des unteren Lagers. Da Kranke, die zu lange der Arbeit fernblieben, aussortiert und im Lazarett erschossen wurden, verschaffte ihm der im Krankenrevier tätige jüdische Arzt, der ebenfalls aus Tomaschow-Mazowiecki stammte, eine im Sitzen zu verrichtende, leichte Arbeit bei der Sortierung und Verpackung von Pelzen, obwohl Herschel noch nicht völlig genesen war. Etwa 10 Tage nach seiner Entlassung aus dem Revier traf Herschel mittags in der Nähe der Küche mit dem Zeugen Zygmund Stra. zusammen, der mit ihm über seine in Treblinka ums Leben gekommene erste Frau verwandt war. Da Herschel noch Rekonvaleszent war, wollte der Zeuge ihm gerade zur Hand gehen, als der Angeklagte Mentz erschien und zu Herschel sagte, er solle mitkommen. Der Zeuge konnte verfolgen, wie Mentz mit Herschel über den zur Mittagszeit menschenleeren Sortierplatz zum Lazarett ging. Der Zeuge sah seinen entfernten Verwandten Herschel nicht wieder, da Mentz ihn im Lazarett erschoss.

Der Angeklagte Mentz gibt folgendes an:
Er könne sich nicht daran erinnern, einen Häftling namens Herschel in der Nähe der jüdischen Küche zu sich gerufen, ihn ins Lazarett geführt und dort erschossen zu haben. An und für sich seien ihm die Opfer von anderen Lagerangehörigen zur Erschießung ins Lazarett gebracht worden. Er habe sie nicht selbst heranzuschaffen brauchen. Unter keinen Umständen jedoch habe er eigenmächtig einen Häftling ausgesucht und dann erschossen. Er habe immer nur auf Befehl gehandelt.

Dass Mentz den Häftling Herschel ins Lazarett geführt und dort erschossen hat, ergibt die ausführliche eidliche Bekundung des durch den deutschen Konsul in Montreal vernommenen Geschäftsführers Zygmund Stra. Weshalb dieser Zeuge als glaubwürdig anzusehen ist, das ist bereits in
A.VII.9. des Zweiten Teiles der Gründe dargelegt worden. Zwar hat der Zeuge dem eigentlichen Erschießungsvorgang im Lazarett nicht beigewohnt, aber er hat deutlich gesehen, wie Mentz den Herschel über den zur Mittagszeit menschenleeren Sortierplatz direkt ins Lazarett brachte. Da das Lazarett eine Genickschussanlage war, kann man ohne Bedenken annehmen, dass Herschel dort auch von Mentz erschossen worden ist. Das gilt umso mehr, als Zygmund Stra. ihn später nie mehr im Lager gesehen hat.

Andererseits kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, dass Mentz die Erschießung des Häftlings Herschel aus eigenem Antrieb vorgenommen hat. Wenn auch der Zeuge Zygmund Stra. den Eindruck hatte, Mentz habe hier eigenmächtig gehandelt, so schließt das nicht aus, dass Mentz, bevor er Herschel abholte, von einem ihm übergeordneten Angehörigen der deutschen Lagerbesatzung den Befehl zur Erschießung Herschels bekam. Jedenfalls lässt sich die Einlassung des Angeklagten Mentz, er habe immer nur auf Befehl gehandelt, auch im Falle des Häftlings Herschel nicht widerlegen. Die gesamte Beweisaufnahme hat bisher keinen Fall zutage gefördert, bei dem Mentz einen eigenen Entschluss zur Tötung eines Häftlings gefasst und ausgeführt hätte. So hat der besonders zuverlässige und glaubwürdige Zeuge Gl., der von allen Zeugen die umfassendsten Kenntnisse über die deutsche Lagerbesatzung und über die Ereignisse des unteren Lagers besitzt, erklärt, auch bei längerem Nachdenken entsinne er sich keiner einzigen Begebenheit, bei der Mentz von sich aus einen Häftling selektiert und dann getötet habe.
Unter diesen Umständen muss man zugunsten von Mentz davon ausgehen, dass er auch bei der Tötung des Pelzsortierers Herschel nur auf Befehl eines Vorgesetzten gehandelt hat.