Az. L 8 RJ 139/04

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19.11.2004 geändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Altersrente unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten. Umstritten ist die Zeit vom 1.1.1940 bis zum 31.8.1942, in der sich die Klägerin in Chrzanow (Krenau) aufhielt.

Die am 00.00.1929 in Auschwitz geborene Klägerin ist jüdischen Glaubens, lebt seit April 1946 in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit. Sie ist als Verfolgte des Nationalsozialismus iS des § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt und erhielt für Schaden an Freiheit eine Entschädigung für den Zeitraum vom 18.1.1940 bis zum 15.4.1945 (Feststellungsbescheid C vom 19.10.1959). In der israelischen Sozialversicherung legte sie zwei Beitragsmonate zurück.

Die Klägerin wurde im Januar 1940 mit ihrer Mutter und ihrer Schwester T aus Auschwitz ausgesiedelt und kam zwangsweise nach Chrzanow. Ihr Vater war bereits in Auschwitz inhaftiert worden. Während ihres Aufenthaltes in Chrzanow arbeitete sie jedenfalls in den Jahren 1941 und 1942 in der Fabrik Trzebinia, die Gummimäntel für die Wehrmacht herstellte. Die Klägerin klebte dort Gummiteile zusammen. Im Verfahren auf Anerkennung eines Schadens an Körper oder Gesundheit (§§ 28 bis 42 BEG) erklärte sie hierzu am 25.8.1966: "Schon vorher habe ich in Trzebinia schwer arbeiten müssen, bei schlechter Ernährung 12-14 Stunden täglich – ich arbeitete dort in der Nachtschicht." In der Anamnese des im Entschädigungsverfahren eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens von Dr. I heißt es, die Klägerin habe in Chrzanow "schwere, ihre kindlichen Kräfte übersteigende Arbeit verrichten" müssen. Sie selbst bezeichnete in der Anamnese die Tätigkeit in Chrzanow als "Zwangsarbeit". Im August 1942 wurde sie von ihrer Familie getrennt und in das Zwangsarbeiterlager Neusalz deportiert.

Am 28.6.2000 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Altersrente und in diesem Rahmen die Anerkennung der in Chrzanow zurückgelegten Zeiten. Sie gab an, sie habe im Shop "Trzebinia" von Januar 1940 bis 1942 an acht bis zehn Stunden pro Tag gearbeitet. Als Entgelt seien Coupons verteilt worden, wofür man habe Lebensmittel kaufen können. Die Beklagte zog die Entschädigungsakte der Klägerin bei und holte eine eidesstattliche Erklärung der Klägerin ein, die am 28.1.2001 angab: Sie habe die Arbeit in Trzebinia auf Empfehlung des Judenrates erhalten. Sie sei zu Fuß von und zu der Fabrik gegangen und auf dem Arbeitsweg nicht bewacht worden. Weiter brachte sie eine Erklärung der am 30.1.1929 geborenen Zeugin T vom 13.11.2000 bei, die angab: Sie habe die Klägerin in Chrzanow kennen gelernt, als deren Familie im Jahre 1940 von Auschwitz nach Chrzanow ausgesiedelt worden sei. Sie selbst habe von Januar 1940 bis Juni 1942 in Chrzanow gelebt. Sie habe in der C-str., die Klägerin in der H Str. gewohnt. Sie habe die Klägerin täglich gesehen, da sie in derselben Abteilung in der Gummifabrik gearbeitet habe, die sich in Trzebinia befunden habe, ungefähr 3 km von Krenau entfernt. Sie und die Klägerin seien zu Fuß dorthin gegangen. Die Tätigkeit habe im Kleben von Gummiteilen für Gummimäntel der Wehrmacht bestanden. In der Abteilung hätten ungefähr 200 jüdische Arbeitnehmer gearbeitet. Die Klägerin habe, genau wie alle anderen Arbeitnehmer, Coupons erhalten, die wöchentlich am Arbeitsplatz verteilt worden seien. Man habe gehört, dass Beiträge zur Rentenversicherung abgeführt worden seien.

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin ab. Sie habe kein Beschäftigungsverhältnis aus freiem Willen aufgenommen. Bei Trzebinia habe es sich um ein Zwangsarbeitslager gehandelt (Bescheid v. 20.2.2001). Im Widerspruchsverfahren überreichte die Klägerin eine Zeugenerklärung der Zeugin H, geb. am 29.3.1930 in Chrzanow, die angab, sie kenne die Klägerin aus Chrzanow, wo sie in der Nachbarschaft gewohnt habe. Da sie gleichaltrig gewesen seien, hätten sie sich befreundet. Als sie im Januar 1942 in der Fabrik Tzebinia zu arbeiten begonnen habe, habe sie dort die Klägerin getroffen, die erzählt habe, dass sie schon von Januar 1940 an in der Fabrik beschäftigt sei. Sie und die Klägerin hätten die gleiche Arbeit verrichtet, nämlich die Teile der Gummimäntel oder der Pelerinen geklebt, die für die Wehrmacht bestimmt worden seien. Die Klägerin habe ihr erzählt, dass sie den Arbeitsplatz durch Anempfehlung des Judenrates erhalten habe. Sie selbst habe dort arbeiten können, weil ihre, der Zeugin, Mutter ebenfalls dort beschäftigt gewesen sei. Für die acht- bis zehnstündige tägliche Arbeit habe es als Entgelt Coupons gegeben, wofür man habe Lebensmittel kaufen können. Mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2001 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Klägerin habe im Entschädigungsverfahren selbst angegeben, sie habe 12 bis 14 Stunden täglich bei schlechter Ernährung im Zwangsarbeitslager Trzebinia arbeiten müssen. Bei dieser Sachlage sei nicht von einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis auszugehen.

Hiergegen hat die Klägerin fristgerecht Klage zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben. Sie hat vorgetragen, Arbeit von Kindern unter 14 Jahren sei unter den damaligen Verhältnissen nicht unüblich gewesen. Während des Klageverfahrens hat sie am 26.05.2003 einen Antrag auf Anerkennung von Ghettobeitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) gestellt, den die Beklagte abgelehnt hat, weil Ghettobeitragszeiten in Ostoberschlesien erst ab dem 1.10.1942 anerkannt werden könnten (Bescheid vom 12.05.2004).

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.02.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2001 und des Bescheides vom 12.05.2004 zu verurteilen, ihr ab 01.07.1997 Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer fiktiven Beitragszeit nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 01.01.1940 bis 31.08.1942 und von Ersatzzeiten - ggf. nach erfolgter Entrichtung freiwilliger Beiträge - nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich für ihre Auffassung, bei Trzebinia habe es sich um ein Zwangsarbeitslager gehandelt, auf eine in einem anderen Verfahren des SG Düsseldorf eingeholte Auskunft des Staatsarchivs Lodz bezogen, wonach in Trzebinia von 1942 bis zum 20.1.1945 ein Zwangsarbeitslager bestanden hat. Im Übrigen spreche gegen eine freiwillige Arbeitsleistung der Klägerin, dass diese seinerzeit jünger als 14 Jahre gewesen sei. Im Ghetto Lodz habe es beispielsweise Kinderarbeit frühestens ab der ersten Hälfte des Jahres 1942 gegeben.

Das SG hat das Ergebnis eines Rechtshilfeersuchens aus dem Verfahren S 10 RJ 301/95 SG Düsseldorf beigezogen, in dem eine 1925 geborene Klägerin und verschiedene Zeugen detaillierte Angaben zur Gummimantelfabrik in Trzebinia gemacht haben. Es hat sodann die Zeuginnen S, T und H im Wege der Rechtshilfe vernommen. Auf das Ergebnis der Vernehmungen wird Bezug genommen.

Das SG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (Urteil v. 19.11.2004). Bei der Zeit vom 1.1.1940 bis 31.8.1942 handele es sich um eine Pflichtbeitragszeit nach § 2 Abs. 1 ZRBG. Die Klägerin habe in diesem Zeitraum im in Chrzanow eingerichteten Ghetto gelebt. Ein Zwangsarbeitslager habe in Trzebinia demgegenüber erst ab dem 1.9.1942 existiert. Die Klägerin habe auch aus eigenem Willensentschluss gearbeitet, zumal sie bei der Arbeit nicht bewacht worden sei. Ein derartiger freier Willensentschluss sei auch bei einem zehnjährigen Mädchen vorstellbar. Schließlich sei die Tätigkeit im Hinblick auf die Gewährung von Lebensmittelcoupons auch entgeltlich gewesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die vorträgt: Die Klägerin habe ihre Tätigkeit nicht aus freiem und eigenem Willen aufgenommen. Es sei angesichts ihres Alters vielmehr anzunehmen, dass ihr die Arbeit vom Judenrat zugewiesen worden sei. Auch die Entgeltlichkeit der Beschäftigung sei nicht überwiegend wahrscheinlich. Die Gewährung von Lebensmittelcoupons reiche hierfür nicht aus, zumal nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen sei, dass die Coupons nicht einmal das Maß freien Unterhalts erreicht hätten. Es könne auch nicht angenommen werden, dass Kinderarbeit in derselben Höhe entlohnt worden sei wie die Tätigkeit Erwachsener. Hierfür bezieht sie sich auf eine Auskunft von Z W im Verfahren L 4 RJ 60/04 LSG NRW, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Schließlich habe es sich bei Chrzanow jedenfalls im streitbefangenen Zeitraum nicht, wie im Rahmen des ZRBG erforderlich, um ein abgeriegeltes Ghetto gehandelt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19.11.2004 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für richtig, räumt allerdings ein, sie habe möglicherweise erst ab 1941 in Trzebinia gearbeitet.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Sachverständigengutachten des Historikers Prof. Dr. Golczewski. Außerdem hat er das von Prof. Dr. Golczewski im Verfahren L 8 R 99/05 LSG NRW erstattete Sachverständigengutachten zur Situation im Ghetto Chrzanow/Krenau im Zweiten Weltkrieg, die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten sowie die beim Amt für Wiedergutmachung in Saarburg über sie geführten Entschädigungsakten beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Gründe

Gegenstand des Verfahrens ist, wie das SG insoweit zutreffend entschieden hat, im Rahmen des Anspruchs der Klägerin auf Altersrente auch ihr Anspruch auf Anerkennung von Ghettobeitragszeiten nach dem ZRBG. Der Bescheid vom 12.05.2004 ist Gegenstand des Verfahrens nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geworden (BSG, Urteil v. 20.7.2005, B 13 RJ 37/04 R).

Die zulässige Berufung ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin daher nicht iS von §

54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Altersrente.

Wie der Senat bereits mit näherer Begründung entschieden hat (zB Urteil v. 6.6.2007, L 8 R 54/05, sozialgerichtsbarkeit.de), folgt der Anspruch auf Altersrente allein aus dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), ohne dass das ZRBG eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellen würde (ebenso BSG, Urteil v. 26.7.2007, B 13 R 28/06 R, aA BSG, Urteil v. 14.12.2006, B 4 R 29/06 R). Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Altersrente kann daher im Fall der Klägerin nur § 35 SGB VI sein. Diese Vorschrift ist trotz des Auslandswohnsitzes der Klägerin (vgl. § 30 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch) anwendbar (vgl. dazu BSG, Urteil v. 14.7.1999, B 13 RJ 75/98 R; BSG, Urteil v. 13.8.2001, B 13 RJ 59/00 R).

Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben. Als auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen hier nur Beitrags- und Ersatzzeiten iS der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetzeswortlaut nur "Versicherten", dh Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (BSG, Urteil v. 7.10.2004, B 13 RJ 59/03 R mwN).

Da anderweitige Beitragszeiten weder ersichtlich noch behauptet sind, hätte die Klägerin daher nur dann einen Rentenanspruch, wenn ihre Tätigkeit in der Gummimantelfabrik Trzebinia eine Beitragszeit begründet hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Zwar finden auf die Tätigkeit der Klägerin in der Zeit vom 1.1.1940 bis zum 31.8.1942 die Reichsversicherungsgesetze Anwendung. Denn Chrzanow, im Regierungsbezirk Kattowitz gelegen, gehörte zu dem Teil der sog. eingegliederten Ostgebiete, der schon im Oktober 1939 der Provinz Schlesien zugeschlagen worden war und in dem rückwirkend ab dem 1.1.1940 die Reichsversicherungsgesetze in Kraft gesetzt worden sind (vgl. BSG, Urteil v. 14.7.1999, aaO). Für die Tätigkeit der Klägerin in Trzebinia sind jedoch weder wirksam Beiträge nach den Reichversicherungsgesetzen gezahlt worden noch gelten sie kraft anderweitiger Bestimmung als gezahlt.

1. Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Voraussetzung ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG, dass die Verfolgten sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem vom Deutschen Reich besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat (dazu unter a)) und dort eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt haben (dazu unter b)). Ferner darf für die betreffenden Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht werden. Die Anspruchsvoraussetzungen müssen glaubhaft gemacht werden (§ 1 Abs. 2 ZRBG iVm § 3 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung [WGSVG]). Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, dh mehr für als gegen sie spricht, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 8.8.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).

Von den genannten Anspruchsvoraussetzungen unproblematisch glaubhaft gemacht ist die Verfolgteneigenschaft der Klägerin, die aufgrund bestandskräftigen Feststellungsbescheides C vom 19.10.1959 als Verfolgte des Nationalsozialismus iS des § 1 Abs. 1 BEG anerkannt ist. Ebenso steht fest, dass sie für die geltend gemachten Zeiten nicht anderweitig eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erhält. Sie bekommt bislang keine derartigen Leistungen aus der deutschen Rentenversicherung. In der israelischen Sozialversicherung werden Zeiten vor dem 1.1.1954 nicht berücksichtigt, wie dem Senat aus einer Vielzahl von Auskünften der Beklagten und des israelischen Sozialversicherungsträgers bekannt ist. Anderweitige soziale Sicherungssysteme, aus denen die bereits seit 1946 in Israel lebende Klägerin Leistungen für die hier geltend gemachten Zeiten beanspruchen könnte, sind nicht ersichtlich.

a) Die Klägerin hat in der Zeit vom 1.1.1940 bis zum 31.8.1942 in Chrzanow gelebt, das in Ostoberschlesien und damit einem dem Deutschen Reich eingegliederten Gebiet (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 ZRBG) gelegen hat. Jedenfalls ab dem Zeitpunkt, ab dem eine Beschäftigung in der Gummimantelfabrik Trzebinia glaubhaft gemacht ist, nämlich ab dem 1.2.1941 (dazu unter b)), ist überwiegend wahrscheinlich, dass in Chrzanow ein Ghetto bestanden hat, in dem die Klägerin auch gewohnt hat.

Zur Auslegung des Begriffs "Ghetto" schließt sich der Senat Inhalt und Begründung der Entscheidung des 13. Senats des LSG Nordrhein-Westfalen v. 15.12.2006 (L 13 RJ 112/04; sozialgerichtsbarkeit.de) an. Danach ist ein Ghetto eine Stadt, ein Stadtteil oder -viertel, wo die jüdische Bevölkerung untergebracht wurde, und zwar im Wege der Absonderung, Konzentration und Internierung. Eine Schließung des Ghettos, etwa iS einer Umzäunung oder bewaffneten Bewachung nach dem Vorbild zB des Ghettos Lodz ist dabei nicht erforderlich. Der Beginn der Absonderung ist regelmäßig bereits mit der Verpflichtung der jüdischen Bevölkerung anzunehmen, ein Kennzeichnen zu tragen, das sie als Juden von der übrigen Bevölkerung unterscheidet. Weiteres charakteristisches Kennzeichen ist die Verhängung eines Judenbanns für einzelne Stadtbereiche und die Verhängung strenger Wirtschafts- und Verkehrsbeschränkungen. Das Merkmal der Konzentration der jüdischen Bevölkerung ist insbesondere gekennzeichnet durch eine Beschränkung der Freizügigkeit im Verhältnis zu anderen Städten und (zusätzlich) innerhalb des Stadtgebietes, die Zuweisung des Wohngebietes, wobei eine bloße Zwangsumsiedlung aus einzelnen Stadtgebieten allein noch nicht zur Konzentration führt, die Einrichtung einer speziellen jüdischen Verwaltung ("Judenrat") und eines jüdischen Ordnungsdienstes ("Ghettopolizei") sowie die Bildung einer spezifischen jüdischen Arbeitsorganisation ("jüdisches Arbeitsamt"). Nicht notwendig ist dagegen, dass in den Konzentrationsbezirken ausschließlich jüdische Bevölkerung gelebt hat. Die internierungsähnlichen Umstände ergeben sich im Regelfall aus den jeweiligen Wohn- und Lebensumständen. Für eine Internierung der jüdischen Bevölkerung kann es insbesondere sprechen, dass ihr nur ein deutlich geringerer Wohnraum als vor der Ghettoisierung zugestanden wird.

Nach diesen Kriterien ist davon auszugehen, dass in Chrzanow im Laufe des Jahres 1940 und damit vor dem 1.2.1942 - auf den genauen Zeitpunkt braucht der Senat sich im vorliegenden Fall daher nicht festzulegen - ein Ghetto errichtet worden ist. Das ergibt sich aus dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. Golczewski, das im Verfahren L 8 R 99/05 erstattet und im vorliegenden Fall im Wege des Urkundsbeweises verwertet worden ist. Danach ist die Kennzeichnungspflicht in Ostoberschlesien am 21.12.1939 durch Verfügung des für das Gebiet zuständigen Höheren SS- und Polizeiführers C angeordnet und in Chrzanow zwischen Dezember 1939 und Januar 1940 umgesetzt worden (Merkmal der Absonderung). Bereits Anfang 1940 bestand auch ein Judenrat, der ein Arbeitsamt einsetzte. Dieses erstellte eine Liste der Chrzanower Juden und organisierte den jüdischen Arbeitsmarkt. Ab März 1940 wurde darüber hinaus auch die Versorgung der jüdischen Bevölkerung zentral organisiert. Nachdem Anfang 1940 bereits ein Judenbann für die Umgebung des Parks im Westen der Stadt ausgesprochen worden war, fand im Zusammenhang mit der "Abschiebung" von Juden aus den Gebieten westlich der ostoberschlesischen Polizeigrenze eine strikt reglementierte Wohnraumbewirtschaftung statt. In deren Rahmen musste den bereits in Chrzanow lebenden Juden Wohnraum entzogen und Neuankömmlingen zugewiesen werden (Merkmale der Konzentration und Internierung). Prof. Dr. Golczewski hat seine Feststellungen nach Auswertung der verfügbaren historischen Unterlagen und Informationen sorgfältig und überzeugend getroffen. Inhaltlich sind ihnen die Beteiligten auch nicht entgegengetreten. Die wesentlichen Meinungsverschiedenheiten bestehen vielmehr in der rechtlichen Beurteilung der vorgefundenen Situation.

Die Klägerin hat glaubhaft bekundet, dass sie nach ihrer Umsiedlung von Auschwitz mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in Chrzanow und nicht etwa in einem bei der Fabrik Trzebinia befindlichen Lager gewohnt hat. Die im Wege der Rechtshilfe vernommenen Zeuginnen S, T und H haben diese Darstellung übereinstimmend bestätigt. Es bestehen keine vernünftigen Zweifel, dass der zwangsumgesiedelten Familie eine Wohnung im Bereich des Ghettos zugewiesen worden ist und sie sich daher auch zwangsweise im Ghetto aufgehalten hat.

b) Es ist jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass die Klägerin in der Fabrik Trzebinia eine Beschäftigung ausgeübt hat, die beide in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG genannte Voraussetzungen erfüllt hat, nämlich das Zustandekommen aus eigenem Willensentschluss (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ZRBG) und die Ausübung gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) ZRBG).

aa) Nach wie vor erachtet es der erkennende Senat für erforderlich, den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG beschriebenen Typus der Beschäftigung von der Zwangsarbeit nach dem Vorbild des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses abzugrenzen (vgl. Urteile vom 8.6.2007, aaO.; vom 20.6.2007, L 8 R 244/05; vom 4.7.2007, L 8 R 74/05; vom 21.11.2007, L 8 R 98/07; jeweils sozialgerichtsbarkeit.de). Maßgebend hierfür sind die Kriterien, die das BSG in seiner sog. Ghettorechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 18.6.1997,

5 RJ 66/95; vom 21.4.1999, B 5 RJ 48/98 R; vom 14.7.1999, aaO) entwickelt hat (vgl. hierzu im Einzelnen BSG, Urteil v. 7.10.2004, aaO; Senat, Urteil v. 21.11.2007 aaO.). Danach ist neben der freiwilligen Aufnahme und Ausübung der Arbeit auch die Gewährung eines Entgelts erforderlich, das nach Art und Höhe eine versicherungspflichtige Beschäftigung begründen kann.

bb) Der Senat hält es zwar für glaubhaft gemacht, dass die Klägerin in der Zeit vom 1.2.1941 bis zum 31.8.1942, nicht jedoch für den davor liegenden Zeitraum vom 1.1.1940 bis zum 31.1.1941, in der Gummimantelfabrik Trzebinia gearbeitet hat.

Dass die Klägerin in der Fabrik Trzebinia eine Tätigkeit ausgeübt hat, indem sie Gummiteile für Wehrmachtsmäntel zusammengeklebt hat, ergibt sich aus ihren durchgängigen Erklärungen im Entschädigungs- und Rentenverfahren, die von den im Wege der Rechtshilfe vernommenen Zeuginnen T und H bestätigt worden sind. Der Umstand, dass die Zeugin H übereinstimmend mit der Klägerin angenommen hat, diese habe ihre Arbeit bereits im Jahr 1940 aufgenommen, steht der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage nicht entgegen. Im Hinblick auf den Zeitablauf erscheint ein Irrtum hinsichtlich einzelner Zeiträume als ohne weiteres nachvollziehbar. Die Existenz der Gummiwerke Trzebinia als Zweigbetrieb der Leipziger Gummiwarenfabrik Flügel und Polter ist dem Sachverständigen Dr. Golczewski zufolge belegt. Dieser hat zudem ausgeführt, die sachlichen Angaben der Klägerin und der Zeuginnen zu der Fabrik Trzebinia entsprächen den seinerzeit herrschenden allgemeinen Rahmenbedingungen von Wehrmachtsfertigungsstätten in Ostoberschlesien. Nachdem die in Trzebinia verfügbaren Arbeitskräfte nicht ausgereicht hätten, sei es erforderlich geworden, auch im Ghetto Chrzanow zwangsinternierte Juden zu beschäftigen. Der Einsatz von Mädchen im Alter der Klägerin ist ebenso wie das von ihr beschriebene System der Arbeit in verschiedenen Schichten nach dem Sachverständigengutachten ebenfalls belegt.

Aus dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. Golczewski ergibt sich allerdings auch, dass die Gummimantelfabrik ihre Tätigkeit voraussichtlich nicht vor dem 1.2.1941 aufgenommen hat und eine Arbeit der Klägerin dort daher auch nicht vor diesem Zeitpunkt überwiegend wahrscheinlich ist. Der Sachverständige hat insoweit nach Auswertung der verfügbaren Quellen dargelegt, dass sich die Wehrmachtsfertigungsstätten in Ostoberschlesien erst entwickelt haben, als die nach dem Sonderbeuaftragten des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei für fremdvölkischen Arbeitseinsatz in Oberschlesien, SS-Ober- bzw. Brigadeführer B T benannte sog. Dienststelle T begann, in Zusammenarbeit mit der Zentrale der jüdischen Ältestenräte aktiv Unternehmer anzuwerben, Betriebe im "Oststreifen" zu eröffnen und die dortigen Juden darin unter ihrer Vermittlung einzusetzen. Der erste Shop dieser Art hat im Februar 1941 in Sosnowitz seine Arbeit aufgenommen. Es ist im Anschluss an den Sachverständigen Prof. Dr. Golczewski unwahrscheinlich anzunehmen, dass an anderen Orten eine solche Produktionsstätte früher eingerichtet worden ist. Diese Beurteilung wird gestützt durch den Umstand, dass der der polnischen Sprache mächtige Sachverständige auf der Webseite der Stadt Trzebinia einen Hinweis gefunden hat, wonach im Jahr 1941 auf dem Gelände einer Fabrik für landwirtschaftliches Gerät aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg eine "Uniformfabrik" eingerichtet worden ist. Da sich der genaue Zeitpunkt, zu dem die Fabrik mit ihrer Tätigkeit begonnen hat, indessen nicht mehr feststellen lässt, besteht angesichts der im Übrigen glaubhaften Bekundungen der Klägerin und der Zeuginnen jedenfalls die gute Möglichkeit, dass dies ab Februar 1941 der Fall gewesen ist. Gegen eine durchgängige Beschäftigung der Klägerin dort bis zum ihrer Deportation nach Neusalz im August 1942 ergeben sich gleichfalls keine durchgreifenden Bedenken.

cc) Es ist auch glaubhaft, dass es sich bei der von der Klägerin in der Fabrik Trzebinia ausgeübten Tätigkeit um eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss (1) im Ghetto Chrzanow (2) gehandelt hat.

(1) Die Klägerin hat bei ihrer Tätigkeit in der Fabrik Trzebinia eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ausgeübt. Der Senat folgt dabei den Kriterien die vom BSG zur Abgrenzung von versicherungspflichtigem Beschäftigungsverhältnis und Zwangsarbeit entwickelt worden sind (vgl. BSG, Urteile vom 14.7.1999 und vom 23.8.2001, aaO). Danach lässt sich zunächst feststellen, dass die Klägerin ersichtlich Weisungen hinsichtlich des Ortes, der Zeit und der Arbeit unterlegen hat und auf diese Weise in die Arbeitsorganisation der Fabrik Trzebinia eingebunden gewesen ist. Die Beweggründe, die sie zur Aufnahme der Beschäftigung veranlasst haben, sowie die allgemeinen Lebensumstände, die nicht die Arbeit oder das Arbeitsentgelt selbst, sondern das häusliche, familiäre, wohnungs- oder aufenthaltsmäßige Umfeld betreffen, müssen demgegenüber außer Betracht bleiben. Daher ist es unerheblich, ob die Klägerin gearbeitet hat, um ihren Hunger zu lindern oder ihre Deportation zu vermeiden. Ebenso spielt es keine Rolle, ob sie auf dem Weg zur Arbeit als Ausfluss ihres zwangsweisen Aufenthaltes im Ghetto oder zur Vermeidung einer Flucht bewacht wurde. Dass sie bei Arbeitsaufnahme erst 11 Jahre alt war, ist unschädlich, zumal der Gesetzgeber beschränkt Geschäftsfähige ab Vollendung des 7. Lebensjahres auch schon seinerzeit für grundsätzlich in der Lage gehalten hat, die Entscheidung zur Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses zu treffen (vgl. § 113 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch). Demgegenüber ist die Tätigkeit der Klägerin nicht so weitgehend von hoheitlichen Eingriffen überlagert worden, denen sie sich nicht entziehen konnte, dass dies der Annahme einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss entgegenstünde. Keine der vorliegenden Erklärungen zu den Arbeitsumständen in der Fabrik Trzebinia lässt erkennen, dass die Arbeit der Klägerin dort konkret hoheitlich angeordnet worden ist bzw. dass auf der Arbeitsstelle eine Bewachung oder zB hoheitlich veranlasste Misshandlungen stattgefunden hätten. Allein dass die Klägerin die Arbeit als ihrem Alter entsprechend zu schwer empfunden hat, rechtfertigt demgegenüber für sich genommen noch keine abweichende Beurteilung. Unerheblich ist schließlich auch, dass die Klägerin ihre Beschäftigung selbst im Entschädigungsverfahren als "Zwangsarbeit" bezeichnet hat (vgl. BSG, Urteil v. 23.8.2001, aaO).

(2) Ihre Beschäftigung hat die Klägerin auch im Ghetto Chrzanow verrichtet, obwohl die Fabrik sich etwa 3 km von Chrzanow entfernt befunden hat, wie der Sachverständige Prof. Dr. Golczewski und die Zeuginnen im Einvernehmen mit der Klägerin übereinstimmend ausgeführt haben. Auch Arbeiten außerhalb des räumlichen Bereichs des Ghettos werden von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG erfasst, wenn sie Ausfluss einer im Ghetto aufgenommenen Beschäftigung sind. Hierfür reicht es, dass die Arbeit dem Verfolgten von einem Unternehmer oder einer Ghettoautorität, zB dem Judenrat oder dem jüdischen Arbeitsamt, im Ghetto angeboten worden ist. Dies ist bei der Klägerin der Fall, die glaubhaft dargelegt hat, dass der Judenrat des Ghettos Chrzanow ihr die Arbeit in der Fabrik Trzebinia vermittelt hat.

dd) Demgegenüber ist nicht glaubhaft, dass die Klägerin ihre Beschäftigung in der Fabrik Trzebinia auch gegen Entgelt iS des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) ZRBG verrichtet hat.

(1) Entgelt in diesem Sinne ist als ein die Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung begründendes Entgelt anzusehen (BSG, Urteil vom 7.10.2004, aaO). Maßgebend sind dabei die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (aF). Zum Entgelt gehörten dabei nach § 160 aF neben Gehalt oder Lohn auch Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge, die der Versicherte, wenn auch nur gewohnheitsmäßig, statt des Gehalts oder Lohnes oder neben ihm von dem Arbeitgeber oder einem Dritten erhielt. Jedoch war eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, versicherungsfrei (§ 1227 RVO aF; vgl. zum Folgenden insbesondere BSG, Urteil vom 30.11.1983, 4 RJ 87/92; vom 7.10.2004, aaO; Mentzel/Schulz/Sitzler, Kommentar zum Versicherungsgesetz für Angestellte, 1913, § 7 Anm. 3; RVO mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes, 1930, § 1227 RVO Anm. 1 ff.). Als freier Unterhalt iS von § 1227 RVO aF ist dabei dasjenige Maß von wirtschaftlichen Gütern anzusehen, das zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers erforderlich ist, nicht aber das, was darüber hinausgeht. Zum freien Unterhalt gehören insbesondere Unterkunft, Beköstigung und Kleidung. Die betreffenden Sachbezüge müssen nach Art und Maß zur Bestreitung des freien Unterhalts geeignet und bestimmt sein. Bei Gewährung von Lebensmitteln ist daher zu prüfen, ob sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden (dann freier Unterhalt) oder aber zur beliebigen Verfügung, wie es zB bei Deputaten der Fall ist. Die Grenze des freien Unterhalts ist insbesondere dann überschritten, wenn die gewährte Menge erheblich das Maß des persönlichen Bedarfs übersteigt. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die gewährten Sachbezüge ausreichen, nicht nur den freien Unterhalt des Beschäftigten selbst, sondern auch eines nicht bei demselben Arbeitgeber beschäftigten Familienangehörigen sicherzustellen (vgl. VDR, Kommentar zur RVO, 5. Aufl., 1954, § 1228 Rdnr. 5). Stehen Art und Umfang gewährter Lebensmittel bzw. Sachbezüge nach Ausschöpfung aller sonstigen Beweismittel, zB der glaubhaften Angaben der Klägerin bzw. des Klägers, vernommener Zeugen, Angaben in einem Sachverständigengutachten oder aufgrund eindeutiger historischer Quellen nicht fest, so kann ein entsprechender Umfang im Einzelfall als glaubhaft gemacht angesehen werden, wenn die gute Möglichkeit besteht, dass ein Dritter, insbesondere ein Familienangehöriger, hiervon über einen erheblichen Zeitraum zumindest entscheidend mitversorgt worden ist (sog. Hilfskriterium bei Beweisnot; vgl. Senat, Urteil v. 6.6.2007,

aaO). Da andererseits unter den freien Unterhalt iS des § 1227 RVO aF nur Sachleistungen fallen, erfüllen Geldleistungen seine Voraussetzungen nicht, auch wenn sie den unbedingt zum Lebensunterhalt erforderlichen Betrag nicht erreichen.

Die Ausgabe von Lebensmittelkarten oder -coupons unter Ghettobedingungen ist dabei als Gewährung von Sachbezügen, nicht als Geldleistung anzusehen. Ebenso wie die im Reichsgebiet während des Zweiten Weltkriegs an die dortige Bevölkerung ausgegebenen Lebensmittelkarten stellten sie eine Urkunde zur Bescheinigung dar, dass der Inhaber das auf der Karte bescheinigte Lebensmittel in der dort genannten Menge erhalten durfte (vgl. bereits Reichsgericht, Urteil vom 13.11.1917, V 523/17). Insoweit dienten sie insbesondere der Verwaltung und Verteilung rationierter Verbrauchsgüter. Während die Inhaber von Lebensmittelkarten im Reichsgebiet jedoch neben der Abgabe der Karte die hierauf bescheinigten Lebensmittel noch bezahlen mussten, fand in den Ghettos regelmäßig keine zusätzliche Barzahlung statt. Allein die Abgabe des Lebensmittelcoupons begründete daher den Anspruch auf Übereignung der entsprechenden Lebensmittel nach Art und Menge, freilich ggf. nach Maßgabe des vorhandenen Vorrats. Dieser Unterschied rechtfertigt es jedoch nicht, die den Verfolgten in Ghettos ausgehändigten Lebensmittelcoupons als Geldleistung oder Ersatz hierfür anzusehen. Vielmehr beschränkte sich ihre Funktion darauf, die Zuteilung von Lebensmitteln an die Inhaber der Coupons zu organisieren. Es macht daher wertungsmäßig keinen Unterschied, ob die Betreffenden die Lebensmittel unmittelbar in Naturalien oder auf dem Umweg des Eintausches eines entsprechenden Coupons im Ghetto in einem Geschäft oder beim Judenrat erhielten, zumal für die jeweilige Organisation der Lebensmittelversorgung auch rein praktische, an den örtlichen Bedingungen orientierte Erwägungen maßgebend gewesen sein mögen. In diesem Zusammenhang bedarf es auch keiner Untersuchung, ob im Einzelfall Tauschgeschäfte mit Lebensmittelcoupons möglich waren, zumal derartige Geschäfte grundsätzlich auch mit bereits in Natur gewährten Lebensmitteln vorstellbar erscheinen. Die Gewährung von Lebensmittelcoupons überschreitet danach den - versicherungsfreien - freien Unterhalts iS des § 1227 RVO aF nur dann, wenn die auf den Coupons bezeichneten Lebensmittel nach Art und Umfang das Maß des persönlichen Bedarfs übersteigen und somit als zur freien Verfügung gewährt angesehen werden können.

(2) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist nicht glaubhaft, dass die Klägerin für ihre Arbeit in der Fabrik Trzebinia mehr als Lebensmittelcoupons im Umfang lediglich freien Unterhalts erhalten hat. Sie selbst und die im Wege der Rechtshilfe im vorliegenden Verfahren vernommenen Zeuginnen haben übereinstimmend erklärt, zur Entlohnung seien nur Lebensmittelcoupons gewährt worden. Anhaltspunkte dafür, dass der Gegenwert dieser Coupons über die Gewährung freien Unterhalts hinausgegangen ist, bestehen nicht. Im Gegenteil hat die Zeugin H erklärt, die Coupons hätten nicht ausgereicht, um davon zu leben. Die Klägerin sei darüber hinaus auf etwas Hilfe von der Familie angewiesen gewesen. Erst recht hat daher eine Mitverpflegung der - im Übrigen nach Angaben der Klägerin selbst arbeitenden - Angehörigen nicht stattgefunden. Dass im Verfahren S 10 RJ 301/95 SG Düsseldorf die Zahlung von Entgelt bekundet und glaubhaft gemacht worden ist, führt zu keiner anderen Beurteilung: Die dortige Klägerin war deutlich älter als die Klägerin des vorliegenden Verfahrens, insbesondere älter als 14 Jahre. Sie verrichtete zudem eine andere, vermutlich höherwertige Arbeit, indem sie Wehrmachtsuniformen nähte, während die hiesige Klägerin Gummiteile zusammengeklebt hat. Es gibt danach zwischen beiden Fällen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass die gute Möglichkeit einer unterschiedlichen Entlohnung - im einen Fall durch Entgelt, im anderen lediglich durch Coupons - besteht. Auch der Sachverständige Prof. Dr. Golczewski hat keine abweichende schlüssige Erklärung geben können. Er hat zwar die Möglichkeit erwogen, dass etwaige Zahlungen an eine erwachsene Empfangsperson geflossen sein könnten. Hiergegen sprechen jedoch bereits die übereinstimmenden Zeugenaussagen. Es wäre in diesem Fall auch nicht ohne weiteres zu erklären, wieso die Klägerin zwar die Lebensmittelcoupons, nicht aber auch das Geld bekommen haben sollte. Zudem bestehen im Fall der Klägerin keine Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Empfangsperson existiert haben könnte. Die Klägerin hatte in Chrzanow, wohin sie deportiert worden war, nur Mutter und Schwester. Von beiden hat sie die Empfangnahme von Entgelt auch nach Kenntnisnahme der Überlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. Golczewski nicht berichtet.

2. Pflichtbeiträge gelten für die Klägerin auch nicht nach § 12 WGSVG als gezahlt. Nach dieser Bestimmung gelten als Pflichtbeitragszeiten solche Zeiten, in denen ein Verfolgter eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, für die aus Verfolgungsgründen Beiträge nicht gezahlt sind. Insofern ist in der Rechtsprechung bereits abschließend entschieden, dass es sich grundsätzlich um eine Beschäftigung handeln muss, die nach damaligem deutschem Recht konkret Versicherungspflicht begründet hat (BSG, Urteil v. 14.7.1999, a.a.O.). Das ist aus den genannten Gründen bei der Klägerin jedoch nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Grundsätzliche Bedeutung hat insbesondere die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang noch nicht abschließend behandelte Frage der Beurteilung von Lebensmittelcoupons als Arbeitsentgelt.