Aktenzahl des Gerichts (Geschäftszahl): LG Wien Vg 1f Vr 2731/48

Prozess wegen Funktion im NS-Regime (Richter/Staatsanwalt/Justizfunktionär)

Opfer
Widerstand/Opposition

Tatland (Tatort)
Krems an der Donau, Wien (OLG)

Volksgerichtsverfahren gegen
Dr. Friedrich Russegger

wegen
Hochverrats, Verletzung der Menschenwürde unter Ausnützung seiner dienstlichen Gewalt als Senatsvorsitzender des 7. Senates (Senat für politische Strafsachen) des Oberlandesgerichtes Wien in Krems (Niederösterreich)

Verlauf der Vorerhebungen/Voruntersuchung bzw. des Gerichtsverfahrens
29.04.1947: Einstellung des Verfahrens gemäß § 109 StPO [Erklärung der Staatsanwaltschaft: kein Grund zur weiteren gerichtlichen Verfolgung] bezüglich § 101 StG, § 3 KVG.

Am 04.06.1947 wurde Russegger zu 18 Monaten verurteilt, das Urteil jedoch mit Beschluss des OGH vom 13.03.1948 aufgehoben und an das gleiche Volksgericht zur neuen Verhandlung zurückgewiesen. In der zweiten Hauptverhandlung wurde Russegger am 21.05.1948 freigesprochen.

Beitag ist kein Bestandteil der Gerichtsakte

Friedrich Russegger, einst Vorsitzender des Besonderen Senats am OLG Wien, wegen Beteiligung an mindestens 12 Todesurteilen nach § 4 KVG (Verletzung der Menschlichkeit) beschuldigt, brauchte nur zu bestreiten, „jemals Strafen verhängt zu haben, die nicht meiner Überzeugung entsprochen hätten“, damit das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde

Während verschiedene Senate des Volksgerichts Wien im Fall der Angeklagten Dr. Walter Rabe, Dr. Viktor Reindl und Friedrich Russegger begründeten, inwiefern diese als Richter Handlungen, die den Gesetzen der Menschlichkeit gröblich widersprachen, in Verbindung mit ihrer Betätigung für die NSDAP begangen hatten, und sie nach § 11 VG schuldig sprachen, meinte der OGH in den Überprüfungsverfahren betreffend Rabe und Russegger, dass diese Richter — beide überzeugte Nationalsozialisten und „Illegale“ — als Organe des Staates und somit nicht in Verbindung mit ihrer Betätigung für die NSDAP gehandelt hätten, weshalb ihre Verurteilung nach § 11 VG aufgehoben wurde.
An Russegger, der in der NS-Zeit zumindest zwölf Todesurteile wegen politischer Handlungen gefällt hatte und den der OGH 1948 als fanatischen Nationalsozialisten bezeichnete, zeigt sich die Fragwürdigkeit der Volksgerichtsverfahren gegen Richter besonders deutlich. Vorgeworfen wurde ihm von der StA Wien, dass er 1942 in Krems fünf Angeklagte beschimpft und beleidigt hatte, nicht aber, dass er sie und viele andere wegen gewaltloser politischer Widerstandshandlungen zu langjährigen Zuchthausstrafen, neun? Angeklagte sogar zum Tod verurteilt hatte. Dies hatte seinen Grund darin, dass die von Russegger verhängten Strafen in den zur Tatzeit geltenden NS-Gesetzen vorgesehen waren. Schließlich entschuldigte ein Senat des Volksgerichts Wien Russeggers Beschimpfungen und Beleidigungen mit dessen Nervosität und dem Druck, den das Regime auf ihn ausgeübt hätte und bescheinigte ihm sogar, ein objektiver Richter gewesen zu sein. Auch in den Verfahren gegen die Richter Schwelle und Wotawa wurde deren brutale Verhandlungsführung durch Verweis auf ihre angebliche Nervosität und ihr aufbrausendes Wesen verharmlost