die Folgen

Am Morgen des 9. November versuchte Hitler mit einem Marsch auf die Münchner Feldherrnhalle die Staatsgewalt an sich zu reißen. Der Aufstand endete im Kugelhagel der Polizei. Vierzehn Aufständische und drei Polizisten wurden getötet.

Gedicht vom Volkssänger Weiß Ferdl
Deutsche Männer stehen heute
vor den Schranken des Gerichts,
Mutig sie die Tat bekennen,
zu verschweigen gibt’s da nichts!
Sagt, was haben die verbrochen?
Soll es sein gar eine Schand,
Wenn aus Schmach und Not will retten,
Man sein deutsches Vaterland?

Teilnehmer

Adolf Hitler
Hermann Göring
Gustav Ritter von Kahr
Hans von Seeckt
Otto von Lossow
Erich Ludendorff
Hans Ritter von Seisser
Max Erwin von Scheubner-Richter
Felix Allfarth
Andreas Bauriedl
Theodor Casella
Wilhelm Ehrlich
Martin Faust
Anton Hechenberger
Oskar Körner
Karl Kuhn
Karl Laforce
Kurt Neubauer
Claus von Pape
Theodor von der Pfordten
Johann Rickmers
Max Erwin von Scheubner-Richter
Ernst Hanfstaengl
Lorenz Ritter von Stransky
Wilhelm Wolf
Friedrich Geißelbrecht

Die getöteten Putschisten

Felix Allfarth
Andreas Bauriedl
Theodor Casella
Wilhelm Ehrlich
Martin Faust
Anton Hechenberger
Oskar Körner
Karl Kuhn
Karl Laforce
Kurt Neubauer
Claus von Pape
Theodor von der Pfordten
Johann Rickmers
Max Erwin von Scheubner-Richter
Lorenz Ritter von Stransky
Wilhelm Wolf

Die getöteten bayerische Polizisten

Friedrich Fink
Nikolaus Hollweg
Max Schobert
Rudolf Schraut

Geißelbrecht Friedrich

Der Blutordensträger der NSDAP und hochrangiger SA-Führer wohnte in der Luisenstraße in Holsterhausen. Er heiratete 1924 die Schwester des Gewerbelehrers Richard Herpers. Seine Beteiligung als Nationalsozialist wurde im Entnazifizierungsverfahren so bewertet, dass er im Einreihungsbescheid vom 9. Juni 1948 in die in Dorsten nicht häufig vergebene, als Bewährungsgruppe verstandene Kategorie III eingestuft wurde und somit als „minderbelastet“ galt. Da es unter Tausenden Dorstenern nur ganz wenige gab, die so oder stärker belastet waren, – die allermeisten waren Entlastete (Stufe V) oder Mitläufer (Stufe IV) – ist Friedrich Geißelbrecht schon als eine regionale NS-Größe zu bezeichnen, zumal er zu denen gehörte, die sich als Träger des Blutordens mit Adolf Hitler eng um die Blutfahne scharen konnte. Denn der 1895 in Nürnberg geborene Realschulabgänger marschierte mit Hitler, Ludendorff, Göring und anderen 1923, nachdem er in die Partei eingetreten war, in München zur Feldherrnhalle. Daher wurde er wegen Beteiligung am Hitlerputsch zu Festungshaft in Landsberg verurteilt – wie sein Parteichef Hitler.
Im selben Zellenbau untergebracht, vergaß der spätere Reichskanzler und Führer seine Kampf- und Haftgenossen nicht. Geißelbrecht war von 1938 bis 1943 Mitglied des Reichstages, bekam auch das goldene Parteiabzeichen, Dienstauszeichnungen in Silber und Bronze und wurde 1939 Hauptdienststellenleiter der NSDAP und zuletzt SA-Brigadeführer, in die er bereits 1931 eingetreten war. Ein echter „Goldfasan“ also, wie solche Leute in ihren braunen und goldbetressten Uniformen damals im Volk spöttisch genannt wurden. Wann Friedrich Geißelbrecht nach Dorsten zog, ist nicht bekannt. Unvollständigen Unterlagen zufolge wohnte er nach Kriegsende als Hilfsarbeiter in der Luisenstraße. Das Kriegsende selbst erlebte er in amerikanischer Gefangenschaft (ab 25. März 1945) und durchlief danach die politischen Abteilungen mehrerer Gefangenen- und Internierungslager: Zuffenhausen, Dachau, Ludwigsburg und Fallingbostel. Während dieser Internierungszeit musste er sich der Entnazifizierung unterziehen. In Fallingbostel wurde Geißelbrecht in die Kategorie III eingestuft, mit der er nach zweieinhalb Jahren am 25. September 1947 nach Holsterhausen entlassen wurde, wo er sich – wie erwähnt – als Hilfsarbeiter verdingte.

Wie alle es damals taten, die ungünstiger eingestuft wurden als in die Entlastetenstufe V, so tat es auch Geisselbrecht Er legte gegen den Einreihungsbeschluss des Internierungslagers Beschwerde ein. Auf diesem Wege schafften es fast alle kommunalen und regionalen Nazigrößen, weiß gewaschen und zu werden von der braunen Farbe, in der sie ihre Karrieren machten und sich offensichtlich wohl fühlten. Doch Friedrich G. konnte noch so viele gute Leumundszeugnisse (so genannte Persilscheine) aufweisen, um sein Verhalten in der NS-Zeit in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Der Unterausschuss beließ ihn in der Kategorie III, verbot ihn, öffentliche oder private Stellungen mit leitendem oder aufsichtsführendem Charakter anzunehmen und jegliche andere Tätigkeiten, in denen er über Personal verfügen konnte. Der Ausschuss begründete diese Verbote mit seiner Parteizugehörigkeit von 1923 bis 1945 und seiner Mitgliedschaft in der SA von 1931 bis 1945. „Geißelbrecht ist durch den frühen Eintritt in die NSDAP und die SA als Nutznießer und Förderer des Nationalsozialismus anzusprechen.“

Der frühere NSDAP-Hauptdienstleiter und SA-Brigadeführer (gleichzusetzen dem militärischen Rang eines Generalmajors der Wehrmacht) wollte eine solche Bewertung nicht auf sich sitzen lassen und ging in die nächste Instanz. Der Hauptausschuss befasste sich am 28. Februar 1948 mit den Entlastungszeugnissen, die Geißelbrecht vorlegen konnte. Darunter das seines Holsterhausener Schwagers, des Gewerbelehrers Richard Herpers.
Dieser beurteilte Geißelbrecht als „politischen Idealisten“, der in der Partei seinem „schwergeprüften Volke dienen“ wollte. Daher hätte er in der Partei hohe Ämter angenommen und habe den Ideen mit ganzer Hingabe gedient. „Seine ihm angeborenen vornehmen Charaktereigenschaften wollte er auf seine Umgebung übertragen und traute dem Führer und seinen Mitarbeitern die gleiche edle Gesinnung zu“, schrieb der Berufsschuldirektor. Er bescheinigte seinem Schwager noch, dass dieser mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln versucht habe, Unrecht zu verhüten und politisch Verfolgte zu unterstützen. Er war ein politisch irregeleiteter Idealist, der die politischen Absichten der Führung nicht rechtzeitig erkannt hat, und es gelang ihm nicht, sich mit seiner vornehmen Gesinnung durchzusetzen.“

Der frühere Richter am Landgericht Landshut und nach dem Krieg Landgerichtsdirektor in Freising, Dr. Ignaz Tischler, bescheinigte Friedrich Geißelbrecht, ihn 1938 vor Nachstellungen der NSDAP gerettet zu haben, weil er, der Richter, die „Judenaktion 1938“ kritisierte, was auf Missfallen bei der Kreisleitung der NSDAP stieß. Der Richter wurde seines Amtes enthoben, aus der NSDAP ausgeschlossen und vor das oberste Parteigericht gebracht. Da wandte er sich an den einzigen ihm verbliebenen Freund Friedrich Geißelbrecht, den er vom Ersten Weltkrieg her kannte. In der Verhandlung vor dem Parteigericht sei er auf die guten Worte des Freundes hin freigesprochen worden und durfte sein Richteramt wieder ausführen. „Ich bin mir wohl bewusst“, so der Landgerichtsdirektor mit NSDAP-Vergangenheit an den Entnazifizierungs-Hauptausschuss in Sachen Geißelbrecht, „und erkenne mit tiefer Dankbarkeit an, dass ich meine Rechtfertigung und damit die Rettung meiner Existenz zum guten Teil dem mannhaften Eintreten von Geißelbrecht zu verdanken haben… Zeitlebens werde ich Geißelbrecht für sein selbstloses Eintreten dankbar sein.“
Geißelbrecht, der damals in München wohnte, war 1940 in einen Arisierungsfall verwickelt. Die Jüdin Martha Horwitz aus Ennigerloh wanderte nach Argentinien aus und wollte ihren Grundbesitz an eine Freundin verkaufen. Da die NSDAP die Erwerberin als politisch nicht zuverlässig einschätzte, stimmten die Behörden dieser Transaktion nicht zu. G., der in seiner Parteifunktion davon wusste, trat nun selbst als Käufer auf und erwarb Haus und Grundbesitz der Jüdin. Dies wurde Geißelbrecht im Entnazifizierungsverfahren zur Last gelegt („Nutznießer“). Der Rechtsanwalt und Notar Hermann Nalop aus Bünde versuchte nun, als früherer Notar des Kaufgeschäfts, Friedrich Geißelbrecht zu entlasten. Er versicherte dem Hauptausschuss, dass der NSDAP-Funktionär lediglich das Grundstück für die Freundin erhalten wollte und somit „nur dem Namen nach beteiligt war“, um der Jüdin zu helfen, der es mit „Hilfe des Kaufpreises“ möglich wurde, „die Auswanderung durchzuführen“. Friedrich Geißelbrecht kam auch selbst zu Wort. Er hob hervor, dass er in die Partei nur deswegen eingetreten sei, „weil unser Volk in der damaligen Nachkriegszeit gerettet werden“ musste. Er glaubte fest an die Ideale und versuchte nach besten Kräften „den schlechten Elementen, die sich in der Partei breit machten, entgegenzuwirken“. Doch der Hauptausschuss, der solche Argumente von allen Nazis hörte, die sich verantworten mussten, ließ sich davon nicht beeindrucken. Es blieb bei der Kategorie III – geringer Übeltäter.

Quelle: Wolf Stegemann