Larsch Katharina

27.08.1901

Der grausame Mord an Käthe Larsch

Am Sonnabend, dem 18. Mai 1935, hielt vor dem Hause Seumannstraße 114 in Essen-Stoppenberg ein Auto. Die Insassen, Beamte des Essener Gestapo, begaben sich sofort zur Wohnung der Familie Larsch und forderten Einlaß. Ihr Besuch galt der Frau des Mannes, dessen Name auf dem Türschild stand. Rudolf Larsch hatte im Januar 1933 seine Frau und die vier Kinder allein lassen müssen. Als aktives Mitglied der KPD war er nach dem Verbot seiner Partei in die illegalität gegangen, um im Gebiet um Bielefeld den antifaschisten Widerstand zu organisieren. Im November 1933 verhaftet, hatte man ihn Ende August 1934 zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt.
Als die Gestapo in seine Wohnung kam, verbüßte der 39jährige ehemalige Straßenbahner diese Strafe im ostfriesländischen Stapeler Moor.
Schweigend traten Nachbarn zur Seite, als kurze Zeit später Käthe Larsch, die Ehefrau des Zuchthäuslers, in Begleitung von Gestapo-Beamten das Haus verließ. Danach bot die Seumannstraße wieder das gewohnte Bild. Nur waren im Haus mit der Nummer 114 vier Kinder allein geblieben, weil man nach dem Vater ihnen jetzt auch die Mutter genommen hatte. Mann brachte sie noch am gleichen Tag von Amts wegen in ein Waisenhaus der Stadt Essen.
Für ihre Mutter begannen entsetzliche Tage. Fast pausenlos wurde die junge Arbeiterfrau von Gestapo-Beamten verhört. Wie ihr Mann war auch sie Mitglied der illegalen KPD und gehörte zu jenen, die Widerstand in vielfältiger Form leisteten. In ihrer Wohnung hatten geheime Beratungen stattgefunden und waren Flugblätter hergestellt worden. Sie selbst hatte geholfen, die Flugblätter an bestimmte Verteilerstellen zu bringen.
Bei der am Tage ihrer Festnahme durchgeführten Haussuchung wurden Abziehapparat, Wachsmatrizen und das zur Herstellung der Flugblätter notwendige Papier gefunden. Man recherchierte später, dass man rund 1300 Aufrufe des Zentralkomitees der KPD in der Seumannstraße gedruckt hatte. Etwa 800 davon hatten zu den Vertrauensmännerwahlen in den Betrieben Stellung genommen und rund 500 einen Appell an die christlichen Werktätigen in Deutschland enthalten. 350 weitere Flugblätter sollten einen Protest gegen den faschistischen Terror unter das Volk bringen und 250 andere die Losung ,,Kampf-Mai 1935,, verbreiten. Auch eine Zeitung mit dem Titel ,,Der Bergarbeiter,, war in der Wohnung gedruckt worden. Käthe Larsch hatte an deren Verbreitung mitgewirkt.
Nach ihrer Verhaftung wollte die Gestapo eine Menge von ihr wissen. Eine Vernehmung folgte der anderen, doch die spärlichen Aussagen führten zu nichts. Das steigerte die Wut der Vernehmungsbeamten, die bald mit roher Gewalt auf die Frau einschlugen, um sie endlich zum Reden zu bringen. Aus einer Gestapo-Personalakte ist ersichtlich, daß die letzte von vielen Vernehmungen am 21. Mai 1935 stattfand, drei Tage nach der Festnahme der Frau. Das angefertigte Protokoll darüber ist mit zittriger Hand von Käthe Larsch unterschrieben worden. Es hatte auch wieder nichts Neues gebracht. Das weitere Schicksal der Frau verschweigt die Akte.
Was ist an jenem 21. Mai 1935 und in den Tagen danach mit ihr geschehen?
Der Essener Bergarbeiter Friedrich Kohlbau aus der Sternstraße 10 war am 21. Mai 1935 festgenommen worden. Am Nachmittag des gleichen Tages wurde er vom Gestapo-Beamten Schröder vernommen. Was er dabei beobachtete, gab er 1945 behördlich zu Protokoll. Darin heißt es:
Als ich in das Zimmer des Schröder eintrat, wurde ich von hinten in das Zimmer hineingestoßen und ins Gesicht geschlagen. Ich weiß aber nicht, wer mich geschlagen hat. Gleichzeitig wurde mir von den Beamten zugerufen: ,,Zurück du Schwein, dreh dich um!,, Ich bemerkte, wie man die mir bekannte Frau Larsch jetzt aus dem Zimmer nach draußen schliff.
Die fast ununterbrochenen Vernehmungen und Folterungen waren zu viel für die 33jährige Frau und Mutter. Völlig zusammengebrochen und geistig verwirrt, musste man sie am folgenden Tag in die Krankenabteilung des Essener Untersuchungsgefängnisses einliefern. Hier schrieb am 25. Mai 1935 der Essener Gefängnisarzt Dr. Teudt folgende ärztliche Bescheinigung:
,,Die am 22. Mai 1935 hier eingelieferte Larsch, Katharina, zeigt Erscheinungen von geistiger Verwirrung, Desorientiertheit, Personenverkennung, Zerstörungswut, Schlaflosigkeit, starke Unruhe. Sie bedarf der Verwahrung in einer geschlossenen Nervenklinik. Die Frage einer Zweckpsychose ist besonders zu prüfen, da sie in einer politischen Sache in Untersuchung genommen ist.,,
Der letzte Satz dieser ärztlichen Bescheinigung ist erschütternd. Mit einer Zweckpsychose wollte man aus der geistig verwirrten Frau jetzt das herausholen, nach dem man in den Vernehmungen ohne Ergebnis gefragt hatte. Noch am gleichen Tag wurde Katharina Larsch in die psychiatrische Klinik der Städtischen Krankenanstalten eingeliefert und auf der Station 12 untergebracht. ,,Patientin wurde von Med.Rat Dr. Teudt hier eingewiesen und im städt. Auto in Begleitung einer Gefängnisbeamtin hierher gebracht,, ließ Stationsarzt Dr. Nolte in die Krankenpapiere schreiben und fügte handschriftlich hinzu: Sofort nach Grafenberg überwiesen (hier ist die psychiatrische Klinik Grafenberg in Düsseldorf, Ortsteil Grafenberg/ Gerresheim, Bergische Landstraße gemeint). Hier sehr unruhig und aggressiv. Seine Diagnose lautet: ,,Psychose (acute),,.
Am 27. Mai 1935 erfolgte die Überweisung in die Heil- und Pflegeanstalt. Die vom Gefängnisarzt Dr. Teudt formulierte Empfehlung einer Zweckpsychose schrieb auch Dr. Nolte in die Krankengeschichte und schickte sie mit nach Grafenberg. Im Jahre 1945 wurden alle diese Dokumente in der Anstalt gefunden.
Was die Essener Kommunistin in den neun Tagen seit ihrer Verhaftung mitgemacht hatte, ist aus dem körperlichen Befund herauszulesen, den man bei ihrer Einlieferung in Grafenberg beschrieb. So steht hinter der Frage nach etwaigen Verletzungen, Missbildungen, Degenerationszeichen, Tätowierungen:
,,Blaue Flecken am ganzen Körper. Untersuchung nur teilweise durchführbar.,,
In der Heil- und Pflegeanstalt versuchte man tatsächlich aus Käthe Larsch mit >sanfter Gewalt< das herauszuholen, was man in Essen wissen wollte. Bewußt und gezielt wurden immer wieder Fragen gestellt, die im direkten Zusammenhang mit ihrer Verhaftung standen. Am 28. Mai 1935 hielt man folgendes fest:
Patientin liegt in der Packung im Bett, ist sehr unruhig. Im Moment, als Herr Prof. Lioli sich auf ihr Bett setzt, greift sie nach ihm hin, zieht seine Uhr aus der Tasche, steckt sie zweimal auf Aufforderung wieder ein, dann zieht sie Füllhalter und Bleistift heraus. ,Es ist mir so heiß, Eis, Eis. Heute Nacht bin ich im Löwenkäfig zerfleischt, (Wo?) der Käfig stand im Polizeipräsidium, alles tut mir weh. Herr Professor, die Luft ist vergast. Geben Sie mir Karotin, ich bin vollkommen verwirrt. (Datum?) Am Samstag wurde ich verhaftet.
(Warum?) Hochverrat. (Wieso?) Kommunistische Blätter. (Wer hat mitgeholfen?) Grüne Haare (Name?) Von einer Familie Henkel zugeführt (Wann?) Mit drei Jahren Zuchthaus bestraft. In Untersuchungshaft drei Monate gesessen.
Dann stellte man der Patientin die Frage nach dem Datum ihres Hochzeitstages. Ihre Antwort auf diese und andere Fragen schrieb man nieder:
Meiner Auffassung nach Februar 1921 … (Datum?) Weiß ich nicht. Samstag bin ich verhaftet, haben mich so geschlagen. Als Frau Larsch bin ich vergast, habe mein Bewusstsein überhaupt nicht. Alles ist abgestorben, nur meine vier Herzen nicht. Mit dem Mund habe ich geweint und mit den Augen geregnet, ganze Seen aber kleine Bäche bestimmt. Ich habe immer Giftgas im Mund, wie kann man das entfernen? … Ich habe alle Welt um Hilfe angerufen. Was habt ihr mich gepeinigt. Was hat man nur mit mir gemacht? Man hat mich vertauscht. (Kinder?) Als Frau Larsch vier lebende, zwei tot. (Name)? Hans, Günter, Wera, Eva, Kurt, Rolf.
Obgleich aus diesen niedergeschriebenen Worten jeder die geistige Verwirrung von Käthe Larsch herauslesen konnte, lenkten diejenigen, die ihr eigentlich helfen sollten, immer wieder ihre Fragen auf das
,,Verbrechen“, dessen man sie beschuldigte. Peinlich genau wurden dann ihre Antworten festgehalten:
(Warum verhaftet?), Hochverrat. Kommunistische Flugblätter hergestellt, immer so gedreht mit einer Abziehmaschine. Den Text brachte der illegale Parteigenosse Willi. Einen anderen Namen kenne ich nicht. Ich habe nur die Blätter von der Maschine angenommen. Ich war krank, sollte zum Arzt, hatte aber niemals Geld dafür. (Was stand drin?) Weiß nicht, kann mich nur noch erinnern: Aufruf Aufruf. Ich habe keine Lust, Zeitung zu lesen … (Stimmung?) Man quält mich ja viel zuviel. Die Nacht haben sie mich in Salzsäure eingepackt … (Unruhig?) Bin ich doch nicht. Mich quält mein Mund, ich habe Fleischfetzen da hängen, ich bin vollkommen ausgeblutet. (Stimmen?) Ich höre da einen Mann singen irgendwo. Ich suche meinen Mann. Sonst nur Weinen, Jammer, Klagen mit Kinderschreien … (Seit wann hören Sie das?) Seitdem ich verhaftet wurde. Ich war in einem Löwenzwinger eingesperrt. Eine schwarze Katze kam in mich hinein … (Körperliche Empfindungen?) Nein, sie haben mich ganz nach Wunsch getötet. Mein Herz konnten sie nicht zerfleischen, nur die Oberfläche, die wußten, daß ich mehrere Herzen hatte … (Krank?) Ich suche meinen Mann, wenn ich den habe, bin ich gesund…
Am Schluß des Protokolls über das Gespräch mit der kranken Arbeiterfrau, gewissenhaft aufgezeichnet vom Personal einer Heil- und Pflegeanstalt, wurde als vorläufige Diagnose vermerkt: ,,Verwirrungszustand“.
Unter dem Datum 29. Mai 1935 stehen nur noch fünf Schreibmaschinenzeilen. Sie geben in knappen Worten Auskunft über die letzten Minuten im Leben der Käthe Larsch: ,,Schlief nicht, lief wüst umher und war nicht im Bett zu halten. Gegen zweieinhalb Uhr plötzliche Veränderung: Sehr blasse Gesichtsfarbe, Atmung und Puls fliegend und unregelmäßig, setzte zeitweilig aus. Temperatur über 42 Grad. Bekam zwei Einspritzungen. Um 5 Uhr an Herzschlag gestorben.“
Ob die Spritzen den Exitus herbeiführten, den der Obduzent Dr. Eichler als plötzlich bezeichnete, ist heute nicht mehr zu klären. Im Obduktionsbefund ist aber auch festgehalten worden: … am rechten Unterarm je ein blau-grauer Fleck, desgleichen an beiden Unter- und Oberschenkeln.


Auf dem Friedhof der Anstalt fand sie ihre letzte Ruhestätte.
Käthe Larsch geb. am 27.08.1901, gest. 29.05.1935
steht auf dem schlichten Gedenkstein des mit Fuchsien und Geranien bepflanzten Grabes.

Das
Schicksal der Kinder
Gestapo-Beamte
Ernst Schröder