SS-Unterscharführer

* 11.09.1907 in Lemgo
† 1975

letzter bekannter Wohnsitz: Lemgo

Reichsdeutscher

7 Klassen Volksschule

Beruf: Schneidermeister

Mitglied der NSDAP (Mitglieds Nu. 1 462 084)

ab 01.08.1932
Mitglied der Allgemeinen SS (Mitglieds Nu. 108 102)
(Dienst im III. Sturmbann der 72. SS-Standarte)

11.10.1935
Beförderung zum SS-Rottenführer (Allgemeine SS)

ab 05.09.1939
Mitglied der Bewaffneten Verbände der SS

vor 1945 Angehöriger der Lagermannschaft im KL
Auschwitz

21.04.1941
Beförderung zum SS-Sturmmann

21.10.1943
Beförderung zum SS-Unterscharführer

Orden, Ehrenzeichen und Medaillen
SA-Sportabzeichen in Bronze

bundesarchiv
Ermittlungsverfahren gegen SS-Angehörige, KZ-Wachmannschaften und Denunzianten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit
BY 5/ V 279/ 123
Bd 6: D

August und Karl Detering

Während man bei Röhr in vielfacher Hinsicht auch opportunistische Motive hinter seinen Handlungen erkennen kann, die zumindest teilweise durch die Abhängigkeit Röhrs als – zudem nur gering entlohnter Volksschullehrer von staatlichen Institutionen erklärbar sind, handelte es sich bei der im Turnverein Lemgo aktiven Familie der Deterings nicht mehr nur um einfache ,Profiteure‘, sondern überzeugte Nationalsozialisten und echte ,Täter‘, die teilweise gar aktiv an der Ermordung der Juden in Deutschland beteiligt waren. Markanteste Gestalt im Alltag des Turnvereins war dabei der Schneidermeister August Detering (geboren im Dezember 1877), bereits von 1906-1922 Turnwart des Vereins, der nach der gescheiterten Gründung des sehr wahrscheinlich antisemitischen Turnvereins ,Jahn Lemgo‘ (1922/24) ab 1925 wieder in die vorderste Reihe des Turnvereins von 1863, aber auch des Lippischen Turngaus, zurückgekehrt war.
Von 1932 bis 1934 leitete er die Lemgoer Ortsgruppe der NSDAP und war 1932 zudem deren Spitzenkandidat bei den Stadtratswahlen gewesen.
Bei den weiteren Familienmitgliedern handelte es sich neben dem in Turnen und Sport außer seiner kurzen Zeit als aktiver Vereinsturner wenig exponierten ältesten Sohn Albert, der es bis 1945 zum SS-Obersturmführer in der Division „Das Reich“ brachte, vor allem um Karl Detering (1907-1975). Dieser war wie sein Bruder bereits vor 1933 der SS beigetreten und hatte neben seiner Tätigkeit eines hinsichtlich der Funktion nicht näher definierten SS-Sportwarts zugleich von 1935/36 bis 1945 auch das Amt des Männerturnwarts bzw. des 2. Turnwarts im Lemgoer Turnverein inne. Karl Detering war nach eigenem Bekunden als SS-Unterscharführer (Uscha) eines SS-Totenkopf-Sturmbanns – nach einer knapp einjährigen Ausbildung und Dienstzeit bei der Waffen-SS im SS-Lager München-Freimann (Außenlager KZ Dachau) seit Anfang des Jahres 1941 knapp vier Jahre lang als Aufseher im Vernichtungslager Auschwitz Teil des NS-Terrorapparats. Hinzufügen könnte man als weitere Person Karls Ehefrau Ella – eine aktive Nationalsozialistin, die in den 1930er und 40er Jahren die, Turnerinnenabteilung‘ des Vereins leitete. Zu einem Wachmann im KZ-Auschwitz wurde Detering dabei offenkundig eher durch Zufall. So war er nach eigenen Angaben Ende August 1940 wegen eines Nieren- und Blasenleidens wehrdienstuntauglich geschrieben worden und nach einem Streit mit einem Vorgesetzten aus dem aktiven ,Dienst‘ ausgeschieden und nach Lemgo zurückgekehrt. Der schriftlichen Aussage eines ehemaligen Turnbruders von Detering im Spruchkammerverfahren in Bergedorf 1948 zur Folge, wurde Detering im Herbst 1940 jedoch von einem SS-Offizier „zur Rede gestellt“ und indirekt der Beeinflussung von Untersuchungsergebnissen und der Drückebergerei beschuldigt. Kurz darauf trat Karl Detering seinen ,Dienst‘ in Auschwitz an. Am 18. Januar 1945 erneut den kämpfenden Einheiten der Waffen-SS zugeordnet, wurde er am 21. Januar bei Rückzugsgefechten in Schlesien leicht verwundet und in ein Lazarett nach Thüringen gebracht. Nach Gesundung und Genesungsurlaub75 konnte er sich in die britische Zone retten. Nachdem Detering als KZ-Wachmann identifiziert und von der britischen Militärpolizei am 2. Juni formal verhaftet und ins Detmolder Landgerichtsgefängnis gebracht worden war, wurde er wenige Tage später ins Internierungslager Recklinghausen, danach in das Internierungslager Neuengamme überstellt.

Schuldbewusstsein zeigte er nur wenig, wenngleich der Staatsanwalt 1948 feststellte, dass er die Taten im Gegensatz zu vielen ehemaligen SS-Männern zumindest nicht leugnen würde.
Gleichsam wurden seine in hohen Maßen widersprüchlichen Aussagen fast anstandslos geglaubt. So hatte Detering zwar einerseits zugegeben, im KZ Auschwitz „als Wachmann“ Dienst getan zu haben, kleinere Häftlingsgruppen auf Außeneinsätzen bewacht sowie auf Wachtürmen eingesetzt worden zu sein, dabei auch die Tötung von „Personen auf der Flucht“ beobachtet wie auch den Rauch der Krematorien von Birkenau gesehen zu haben. Zugleich
beteuerte er im Widerspruch hierzu mehrfach, die meiste Zeit über „nur im Innendienst auf der Schneiderei“ stationiert gewesen zu sein. Folglich habe er auch keine Ahnung gehabt, dass „Leute umgebracht wurden.“ Erst auf mehrmalige kritische Nachfrage räumte er ein, von den Vernichtungsaktionen in Auschwitz nicht nur grobe Kenntnisse, sondern durchaus detaillierte Informationen über Namen und Einsatzgruppen gehabt zu haben und auch selbst zumindest zeitweise bewaffneter Wachmann im Lager gewesen zu sein. Lapidar beschrieb er die Zustände im Lager: „Dem einen Häftling ging es gut, dem anderen schlecht.“ Des Weiteren gab Detering an, sich seit 1940/1941 wegen der unmenschlichen Zustände um einen Austritt aus der SS bemüht zu haben und selbst sechs Wochen inhaftiert gewesen zu sein, da er aus Gründen der Menschlichkeit einen polnischen Häftling begünstigt hätte, der dann geflohen sei. Diese Punkte konnte Detering jedoch nicht glaubhaft belegen und wurden vom Staatsanwalt auch nicht übernommen, da eine Überprüfung der Staatsanwaltschaft ergeben hatte, dass die Lagerjustiz dieses Vorkommnis offenbar nicht als politische, sondern als fahrlässige Begebenheit eingestuft hatte. So geht aus den Verhören und Persilscheinen während des Verfahrens zwar hervor, dass der Dienst ihm eher wenig Begeisterung bereitet hatte. Anders als sein Bruder Albert besaß Karl Detering offenbar nicht den Ehrgeiz und die Motivation zu einer Karriere in der SS – wie sich zudem aus seinen fehlenden Beförderungen ablesen lässt. Darüber hinausgehende Bekundungen Deterings, bereits früh den menschenverachtenden Charakter des Lagers erkannt und sich deshalb um eine Entlassung bemüht zu haben, wurden hingegen nur von einem kleinen Kreis alter und enger Lemgoer Freunde Deterings unterstützt, sind teilweise in ihrer Argumentation widersprüchlich und dürfen als Gefälligkeitsgutachten gelten. Unabhängige Zeugen wie ein 1943-45 bei den Deterings einquartierter Bremer Kaufmann und Ex-NSDAP-Parteigenosse bestritten hingegen derartige Ansichten Deterings.
Im Juni 1948 zu 18 Monaten Haft verurteilt und wegen seiner langen Internierung umgehend entlassen, zeigte er sich auch im für den Herbst des Jahres angesetzten Entnazifizierungsverfahren wenig hilfsbereit.
Obgleich er etwa versuchte, der Kommission die Einsicht in seine Spruchkammerakte zu verweigern wie auch mehrmals eine Aussage unterließ, stufte ihn die Entnazifizierungskommission Ende 1948 unter Leitung des ehemaligen Arbeiterturners Eduard Menze doch von der Stufe III (Mittäter), zu der er im Spruchkammerverfahren in Hamburg-Bergedorf verurteilt worden war, zu einem bloßen Mitläufer (IV) herunter. Zur Begründung heißt es „D. genießt einen guten Leumund. Er ist den Ausschussmitgliedern persönlich bekannt und es liegen ausser den formellen, bis zum Jahre 1939, keine Belastungen vor. In Anbetracht seiner aufrechten Haltung, einer 36 monatigen Internierungshaft, hält der Ausschuss eine Einstufung in der Kategorie III für zu hart und stuft D. in die Kategorie IV, unter Ausschluss aus jeder öffentlichen und politischen Betätigung sowie unter Ausschluss aus dem Verwaltungsdienst ein.“ Tatsächlich war der Vorsitzende der Lemgoer Entnazifizierungskommission, Eduard Menze, noch im Spruchkammerverfahren als Entlastungszeuge Deterings aufgetreten, da dieser die ehemaligen Arbeiterturner als Männerturnwart nach 1933 gut behandelt hätte. Der TV Lemgo hatte ab März 1933 eine größere Anzahl erfolgreicher Rotsportler (KPD) und in seltenen Fällen auch Arbeiterturner (SPD) in seine Reihen aufgenommen, die auch von Detering offenbar anstandslos angeleitet worden waren. Wie im Fall Röhrs spiegelte der Urteilsspruch zudem den Zeitgeist im Kontext des begonnenen Kalten Krieges da, der innerdeutsch zunehmend versöhnlich gegenüber ehemaligen Nationalsozialisten ausgerichtet war.
Auch waren führende Mitglieder des Turnvereins nach 1945 sichtlich darum bemüht, ehemaligen Turnern die Wiedereingliederung und Entnazifizierung zu erleichtern. Darauf jedenfalls lassen zahlreiche überlieferte Schreiben – sogenannte ,Persilscheine‘ – schließen, die im Falle der Deterings fast ausnahmslos von ehemaligen Turnkameraden stammten. So wird Karl Detering von den Ehrenvorständen Fleege und Bracht als „ordentlicher, charaktervoller Mensch“ bezeichnet. Und weiter heißt es: „Es ist uns auch nicht bekannt geworden, daß Detering sich an kirchen- oder judenfeindlichen Aktionen beteiligt hat.“ Diese Äußerung mag in heutigen Ohren mit Blick auf Deterings Biografie als ehemaliger SS-Mann seit spätestens 1932 sowie seiner Tätigkeit als SS-Wachmann im Konzentrationslager für mehr als ein halbes Jahrzehnt nur wie Hohn und Spott klingen, auch dann, wenn man den entlastenden Aussagen Glauben schenken mag, dass es ihm stets an Motivation gemangelt hat. Tatsächlich ist anzumerken, dass eben jener Turnverein sich bereits im April 1933 gleichgeschaltet und alle Juden aus dem Verein ausgeschlossen hatte.
Die Bescheinigungen zugunsten August Deterings ähneln denen seines Sohnes Karl. So darf sich August Detering nach zahlreichen Eingaben schon acht Monate nach seiner Haftentlassung im Februar 1947 (eingestuft in Kategorie III) wieder beruflich betätigen, wenngleich ihm Führungspositionen verwehrt werden sollten. Hierbei war für die Kammer vor allem die vermeintliche Armut Deterings als „kleinem Schneidermeister“ ausschlaggebend. Gar nicht eingehen tat der Ausschuss hingegen auf Deterings Beteuerung, schon Ende 1934 mit dem Nationalsozialismus gebrochen und daher Ende November des Jahres als Lemgoer Ortsgruppenleiter zurückgetreten zu sein. Zu offensichtlich unglaubwürdig waren diese Angaben vor dem Hintergrund Deterings zahlreicher nationalsozialistischer Aktivitäten auch nach 1934. Hinzu kam die belastende Aussage des im Nationalsozialismus aus politischen Gründen verfolgten Arbeiters und kommunistischen Widerständlers Wilhelm Löhr. Dieser hatte ausgesagt, dass Detering noch im Februar 1947 Jungen zum Hitlergruß aufgefordert und einen Protest Löhrs dagegen mit dem Satz kommentiert haben soll: „Wartet mal noch ein paar Jahre, dann sind wir wieder die Herren.“ Auch in Hinblick auf den ,Rücktritt‘ Deterings 1934 verwies Löhr auf Machtkämpfe innerhalb der NSDAP sowie auf den Alkoholismus Deterings, der gerade bei Feierlichkeiten des Schützenvereins, in dem Detering zeitgleich in vorderster Linie tätig war, offen zu Tage trat: „Abgesetzt hat man ihn, als er sich auf einem Schützenfest in angetrunkenem Zustand sehr blamierte.“

Bemerkenswert am Fall der Deterings ist neben der Tatsache, dass sowohl Karl und Ella, als auch August, nach 1945 in Lemgo weitestgehend wieder ins städtische Leben wie auch das des Turn- und des Schützenvereins reintegriert worden waren, vor allem die vollständige Ignoranz der lippischen Regionalgeschichte gegenüber dieser besonders exponierten Täterfamilie. Alle drei waren seit etwa Mitte 1948 wieder anerkannte Persönlichkeiten des städtischen Lebens. Auch in Vereinsämter kehrten sie zurück. So entwickelte sich August Detering bis zu seinem Tod Ende der 1960er Jahre als führendes Mitglied des Ältestenrates zur ,grauen Eminenz‘ des Vereins. In zahlreichen Zeitungsartikels anlässlich runder Geburtstage wurde er für sein Engagement im Turn- wie im Schützenverein, dessen ,Ehrenhauptmann‘ er lange war, geehrt.
Karl Detering kehrte nach seiner Haftentlassung 1948 gleichsam sofort in wichtige Funktionen zurück. 15 Jahre lang war er Übungs- und Abteilungsleiter zunächst in der Faustball-, dann in der Leichtathletikabteilung, bevor er 1963 seinem Vater in weiteren Gremien nachfolgte. Nach dem Tode des Vaters gab er den Schneiderberuf endgültig auf und wurde 1971 – mit knapp 64 Jahren – Mitarbeiter des Ordnungsamtes der Alten Hansestadt Lemgo. Ob diese Anstellung in Unkenntnis des 1948 ausgesprochenen Verbots einer Betätigung Karl Deterings im öffentlichen Dienst geschah, eine bewusste Hinwegsetzung darstellte oder ob auch diese Strafe in der Zwischenzeit wieder aufgehoben worden war, kann heute nicht mehr überprüft werden, da seine Lemgoer Personalakte vernichtet wurde.93 Höhere Positionen hatte er Erinnerungen ehemaliger Kollegen zur Folge nicht mehr inne, dafür aber Probleme mit Alkohol und der Gesundheit. Er starb 1975 als Mitarbeiter des Ordnungsamtes.

Quelle: Zeitschrift für lippische Geschichte