Plettenberg - eine Kleinstadt 1933-1945

1933 übernahmen die Nationalsozialisten die Macht in der von Krisen geschüttelten Weimarer Republik. Adolf Hitler wurde Reichskanzler und die NSDAP begann, eine Diktatur aufzubauen. Die Verbrennung der Weimarer Fahne „Schwarz-Rot-Gold“ am 14. März 1933 auf dem zentralen Mai-Platz in Plettenberg war das Zeichen eines neuen und zugleich totalitären Anfangs. Die mit der Macht- und Regierungsübernahme durch Adolf Hitler verbundene Gleichschaltungspolitik führte auch in Plettenberg dazu, dass die Parteien aufgelöst, kommunistische und sozialdemokratische Funktionäre in „Schutzhaft“ genommen wurden. Allein im Amt Plettenberg wurden zwischen 1933 und 1934 94 Personen in „Schutzhaft“ genommen, ein Großteil davon Anfang März 1933. Die meisten kehrten zu ihren Familien zurück, allerdings nur der Voraussetzung, dass sie von einer politischen Tätigkeit absahen. Im Juli 1933 wurde der Nationalsozialist Dr. Kurt Eckler in Plettenberg Bürgermeister. Er richtete die kommunale Verwaltung nach dem Führerprinzip aus, das die Gemeindeverfassung vom Dezember 1933 festlegte. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits alle politischen Parteien und Verbände beseitigt, und alle Gewerkschaften und Vereine wie z.B. auch der Fabrikantenverein fielen in den folgenden Monaten nach und nach der „Gleichschaltung“ zum Opfer. Nach der Einführung der Deutschen Gemeindeordnung 1935 gab es im Plettenberger Stadt- und Gemeinderat nur noch Vertreter der NSDAP.
Nach eineinhalb Jahren war es den Nationalsozialisten gelungen, in Plettenberg auch die städtische Verwaltung umzustrukturieren. Das Führerprinzip war an die Stelle der demokratischen Meinungsbildung getreten.
Zu den wichtigen Aufgaben der Bürgermeister gehörte die Anfertigung von „politischen Lageberichten“, in denen über die politische Lage, die „Stimmung“ in der Gemeinde berichtet werden sollte. Sie dienten dazu, möglichst früh gegen eventuellen Widerstand in der Bevölkerung vorgehen zu können. Über das Landratsamt gelangten die Berichte an die zuständige Gestapo-Stelle in Dortmund. Dem Plettenberger Amtsbürgermeister gelang es schließlich, Vertrauenspersonen und Parteigenossen
zu gewinnen, die ihm Informationen über die örtlichen Begebenheiten zukommen ließen. Diese Informanten ließen den Arm der Gestapo fast bis in jedes Haus reichen.
Eine Episode von besonders überzeugter nationalsozialistischer „Leidenschaft“ ist die Geschichte von Hitlers Ehrenbürgerschaft der Stadt Plettenberg. Der Bürgermeister der Stadt hatte im Mai1936 Hitler gebeten, Ehrenbürger von Plettenberg zu werden.
Als er keine Rückmeldung bekam, nutze er einen Besuch in Berlin, um die Sache persönlich vorzutragen. Nach seiner Rückkehr bekam er die Mitteilung aus Berlin, Hitler sei schon seit 1934 Ehrenbürger von Plettenberg.
Dem war auch so, allerdings vom Amt Plettenberg. Es lag eine Verwechslung vor. 1937 wurde Hitler auch Ehrenbürger der Stadt.
Eine persönliche Übergabe des Ehrenbriefs scheiterte jedoch. lokalen Jugendorganisation. Nach anfänglichen organisatorischen Problemen gelang es ihr, ihren Monopolanspruch auf dem Gebiet der Jugendarbeit durchzusetzen und nahezu alle Plettenberger Jugendlichen zu organisieren. Alle Schulen durften als Zeichen für eine vollständig in der Hitlerjugend organisierten Schülerschaft im Schulhof die Hakenkreuzfahne hissen. Konkrete Projekte der HJ wie die die Unterhaltung von HJ-Heimen oder der Bau eines neuen Heimes für das Amt Plettenberg gelangen nur unzureichend oder kamen nicht mehr zur Ausführung.
Während des Krieges änderte sich die Situation der HJ grundlegend. Der „Kriegseinsatz“ kam als neue Aufgabe hinzu. Ein trauriges Beispiel für derartige Einsätze ist der Tod von neun Plettenberger Hitlerjungen, die als Flakhelfer eingesetzt, bei Aufräumarbeiten in Dortmund durch die Detonation einer Luftmine ihr Leben verloren.

Die stark protestantisch geprägte Kleinstadt Plettenberg gehörte zu den Hochburgen des Nationalsozialismus im damaligen Gau „Westfalen-Süd“. Deutlich macht dies die letzte freie Reichtagswahl vom 5. März 1933, bei der in der Stadt 44%, im Amt Plettenberg sogar fast 49% der Wähler für die NSDAP votierten, während im gesamten Gau „Westfalen-Süd“ die NSDAP lediglich rund 34% der Stimme erreichte. Ein weiteres Indiz für die verhältnismäßig starke Verankerung der NSDAP in Plettenberg offenbart der Organisationsgrad der Partei. Diese hatte 1945 rund 1500 Mitglieder, was einem Anteil von 8,2% an der Bevölkerung entsprach. Zum Vergleich: Im Kreis Altena-Lüdenscheid betrug der Anteil 6,4% und im Gau „Westfalen-Süd“ 5,9%. Trotz seiner menschenverachtenden Politik standen viele Plettenberger Menschen dem Nationalsozialismus in der 2. Hälfte der 1930er Jahre insbesondere deshalb loyal gegenüber, weil vor Ort neue Infrastrukturprojekte initiiert und realisiert worden waren. Der Bau des Freibades, des neuen Rathauses und von Siedlungshäusern sowie der Straßenbau zeigte vielen Menschen, dass der NS-Staat neben seinen „außenpolitischen Erfolgen“ auch vor Ort positive Akzente zu setzen wusste.


In der Nacht vom 9. zum 10. November des Jahres wurden die Fensterscheiben der jüdischen Geschäfte in Plettenberg und außerdem zum großen Teil auch die Wohnungseinrichtungen der hier wohnenden Juden zerstört. Auf Grund der gegebenen Anordnung wurden dann am frühen Morgen des 10. Novembers die in der anliegenden Liste aufgeführten männlichen Juden festgenommen. Die Unterbringung erfolgte in Werdohl, Herscheid und Plettenberg (Rathaus und Amtshaus). Wegen ihres hohen Alters wurden die außerdem noch festgenommenen Juden Adolf Sternberg (70 Jahre), Louis Loewenthal (74 Jahre) und Alex Heilbronn (70 Jahre) gestern Nachmittag wieder freigelassen. Es sind nur solche Maßnahmen getroffen worden, die keine Gefährdung des deutschen Lebens oder Eigentums mit sich brachten. Geschäfte und Wohnungen von Juden wurden lediglich zerstört, nicht geplündert. Ausländische Juden sind hier nicht wohnhaft und wurden auch nicht belästigt. Brände sind nicht gelegt.
In der Wohnung des Juden Julius Bachrach in Plettenberg wurden 2 geladene Trommelrevolver sichergestellt.
Auf die Frage des festnehmenden Beamten nach dem Besitz von Waffen hat Bachrach die beiden Revolver freiwillig herausgegeben.
Das in dem Geschäftsraum der hiesigen jüdischen Kultusgemeinde vorhandene Archivmaterial wurde polizeilich beschlagnahmt und ist hier sichergestellt.
Besondere Aktionen gegen Juden oder antisemitische Kundgebungen haben in der Stadt und Amt Plettenberg seit gestern Morgen nicht mehr stattgefunden. Es wurden in der vergangenen Nacht lediglich noch die Bretterverschläge der Schaufenster zu den jüdischen Geschäften mit Aufschriften wie z.B. „Raus nach Palästina“ usw. beschmiert. Täter konnten nicht ermittelt werden.
Es wurden 20 jüdische Männer in Plettenberg festgenommen. Vier von ihnen wurden wieder freigelassen, drei aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters und einer wegen Krankheit. Die meisten der Verhafteten kamen aus Plettenberg, einige von ihnen lebten auch in anderen Städten, waren aber zum Zeitpunkt der Verhaftungen vor Ort. Da die örtlichen Gefängnisse nicht ausreichten, wurden auch sie auf die Gefängnisse der umliegenden Gemeinden verteilt. Die Haftkosten mussten die jüdischen Männer selbst bezahlen. Von den Gefängnissen ging es dann über die „Steinwache“, dem Gestapo-Gefängnis in Dortmund, in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Die Inhaftierung hatte das Ziel, durch Repressalien und Folterungen die jüdische Bevölkerung zur Auswanderung zu zwingen. Die Inhaftierten sollten physisch und psychisch erniedrigt werden.
Zu den Inhaftierten gehörten auch Hugo Neufeld und Julius Bachrach, Plettenberger Kaufleute und angesehene Bürger der Stadt.
Sie führten gemeinsam – Julius Bachrach hatte 1912 Olga Neufeld, die Schwester von Hugo Neufeld, geheiratet – ein großes Geschäft in der Wilhelm- bzw. Grünestraße. Nach ihrer Inhaftierung und Überführung ins Gestapo-Gefängnis in Dortmund wurden sie vermutlich per Eisenbahn nach Sachsenhausen gebracht. Zum Leben der Häftlinge im KZ
Sachsenhausen gibt es nur wenige Dokumente. Die Erlebnisberichte von Opfern legen jedoch ein bedrückendes Zeugnis ab von den menschenunwürdigen Zuständen, die die Inhaftierten erlebten: Dazu gehörten Fußtritte und Faustschläge, Beschimpfungen, stundenlanges Warten auf dem Appellplatz, die Wegnahme der eigenen Kleidung und Wertsachen, entwürdigende medizinische Untersuchungen, das Duschbad mit Entlausung, die Häftlingskleidung, das Eingepferchtsein mit bis zu 400 Häftlingen in einer Baracke, die nur für 150 Häftlinge geplant war, das Schlafen auf Strohsäcken auf dem Boden, das geringe und schlechte Essen, langes Exerzieren, schwere körperliche Arbeit. Kurzum: Alles war darauf angelegt, die Inhaftierten zu erniedrigen und zu zermürben.
Julius Bachrach wurde am 16. Dezember 1938 aus dem KZ entlassen. „Vorläufig“, wie es in einem Bericht des Plettenberger Bürgermeisters hieß. Er hat gegenüber seiner Familie nicht darüber gesprochen. Aber allein die Tatsache, dass er nach seiner Rückkehr fortan immer eine Zyankalikapsel bei sich trug und dieses mit dem Satz kommentierte „Wenn sie wieder kommen und mich holen wollen, gehe ich nicht mit“, lässt zumindest erahnen, was er in Sachsenhausen durchlebt hat. Die Freilassung hatte schließlich ihren Preis. Das wurde Julius Bachrach nach seiner Rückkehr recht schnell deutlich gemacht. Bei einer Vorladung zur Ortspolizeibehörde am 17.12.1938 wurde ihm folgende Erklärung vorgelegt, die er unverzüglich zu unterschreiben hatte:
„Mir ist eröffnet worden, dass ich meine Auswanderung, sowie die meiner Familienangehörigen, Ehefrau und 1 Kind umgehend zu betreiben habe. Die Auswanderung hat innerhalb einer Frist von 14 Tagen, im Höchstfall von 3 Wochen zu erfolgen; zum mindesten muß ich bei Ablauf der Frist Unterlagen vorweisen, aus denen zu ersehen ist, dass meine Versuche zur Auswanderung greifbare Formen angenommen haben. Kann ich diesen Nachweis nicht erbringen und verzögere ich meine Auswanderung und die meiner Angehörigen absichtlich, so habe ich mit einer erneuten Inhaftnahme bzw. mit anderen staatspolizeilichen Maßnahmen zu rechnen“.
Julius Bachrach wollte auswandern. Er und auch seine Frau haben es versucht. Ebenso sein Schwager Hugo Neufeld und seine Frau Johanna. Ohne Erfolg. Julius Bachrach und seine Frau Olga wurden im Oktober 1941 von Köln aus in das Getto
Lodz (damals Litzmannstadt) deportiert, Hugo und Johanna Neufeld im November 1941 in das Getto nach Minsk. Die Kinder der Ehepaare konnten glücklicherweise noch rechtzeitig ins Ausland emigrieren. Sie überlebten.

Quelle: Stadtarchiv Plettenberg