F VI.

Die innere Einstellung des Angeklagten Suchomel zu seinem Einsatz im Vernichtungslager Treblinka

Dem Angeklagten Suchomel war genau bekannt, auf welche grausame und hinterhältige Art und Weise Juden und Zigeuner in Treblinka vernichtet wurden. Er war sich ebenfalls darüber im Klaren, dass seine Tätigkeit im Lager dazu diente, den reibungslosen Ablauf der Massenvernichtung zu fördern.
Nach seiner eigenen, durchaus glaubhaften Einlassung hielt er die Tötung der Juden und Zigeuner für ein Unrecht und für einen Verstoß gegen die Gebote des Christentums, der Menschlichkeit und der Strafgesetze, der auch dadurch nicht rechtens geworden war, weil der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler diese Aktion angeordnet hatte. Er war aber der Meinung, dass er diesem Führerbefehl Folge leisten müsse. Durch seinen Dienst beim tschechoslowakischen Heer, beim deutschen Militär und bei T4 sowie durch seine Mitgliedschaft bei der Sudetendeutschen Partei und beim NSKK hatte er sich daran gewöhnt, stets allen Anordnungen nachzukommen und seinen Dienst an jedem Platz zu verrichten, an den er gestellt wurde, selbst wenn er etwas tun musste, was ihm nicht gefiel. Er glaubte deshalb auch im Vernichtungslager Treblinka alle Befehle ausführen zu müssen, zumal sie nach seiner Vorstellung von höchster Stelle kamen. Damit beruhigte er sein Gewissen und wirkte willig und eifrig an der Erfüllung der ihm gestellten Aufgaben bei der Tötung von Juden und Zigeunern mit.

Der Angeklagte Suchomel lässt sich wie folgt ein:
Er habe nur aus Angst vor Christian Wirth bei der Vernichtung von Juden und Zigeunern mitgewirkt. Hätte er es abgelehnt, in Treblinka mitzumachen, so würde Wirth ihn entweder erschossen oder in eine Bewährungseinheit oder ein Konzentrationslager gebracht haben. Damit habe Wirth ständig und bei jeder sich bietenden Gelegenheit gedroht.
Wirth sei auch sonst immer grob und ausfallend gewesen. Einmal habe Wirth festgestellt, dass bei einer Abfertigung das Einsammeln eines Wertobjektes übersehen worden sei. Er habe ihn sofort zur Rede gestellt und ihm zur Strafe befohlen, den Kot, den die im Schlauch auf ihrer Vergasung wartenden Juden in ihrer Todesangst in großer Menge ausgeschieden hätten, in einen großen Kübel zu schaufeln und diesen wegzuschaffen. Diese Arbeit sei sonst immer nur von Arbeitsjuden ausgeführt worden. Wirth habe ihn damit besonders hart demütigen wollen, dass er ihn zur Ausführung dieser Arbeit gezwungen habe. Er habe sich wiederholt bemüht, von Treblinka wegzukommen. Schon bei Dr. Eberl habe er zweimal wegen einer Versetzung vorgesprochen, freilich ohne Erfolg. Ein anderes Mal habe er sich dieserhalb an Christian Wirth gewandt, der jedoch von ihm mit barschen Worten ein Ausharren auf seinem Posten verlangt und mit der Einweisung in ein Bewährungsbataillon oder in ein Konzentrationslager gedroht habe. Ein viertes Mal schließlich habe er den gerade in Treblinka zu einer Inspektion weilenden SA-Standartenführer Blankenburg um seine Ablösung gebeten. Blankenburg habe ihm eine Versetzung mit den Worten, Sie können höchstens zum Einsatz Dr. Brandt ins Reich kommen angeboten. Diese ihm von Blankenburg gebotene Chance, ins Reich versetzt zu werden, habe er aufgrund seiner christlichen Gesinnung nicht wahrgenommen. Er habe vermutet, dass es sich bei dieser Aktion Dr. Brandt um die Weiterführung der Euthanasie, also eine andere schiefe Angelegenheit gehandelt habe. Von Blankenburg habe er darüber keine näheren Auskünfte mehr begehrt, da er sich gleich von diesem Angebot habe distanzieren wollen. Habe er doch befürchtet vom Regen in die Traufe zu kommen. Für ihn als Katholiken sei die Tötung Geisteskranker genauso schlimm gewesen wie die Tötung von Juden und Zigeunern. Er hätte sich also unter keinen Umständen verbessert, da beide Tätigkeiten gleich verwerflich gewesen seien. Unter diesen Umständen habe er sich entschlossen, in Treblinka auszuharren.
Ein schriftliches Gesuch um Versetzung zur Front würde keinerlei Erfolg gehabt haben. Aus diesem Grunde habe er auch während seines häufigen Urlaubs niemals bei der Dienststelle T4, bei seinem zuständigen Wehrbezirkskommando oder bei seinem früheren Wehrmachtstruppenteil vorgesprochen.
Im übrigen habe er sich nur an die ihm erteilten Befehle gehalten. Er habe auf ankommende Juden nicht eingeschlagen und nicht auf sie geschossen. Arbeitsjuden habe er gleichfalls nicht getötet, sondern sie alle gut behandelt.
Dass Suchomel seine Gold- und Hofjuden gut behandelt hat,
ist durch die vereidigten Zeugen
Gl.
Un.
Do.
Raj.
Oscar Stra.
Pla.
Sed.
Ku.
Wei.
Au.
Lew.
bewiesen und bereits im Abschnitt
F.II.2. des Zweiten Teiles der Gründe ausführlich dargelegt worden. Andererseits ist im Abschnitt F.II.1. aufgrund der Bekundung der eidlich vernommenen Zeugen
Gl.
Tu.
Kols.
Oscar Stra.
Do.
Tai.
Koh.
eingehend geschildert worden, dass Suchomel bei Transportabfertigungen auch brutal sein konnte, indem er auf angekommene und zur Vernichtung bestimmte Juden mit der Peitsche einschlug und in wenigen Fällen auch von seiner Schusswaffe Gebrauch machte, um in den Augen seiner Vorgesetzten und Kameraden nicht als Weichling und Versager zu gelten.
Dass Suchomel sich zweimal bei. Dr. Eberl und einmal bei Christian Wirth erfolglos um eine Versetzung bemüht hat, ist ihm nicht zu widerlegen. Ob aber diese Versetzungswünsche aus moralischen Gründen oder nur deshalb erfolgten, weil Suchomel, der anfangs häufig an die Rampe musste, der Umgang mit Leichen und mit Todeskandidaten anwiderte, bleibt ungeklärt, und zwar unter anderem deshalb, weil Suchomel das ihm von Blankenburg gemachte Angebot, zum Sondereinsatz Dr. Brandt ins Reich zu gehen, ohne nähere Prüfung ausschlug. Wie Suchomel selbst einräumte, ereigneten sich in Treblinka Dinge, die man sich kaum vorstellen kann.

Alle Arten von Grausamkeiten waren in Treblinka denkbar. Es war, wie die vernommenen Zeugen, darunter der Ingenieur Gl., der Klempner Oscar Stra. und der Hoteldirektionsassistent Sed. erklärt haben, die Hölle auf Erden. Es hätte daher nichts näher gelegen, als das Angebot Blankenburgs näher zu prüfen und sich ins Reich zu melden. Schlimmer als in Treblinka konnte es unter keinen Umständen werden. Zudem war Suchomel früher bei T4 und in der Heil- und Pflegeanstalt in Hadamar nur als Fotokopist und keineswegs an den Gasöfen beschäftigt worden. Bei einer Versetzung ins Reich hätten sich ihm jedenfalls weit bessere Möglichkeiten dazu geboten, aus dem Kreis der Dienststelle T4 auszuscheren. Das gilt um so mehr, als gerade der SA-Standartenführer Blankenburg von der Zeugin Ra., die von September 1938 bis April 1945 Sekretärin in der Kanzlei des Führers war, als ein verhältnismäßig umgänglicher und kameradschaftlicher Vorgesetzter geschildert wurde, mit dem man habe reden können. Dass Suchomel unter den beiden gebotenen Möglichkeiten, nämlich Aktion Dr. Brandt im Reich und Sonderkommando Treblinka, sich ohne nähere Prüfung sogleich für Treblinka entschied, lässt den Schluss zu, dass er angesichts der ihm gebotenen zahlreichen Vergünstigungen sein Leben im Vernichtungslager Treblinka erträglich fand.
Suchomel hat darauf hingewiesen, dass ein Versetzungsgesuch zu einer regulären Wehrmachtseinheit oder zur Front in jedem Falle aussichtslos gewesen sei. Das steht aber keinesfalls fest, denn der Mitangeklagte Ru. erinnert sich an einen im Vernichtungslager Treblinka tätig gewesenen jungen SS-Mann namens Alfred, dessen Gesuch um Versetzung zur Fronttruppe stattgegeben worden ist.
Er wurde nach dem 2.August 1943 zu einer regulären Fronteinheit versetzt.
Dass man, wenn man nur hartnäckig genug war, selbst bei Wirth etwas erreichen konnte, beweist zudem die Versetzung des Angeklagten Stadie vom Vernichtungslager Treblinka zum Arbeitslager in Lublin, die Wirth anordnete, ohne dass Stadie besondere Nachteile erlitt.