Hannover Josephstraße 22

Judenhaus

Das Haus Hannover Josephstraße 22, zwischen (heute Ecke Klagesmarkt/Otto-Brenner-Straße), war ein jüdischen Privathaus. Das Haus wurde von der Stadt Hannover für für ca. 80 Menschen bis Februar 1942 als „Judenhaus“ genutzt. Da den Juden im April 1939 der Miet- und Räumungsschutz entzogen worden war, wurden Juden und ,,unerwünschte Elemente" in diese Judenhäuser zwangseingewiesen. Nachdem im März 1942 die Mehrzahl der jüdischen Hausbewohner deportiert, der Rest in andere „Judenhäuser" eingewiesen worden waren, konnte es daher für die Nutzung der ,,Arischen Volksgemeinschaft" zugeführt werden. Bis zur Zerstörung Ende 1943 wurde das Gebäude von nichtjüdischen Mietern bewohnt.

Bewohner:
Lindenbaum Selma (Sura)
Geschichte der Familie Lindenbaum:
Jacob Lindenbaum * 20.06.1889 Dolina (Galizien) war verheiratet mit Lindenbaum Selma (Sura) * 02.11.1895 Dolina (Galizien). Das Ehepaar hatten zwei Kinder: Adolf * 06.06.1921 Hannover und Leo * 22.03.1923 Hannover. Wohnort der Familie war in den1930er Jahren die Knochenhauerstraße Nr. 64 in der hannoverschen Altstadt. Jacob Lindenbaum war Inhaber des Trikotagen- und Strumpfwarengeschäft „Fa. Jacob Lindenbaum, Textilwaren in der Deisterstraße Nr. 15.

Nach der Machtübernahme 1933 durch die Nazis, änderte sich auch für die Familie Lindenbaum das Leben dramatisch. Der Sieg-Verlag mit Sitz in der Georgstraße Nr. 46 druckte in seinem antisemitischen Hetzblatt "Stürmer-Freunde-Hannover" Anfang 1935 die Liste "Juden in Hannover" heraus. Ihr Inhalt: "Jüdische, jüdisch versippte und getarnte Firmen, Geschäfte, Händler, Handwerker, Banken, Rechtsanwälte, Ärzte und Einzelpersonen usw. usw. in
Hannover". Die zweiseitige Liste ist nach Branchen geordnet. Sie enthält Personen- und Geschäftsnamen samt Adressen.
Im Vorwort verfasst vom Leiter des Verlags Heinz Siegmann, NSDAP-Mitglied und überzeugter Anhänger der Hitler Bewegung heißt es:
"Ausländische Zeitungen bringen immer noch Nachrichten über Greuel, die in Deutschland an Juden angeblich verübt worden sind, bzw. heute noch verübt werden. Um zu beweisen, daß alle diese Meldungen Lügen sind und daß den in Deutschland lebenden Juden niemals etwas Böses geschah bzw. heute noch geschieht, bringt der Verlag diese Liste heraus. Wer kann beweisen, daß an folgenden Juden in Hannover jemals Greuel verübt worden sind?"
Die Verlogenheit der Nazis wird am Schluss des Artikels deutlich, wo der Verlag auf Anordnung Heinz Siegmanns eine "wichtige Anordnung" der NSDAP-Reichsleitung vom 16. August 1934 abdrucken lässt.

Darin wird den Parteimitgliedern der berufliche und öffentliche Umgang mit Juden weitgehend verboten und bei Verstößen eine parteigerichtliche Ahndung angedroht. Zur Begründung hieß es: "Die Partei hat im Kampf gegen die Vorherrschaft des volkszerstörenden jüdischen Geistes in Deutschland ungeheure Opfer bringen müssen und muß es als würdelos verurteilen, wenn zu einer Zeit, da immer noch Millionen deutscher Volksgenossen im Elend leben, Parteigenossen für die eintreten, die namenloses Unglück über unser deutsches Volk gebracht haben."

Bei der „
Polenaktion“ am 28. Oktober 1938 (diese Aktion ist auch die Wurzel zu dem späteren Mord an von Rath in Paris und dem darauf folgende Pogrom am 09./10.11.1938), werden die Söhne, der 17-jährige Adolf und der 15-jährige Leo nach Polen abgeschoben.

Bei den Ausschreitungen der Nazis in der Nacht vom 09.11.1938 auf den 10.11.1938 (Reichskristallnacht) werden die Schaufensterscheiben des Textilwarengeschäftes von Jacob Lindenbaum eingeworfen und das Geschäft verwüstet und teilweise geplündert. Aufgrund von Erlassen der Regierung sowie der Stadt Hannover durfte Jacob den Laden danach nicht wieder eröffnen. Zum Ende des Monats gab er sein Geschäft auf.
Jacob Lindenbaum gab seine Wohnung in der Knochenhauerstraße Nr. 64 auf, und zog am 15.12.1938 mit seiner Frau in das Haus Bergmannstraße Nr. 10 (eine Nebenstraße der Langen Laube). Hier wohnte bereits Lea Straßmann geb. Lindenbaum * 06.10.1903 Hannover, dep.
15.12.1941 Hannover – Ghetto Riga + 13.05.1945. Lea eine jüngere Schwester von Jacob hatte sich von ihrem Ehemann getrennt (die Umstände der Trennung sind nicht bekannt). Salomon Lindenbaum, der Vater von Lea und Jacob, war Eigentümer des Hauses und Grundstücks Knochenhauerstraße Nr. 64, er hatte vor seiner 1936 erfolgten Auswanderung nach Palästina das Haus nebst Grundstück seinen sechs Kindern zu gleichen Teilen überschrieben. Jacob, der sich nach den Vorfällen vom 09./10.11.1938 um eine Auswanderung für sich, seine Frau und Schwester Lea nach Tel Aviv in Palästina zu seinem Vater bzw. Schwiegervater Salomon Lindenbaum bemühte, gab dieses Vorhaben aber im Januar 1939 auf (Grund nicht bekannt). Im Rahmen der immer mehr um sich greifenden Entrechtung der Juden durch die deutschen Behörden, und um seinen Schwager vor Repressalien durch die Behörden zu schützen, gab Jacob in einem für „Außenstehende“ etwas umständlich formulierten Schreiben vom 10.07.1939 an das Oberfinanzpräsidium Hannover an, seine Schwester habe "die eheliche Gemeinschaft mit ihrem Gatten nicht wieder aufgenommen." Jacob bemühte sich nach dem Scheitern der Auswanderung für sich, seine Frau und Schwester Lea nach Tel Aviv, um eine Umsiedlung nach Dolina in Polen, dem Geburtsort der Eltern. Hier waren bereits seine beiden abgeschobenen Söhne Adolf und Leo untergekommen

Politische Hintergründe: "Am 24. Januar 1939 wurde eine deutsch-polnische Vereinbarung geschlossen. Sie lief einerseits darauf hinaus, dass Polen die Familienangehörigen der im Oktober 1938 Abgeschobenen - etwa 5-6.000 Menschen - aufnehmen würde. Sie gestattete es andererseits den Abgeschobenen, befristet noch einmal nach Deutschland zurückzukehren, um ihre Angelegenheiten zu regeln, ihren Besitz zu verkaufen."

Adolf Lindenbaum, der ältere der beiden Söhne, reiste daraufhin im August 1939 nach Hannover, um zusammen mit den Eltern den Umzug nach Polen vorzubereiten. In einem "Umzugsgutverzeichnis" musste gegenüber der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidiums jedes einzelne Teil genau aufgelistet und von dort freigegeben werden. Die Finanzbehörde forderte u. a. Rechenschaft über das Alter von Kleidungsstücken und Gebrauchsgegenständen. Damit sollte erreicht werden, dass keine Vermögenswerte in Form von neu angeschafften Sachgütern ins Ausland mitgenommen werden. Die Umzugslisten von Jacob und Selma Lindenbaum sowie von Adolf Lindenbaum wurden dann von der Devisenstelle mit Stempel vom 17. Juli und 16. August 1939 freigegeben. Durch den am 1. September 1939 erfolgten Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen war eine Ausreise nicht mehr möglich.
Adolf Lindenbaum, der sich zu diesem Zeitpunkt noch in Hannover aufhielt, wurde zusammen mit seinem Vater Jacob verhaftet und im Oktober 1939 in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt.
Aus Akten des Oberfinanzpräsidiums Hannover, die nach 1945 aufgefunden wurden, geht hervor, dass Selma (Sura) Lindenbaum und ihre Schwägerin Lea Straßmann im November 1939 noch in der Bergmannstraße Nr. 10 zu zweit in einem gemeinsamen Haushalt lebten.
Aus den Akten geht weiter hervor:
Das Regierungspräsidium Hannover verfügte am 15.10.1941 unter Bezug auf diverse Gesetze und Verordnungen "über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens", dass die gesamten Vermögenswerte von Selma Lindenbaum zugunsten des Deutschen Reiches einzuziehen seien.
Hintergrund: Da zu diesem Zeitpunkt die Deportationen von Juden und ,,unerwünschte Elemente" bereits beschlossen und teilweise begonnen hatten, mußten diese mehrseitiges behördliches Formular als "Vermögenserklärung" ausfüllen, und den Behörden aushändigen. Selma Lindenbaum erhielt dieses Formular und füllte es mit Datum vom 13. November 1941 aus.
Aus diesen Unterlagen, die nach 1945 aufgefunden wurden, geht hervor: Selma sei seit dem 04.09.1941 (heute wissen wir, das es sich um die Vorbereitung zur Deportation gehandelt hat) im "Judenhaus" Hannover Josephstraße Nr. 22 gemeldet. Beruf: Arbeiterin, Arbeitgeber: Waschanstalt Giseler Podbielskistraße Nr. 63.

Daten ihrer Angehörigen, die in Unterlagen nach 1945 gefunden wurden, geben an:
Ehepartner, Lindenbaum Jacob: Block 22, Konzentrationslager Buchenwald, Häftlingsnummer: 3117, + 04.04.1945 Konzentrationslager Buchenwald. Jacob hat somit die Befreiung des Lagers am 11.04.1945 durch die 3. US-Armee nicht mehr erlebt.

Sohn, Lindenbaum Adolf: Block 22, Konzentrationslager Buchenwald, Häftlingsnummer: 971, es folgte eine Odyssee durch die Konzentrationslager Buchenwald, Auschwitz, Buna, Nordhausen und Ravensbrück. Am 2. Mai 1945 wurde er bei Werbellin befreit. Anschließend hielt er sich noch für einige Monate in Deutschland auf, u. a. auch für kurze Zeit in Hannover. 1946 ist Adolf Lindenbaum nach Israel ausgewandert.

Sohn, Lindenbaum Leo zuletzt Wohnhaft: Dolina (Galizien, heute Polen

Schwägerin: Straßmann Lea geb. Lindenbaum * 06.10.1903 Hannover, dep. 15.12.1941 Hannover – Ghetto Riga + 13.05.1945

Nach der Deportation der beiden Frauen, begann bereits im Februar 1942 die Verwertung der Hinterlassenschaft der Familie Lindenbaum durch die deutschen Behörden. Das Oberfinanzpräsidium Hannover machte sich daran, die verbliebenen Vermögenswerte bei der Dresdner Bank einzuziehen. Das zollverschlossene Umzugsgut, das beim Spediteur Georg Buitkamp in der Marienstraße Nr. 46 gelagert war, wurde "verwertet". Der Begriff "verwertet" bedeutet im Behördendeutsch nichts anderes als es zu veräußern bzw. Staatlich angeordneter Diebstahl. Aus den nach 1945 aufgefundenen Unterlagen geht hervor, das der Verkauf von fünf Kisten Umzugsgut der Familie Lindenbaum ein finanziellre Erlös von 968,75 RM zu Gunsten des Deutschen Reiches erbrachte.