Auschwitz

Am 31.08.1943 verläßt ein Sonderzug (71. Transport) mit 1004 Juden und unerwünschte Elemente das Polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork mit Ziel Auschwitz. Der Zug erreicht das VKonzentrationslager Auschwitz am 02.09.1943. Von diesem Transport haben bis zur Auflösung des Lagers alle ihr Leben verloren.

Am 24. August 1943 wurden 21 Juden mit dem Zug aus Groningen abtransportiert. Laut einem Bericht der Polizei in Leeuwarden hielt der Transport um 23:00 Uhr in Meppel (Provinz Drente). Ein Deportierter, der zu fliehen versuchte, wurde erschossen. Der Bericht erwähnt, dass der Flüchtling für tot gehalten, aber dennoch zurück in den Zug geschleppt und weitertransportiert wurde.

Am 26. August wurden etwa 350 Juden aus Amsterdam vor ihrem Tarnsport nach Westerbork in der Hollandse Schouwburg interniert, einem zu einem Sammelpunkt umfunktionierten früheren Theater. Außer diesen beiden Transporten trafen noch mehrere kleinere in den Tagen vor dem Großtransport vom 31. August 1943 in Westerbork ein.

In Westerbork wurde die Transportliste für die Deportation am 31. August erstellt. Zwischen seit Längerem in Westerbork internierten Personen und solchen, die erst kurz zuvor eingetroffen waren, wurde nicht unterschieden.

In einem Brief vom 30. August bat der Ko-Vorsitzende des Judenrats (Joodse Raad) in Amsterdam, Abraham Asscher, den Kommandanten des SD (Sicherheitsdienst), Willy Lages, ein Telegramm nach Westerbork zu schicken, um die Anerkennung von Ausnahmestempeln von sieben für den Transport vorgesehenen Personen zu erwirken. Vier von ihnen wurden von der Liste genommen, darunter Asschers Neffe. Allerdings wurden sie dann auf späteren Transporten aus Westerbork deportiert. Die übrigen drei wurden trotz ihrer Verbindung zum Judenrat sogleich deportiert.

Gewöhnlich wurde die Deportationsliste am Abend vor der Abfahrt eines Transports verlesen. Viele Zeugenaussagen von Überlebenden schildern die Angst der Lagerhäftlinge davor, auf der Liste zu stehen.

Laut einem 1953 veröffentlichten Bericht des niederländischen Roten Kreuzes umfasste der Transport 1.004 Deportierte. Darunter befanden sich 160 Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 15 Jahren und 195 Deportierte über 50.

Dr. David Moffie, ein Arzt, der den Transport überlebt hat, erklärte nach dem Krieg in seiner Zeugenaussage vor dem Niederländischen Institut für Kriegsdokumentation (NIOD), dass es sich bei dem Zug um einen aus 30 Waggons zusammengesetzten Güterzug handelte. Jeder Waggon führte etwa 35 Deportierte. Unter ihnen befanden sich mehrere schwerkranke Patienten. Der Tagesbericht des Ordedienst (Ordnungsdienst), der jüdischen Lagerpolizei, erwähnt, dass es einen Zugwaggon eigens für die Kranken gab.

Für diesen Transport wurden Lebensmittel wie Brot, Wurst, Margarine, braune Bohnen und Kohl für 1.000 Personen gekauft. Dr. Moffie erklärte in seiner Aussage, dass „ein Zugwaggon voll mit Weißkohl an unseren Zug gekoppelt wurde, vermeintlich für warme Mahlzeiten auf der Fahrt. Es erübrigt sich, darauf hinzuweisen, dass wir keine warme Mahlzeit erhielten und die SS sich den Weißkohl griff.“

Der Journalist Philip Mechanicus schrieb zu diesem Transport in sein Westerbork-Tagebuch:

"Heute morgen wieder ein Transport von über tausend Menschen in den Osten abgefahren. Jeder Transport ist gewissermaßen ein Schiffbruch: Diejenigen, die auf Transport gegangen sind, werden in die Tiefe gerissen, ihre Besitztümer treiben auf der Oberfläche. Die Deportierten nehmen nur das Allernötigste mit – insgesamt fünfzehn Kilogramm – der Rest bleibt in der Baracke zurück, auf den Betten und auf dem Boden verstreut, als Überbleibsel von verschlungenen lebendigen Wesen. […] Jeder Transport weist abscheuliche Begleitumstände auf. Diesmal wurde getanzt, während der Transport vorbereitet wurde und sich in Bewegung setzte. Ja, es wurde tatsächlich getanzt! Seit einiger Zeit ist eine Revue in Vorbereitung. Als wäre Westerbork an sich nicht schon Revue genug."

Nach der Abfahrt aus Westerbork passierte der Zug wahrscheinlich Assen, Onnen, Waterhuizen, Zuidbroek, Winschoten und Nieuweschans an der deutschen Grenze. In Deutschland fuhr er dann weiter über Bremen, Hamburg (oder Hannover), Berlin, Liegnitz, Breslau, Oppeln, Cosel und Kattowitz bis zu seinem Endziel Auschwitz.
Dr. Moffie beschreibt in seiner Zeugenaussage Einzelheiten der Reise:

„Die Fahrt dauerte zwei Tage, immer auf Gütergleisen, außerhalb von bewohnten Gebieten. Wir passierten die Ausläufer von Bremen-Neustadt, Magdeburg und Breslau. Während der Fahrt durften wir einige Male aussteigen, um Wasser zu trinken, natürlich unter strikter Bewachung der Grünen Polizei [reguläre Ordnungspolizei], die in einem gesonderten Passagierwaggon mitfuhr. Einige Male wurde ich auch in einen anderen Waggon gerufen, wo Leute krank geworden waren. Gemeinsam mit drei anderen Kollegen wurde ich zum Zugarzt bestimmt und trug als Zeichen dieser Ehre eine Armbinde.“

Der Zug erreichte Auschwitz am 2. September. Laut der Auschwitz-Chronistin Danuta Czech wurden 259 Männer und 247 Frauen zur Zwangsarbeit selektiert und mit den Ordnungsnummern 145279-145537 bzw. 57897-58143 tätowiert.

Der Überlebende Alexander Roodveldt berichtete nach dem Krieg in seiner Zeugenaussage vor dem NIOD:

„Am 2. September trafen wir in Birkenau ein. Während der Reise wurden die Türen des Güterwaggons geöffnet. Dass wir fröhlich waren und während der gesamten Fahrt sangen und ich sogar von einem der Männer rasiert wurde, zeigt, dass wir nicht begriffen, was uns erwartete. Bei der Ankunft gab es fürchterliche Schreie, als die Tore auf der anderen Seite des Gleises plötzlich geschlossen wurden. Auf unserer Seite wurden die Tore geöffnet. Wir sahen die SS-Leute mit ihren angelegten Gewehren und wir wurden aus dem Zug getrieben. Wir nahmen unser Gepäck und unsere Decken und wollten weiter laufen, aber dann wurde uns befohlen, all unsere Habe zurückzulassen. Ich nahm meine Kinder bei der Hand und rannte, um für sie und meine Frau einen Platz im Wagen zu bekommen [der Überlebende bezieht sich auf die Lastwagen, die Alte, Mütter und Kinder zu den Gaskammern transportierten]. Sie waren die ersten, die einen Platz bekamen. Die Kinder winkten mir zu und freuten sich offensichtlich auf die Fahrt. Ich selbst gehörte zu den 259 Männern, denen man ins Lager zu laufen befahl. Ich marschierte an einem Rand der Kolonne und fragte einen SS-Mann wegen meiner Frau und meiner Kinder. Er erzählte mir, dass ich sie am Sonntag sehen dürfe.“

Roodvelt fand bald heraus, dass seine Frau und Kinder in den Gaskammern ermordet worden waren.
Quelle: Gedenkstätte Yad Vashem

Transportleiter war der am 02.08.1902 in Heidenheim an der Brenz geborene Oberleutnant der Schutzpolizei der Reserve
Degeler Friedrich

Westerbork hatte seit November 1942 einen direkten Schienenanschluss ins Lager. Die Lagerleitung organisierte das Einsteigen der Gefangenen, die Begleitmannschaft musste den beladenen Zug dann nur noch übernehmen. Ihre Hauptaufgabe war, notfalls mit Waffengewalt Fluchten zu verhindern, zumal die Züge unterwegs oft gezwungen waren zu halten. Am Bestimmungsort wurde der Zug der SS übergeben und man trat die Heimreise an, gegebenenfalls nach Übernachtung in einem SS-Heim.
Beim 71. Transport vom 31. August 1943 wurden laut Quittung „für 1000 Personen“ mitgegeben: 1000 Brote, 42 kg Wurst, 20 kg Margarine, 2000 kg Rotkohl, 70 kg Graupen und 70 kg braune Bohnen, ferner ausdrücklich für das Begleitkommando 20 kg Jagdwurst: „übernommen w. g. [wie gesehen] Degeler“.

Die Rationen waren offensichtlich für drei Tage berechnet. Bei der Wurst darf man getrost von minderer Qualität ausgehen. Dass für das Begleitkommando ganze 20 kg einer Extrawurst (für 20 Polizisten immerhin halb so viel wie für 1000 Juden) bereitgestellt wurden, deutet auf die Maximalstärke von 20 Mann hin. (Die Zahl schwankte.)
Der Transport kam am 2. September 1943 in Auschwitz an. Er hatte 1004 Juden umfasst. Darunter befanden sich 268 Männer und 381 Frauen bis zu 50 Jahren, ferner 195 Ältere und 160 Kinder. Nach der Selektion an der Rampe wurden 259 Männer und 247 Frauen als Arbeitshäftlinge ins Lager eingewiesen, die übrigen 498 Menschen wurden sofort in den Gaskammern getötet.

Namensliste

Harry Gobas
geboren 22.03.1912 in Hohenlimburg
Emigration:
Niederlande, Amsterdam: 01.09.1933
Inhaftierung: Westerbork, Sammellager: 26.08.1943
Deportation: ab Westerbork: 31.08.1943
Auschwitz-Birkenau, Konzentrations- und Vernichtungslager
gestorben 31.03.1944 in Auschwitz

Lifmann Walter
geboren am 26. Oktober 1923 in Hildesheim / - / Hannover wohnhaft in Düsseldorf
Inhaftierung: 26. August 1943 - 31. August 1943, Westerbork, Sammellager
Auswanderung: 11. August 1933, Niederlande
Deportation: ab Westerbork 31. August 1943, Auschwitz, Vernichtungslager
Todesdatum: 31. März 1944 Todesort: Polen Schicksal: für tot erklärt

Geschichte der Familie Teutsch

zusammengetragen von Cordula Schröder und Roter Stern Leipzig
Friedrich Wilhelm Teutsch wurde am 21.10.1882 in Venningen (Pfalz) geboren, wo seine Familie seit Jahrhunderten ansässig war. Im Frühjahr 1914 kam Friedrich Wilhelm Teutsch nach Leipzig und eröffnete in der Ritterstraße eine Textilwaren-Großhandlung. Am 6. Mai 1920 heiratete er in Venningen, die ebenfalls dort geborene Elisabeth Babette Teutsch

(*05.08.1898). In Leipzig gründeten die Eheleute eine Familie. Kurt wurde am 06.02.1921 und Hans am 04.05.1923 geboren. Seit 1931 wohnte die Familie in der Eutritzscher Straße 45. Die beiden Kinder waren begeisterte Sportler. Hans trat 1932 in die Fußballmannschaft von Olympia Germania Leipzig ein.

Die Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 änderte das Schicksal der Familie auf dramatische Weise, denn jetzt wurden sie plötzlich als Juden stigmatisiert. Bereits 1934 entließ man aus allen Sportvereinen die jüdischen Mitglieder, so mussten auch die Kinder Teutsch Olympia verlassen. In diesem Jahr wurde in Leipzig der jüdische Sportverein „Schild“ durch den „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ (R.j.F.) gegründet. Der Reichsbund war die größte jüdische Vereinigung in der Weimarer Republik und wollte eine Antwort auf den sich vehement ausbreitenden Antisemitismus geben. Ziel der Mitglieder war es zu zeigen, dass sie integraler Bestandteil der deutschen Gesellschaft sind. Den Zionismus lehnten sie ab.

Kurt und Hans Teutsch wurden nun Mitglied von „Schild“. Die erste Spielstätte von „Schild“ war ein schlecht bespielbarer Platz an der Pferderennbahn, der im Volksmund „Sauweide“ hieß. Die Schikanen ließen nicht lange auf sich warten. Bereits im September 1934 war es den „Schild“-Mannschaften verboten, auf der „Sauweide“ zu trainieren. Der Platz war zu nah an der Innenstadt. „Schild“ bekam daraufhin weit draußen ein Stück Feld an der Theklaer Straße zugewiesen. Hier musste man sich immer wieder gegen Überfälle wehren. Erst im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 in Berlin lenkte die Polizei ein. Gespielt werden konnte nur gegen Schild-Mannschaften aus anderen Städten. Auch gegen andere jüdische Sportvereine (Bar Kochba, Hakoah) konnte nicht gespielt werden. Die zionistischen bzw. orthodoxen Gruppen akzeptierten „Schild“ nicht.

John Toyne alias Hans Teutsch schreibt später dazu: „Für ‚Bar Kochba‘ waren wir nicht jüdisch genug, denn wir spielten wie christliche Mannschaften ohne Kopfbedeckung. Dann gab es einen zweiten Verein namens ‚Hakoah‘. Die haben gesagt, wir seien Nazis. ‚Wie kann man Jude sein, ohne den Kopf zu bedecken?‘ – Ganz verrückt. Wie kann so etwas geschehen?“ Nach der Pogromnacht am 10. November 1938 wurden „Schild“ und alle anderen jüdischen Sportvereine verboten.

Kurt Teutsch besuchte das König Albert Gymnasium (heute: Gelände des Parkhauses des Zoos Leipzig). Dieses musste er jedoch 1935 verlassen. Er erlernte den Beruf eines Schmelzers und ging im September 1937 zum Studium an die Städtische Technische Lehranstalt Bodenbach im böhmischen Sudetenland. Nach dessen Besetzung 1938 konnte Kurt nach Prag fliehen. Kurz vor dem deutschen Einmarsch in die Tschechoslowakei im März 1939 gelang ihm die Flucht nach England und weiter in die USA. Dort arbeitete er später als Psychiater. Kurt Teutsch starb 2005.

Hans Teutsch musste im Mai 1938 als letzter jüdischer Schüler die Wirtschaftsoberschule ohne Abschluss verlassen. Wenig später, im August 1938, gelang es seinem Vater in die USA zu kommen. Von dort versuchte er, Visa für seine Familie zu erhalten. Es gelang ihm jedoch lediglich, dass seine Söhne eine Nummer auf der Warteliste für ein Visum erhielten. Auf der Rückreise nach Leipzig erreichte ihn die Nachricht, dass die Gestapo am 11. November 1938 versucht hatte, ihn in seiner Wohnung in der Eutritzscher Straße zu verhaften. Er blieb deshalb in Rotterdam.

Im Zuge der Pogromnacht wurden vom 10. bis 17. November 1938 über 500 männliche Juden meist mit deutscher Staatsangehörigkeit durch die Gestapo verhaftet. Sie wurden im Parthebecken am Zoo zusammengetrieben und in die Konzentrationslager Buchenwald oder Sachsenhausen verschleppt. Ziel war es, diese Menschen mit Freiheitsberaubung zu erpressen, damit sie mit ihren Familien das Land verlassen und auf ihren gesamten Besitz verzichten. In diesem Sinne hatte es die Gestapo auch auf Friedrich Wilhelm Teutsch abgesehen. Hans wurde bei diesem Gestapo-Besuch am Morgen nach der Pogromnacht mitgeteilt, wenn er an seinem 16. Geburtstag noch in Leipzig wäre, würde er verhaftet und ins KZ Sachsenhausen gebracht. Es blieben noch sechs Monate. Es gelang ihm tatsächlich, alles Erforderliche zu organisieren und mit einem der sogenannten Kindertransporte per Zug nach England auszureisen. Am 17. Mai 1939 brachte seine Mutter ihn weinend zum Hauptbahnhof. Sie ahnte, dass es kein Wiedersehen geben würde.

In England änderte Hans Teutsch seinen Namen in John Toyne. Er machte eine technische Lehrausbildung in einer Fabrik und heiratete. Seine Frau ist ebenfalls eine deutsche Jüdin aus Berlin. Später hat er in einem Lebensmittelimport-Unternehmen im kaufmännischen Bereich gearbeitet. Heute (2015) leben er und seine Frau in Bournemouth, Südengland.

Die Eltern konnten sich nicht retten. Im April 1940 musste Elisabeth Teutsch in eines der sogenannten „Judenhäuser“ in die Funkenburgstr. 15 ziehen. Im Dezember 1940 wurde sie zu ihrem Mann nach Assen in den Niederlanden abgeschoben. Nachdem die Nazis beschlossen hatten, die europäischen Juden zu ermorden, kamen die Eheleute am 03.10.1942 in das Lager Westerbork. Von hier aus gingen die Züge in die Vernichtungslager im Osten. Bis Auschwitz brauchten sie drei Tage. Am 31.08.1943 wurden Elisabeth (45 Jahre) und Friedrich Wilhelm Teutsch (60 Jahre) nach Auschwitz deportiert. Nach Ankunft des Zuges am 03.09.1943 wurden sie sofort ermordet.