Die Zwangsausweisung nach Polen im Oktober 1938

Reinhard Heydrich ließ zwischen dem 28. und 29. Oktober 1938 zahlreiche Juden verhaften. Obwohl diese Aktion überraschend kam, konnte die Polizei nur einen Teil der polnischen Juden festnehmen und abschieben, einige wurden nicht in der Wohnung angetroffen, mussten wegen Krankheit oder Gebrechlichkeit entlassen werden oder konnten sich versteckt halten. 17.000 polnische Juden wurden in Eisenbahnwaggons an die deutsch-polnische Grenze geschafft. Dort wurden sie von den polnischen Grenzern mit Waffengewalt ferngehalten, da sich die polnische Regierung angeblich mit der Integration weiterer Juden in das Staatsgebilde überfordert sah. Zusätzlich behauptete sie, dass sich unter den Vertriebenen auch politisch gefährliche oder zumindest unerwünschte Personen befinden könnten. Polnische und deutsche Grenzer trieben die Menschen im Grenzland hin und her. Schließlich kam in den nächsten Tagen ein Teil bei jüdischen Gemeinden in Polen unter, etwa 6.000 Personen mussten ab
er im Flüchtlingslager Zbąszyń (Alt-Bentschen) in der Woiwodschaft Poznan bleiben, wo die polnische Regierung sie bis August 1939 internierte. Nach Protesten des polnischen Außenministeriums wurde die Polenaktion eingestellt. Diejenigen Juden, welche nicht über die polnische Grenze getrieben werden konnten, wurden von den deutschen Behörden zurück ins Landesinnere gebracht.

Staatssekretär Ernst von Weizsäcker drückte gegenüber dem polnischen Botschafter Józef Lipski die Befürchtung aus, dass uns im Wege der Ausbürgerung ein Klumpen von 40-50000 staatenlosen ehemaligen polnischen Juden in den Schoß fiele. Die polnische Regierung wurde am 26. Oktober ultimativ aufgefordert, die Inhaber polnischer Pässe auch künftig ohne Sichtvermerk einreisen zu lassen; andernfalls werde man die polnischen Juden noch vor Inkrafttreten des Gesetzes abschieben.

Mit der Annexion Österreichs am 12. März 1938 veränderte sich die Situation der im Reichsgebiet lebenden Juden entscheidend, da sie einen nachhaltigen Einfluss auf die Einwanderungspolitik vieler europäischer Staaten hatte.
Nun, da Österreich nicht mehr als Zufluchtsort in Frage kommen konnte und gleichermaßen der nationalsozialistischen Judenpolitik unterlag, befürchteten die Nachbarstaaten des Deutschen Reiches einen noch größeren Zustrom jüdischer Emigranten, wovor sie sich durch Verschärfung der Einreisebestimmungen schützen wollten. Anders jedoch als in der Schweiz, in Frankreich oder in Großbritannien richteten sich in Polen die Maßnahmen gegen eigene Staatsbürger, die sich außerhalb des Landes aufhielten.
So sah das am 31. März 1938 vom polnischen Parlament verabschiedete Gesetz die Möglichkeit vor, allen polnischen Staatsbürgern, die länger als fünf Jahre ununterbrochen im Ausland lebten, die Staatsbürgerschaft zu entziehen, da jene, so wurde argumentiert, ihre Verbindung zur polnischen Nation verloren hätten.
Das betraf im Deutschen Reich schätzungsweise 30 000 und in Österreich zusätzliche 20 000 polnische Juden. Mit einem Erlass von Anfang Oktober 1938 sollte das genannte Gesetz umgesetzt werden. Die polnische Regierung wollte mit allen Mitteln einer Massenausweisung aus dem Deutschen Reich zuvorkommen und forderte nun jeden polnischen Bürger im Ausland auf, sich bei dem für ihn zuständigen Konsulat zu melden, um seinen Pass mit einem Kontrollvermerk versehen zu lassen. Tat er das nicht, sollte der polnische Pass mit dem 30. Oktober 1938 ungültig werden und sein somit staatenlos gewordener Besitzer verlor die Berechtigung zur Einreise nach Polen. Als der Erlass über die deutsche Botschaft in Warschau auch in Berlin bekannt wurde, erhielten kurz darauf tausende polnischer Juden im Deutschen Reich ab dem 27. Oktober 1938 einen Ausweisungsbefehl, wurden verhaftet und mit größter Eile entweder zu Fuß oder in Sammeltransporten über die polnische Grenze abgeschoben.
Da die Anordnung zur Zwangsausweisung der polnischen Juden nicht alle Reichsteile zeitgleich erreichte, variierte das Abschiebedatum je nach Wohnort zwischen dem 27., 28. oder 29. Oktober 1938. Ferner ließ der Erlass den Behörden vor Ort einen gewissen Interpretationsspielraum, so dass sich nicht nur die Art und Weise der Durchführung reichsweit unterschied, sondern auch die Entscheidung darüber, wem die Ausweisung drohte. Waren es in einer Stadt bzw. Region ganze Familien, die von der Polizei aus ihren Wohnungen geholt wurden, traf es andernorts nur die männlichen Mitglieder eines Haushaltes. Erreichte die Ausweisung einmal nur polnische Juden, die das 18. Lebensjahr vollendet hatten, so wurden an anderer Stelle auch Klein- und Kleinstkinder abgeschoben.
Ebenfalls abhängig vom Wohnort war der Grenzübergang, zu dem die von der Polenaktion betroffenen polnischen Juden transportiert wurden. Entsprechend dem Streckenverlauf des deutschen Eisenbahnnetzes gelangten die Sammeltransporte vor allem an drei Grenzorte mit Bahnanschluss. Neben der bereits erwähnten Stadt Bentschen gingen größere Transporte nach Konitz (heute Chojnice) in Pommern und Beuthen (heute Bytom) in Oberschlesien.
Ein einheitliches Bild der Abschiebung lässt sich somit nicht entwerfen.

Das Schicksal der nach Bentschen Abgeschobenen
Bereits am 31. Oktober 1938 begann die polnische Polizei damit, die Stadt weiträumig abzusperren. Sie quartierte die Mehrzahl der Betroffenen in der alten Kaserne mit den dazugehörigen Ställen ein und erlaubte die Abreise fortan nur noch unter bestimmten Voraussetzungen. Diese waren erfüllt, wenn der Betroffene nachweisen konnte, dass er in Polen entweder bei Familienangehörigen bzw. Bekannten unterkommen würde oder entsprechende Papiere für eine bevorstehende Emigration besaß. Auch finden sich Fälle, in denen die Betroffenen kurzzeitig in das Deutsche Reich zurückkehren durften, um dort ihren Haushalt aufzulösen und ihre Vermögensverhältnisse zu klären. Im Anschluss daran wurden sie aber wieder nach Polen ausgewiesen.
Der Verbleib der in Bentschen internierten Menschen hing also von verschiedenen Faktoren ab. Konnten sie Bentschen nicht auf irgendeinem Wege vorzeitig verlassen, verblieben sie dort bis zur allmählichen Auflösung des Lagers im Sommer 1939.

Überarbeitet: Tenhumberg Reinhard