Die Strafbarkeit der Haupttäter

Die Mitglieder der nationalsozialistischen Staatsführung, namentlich Hitler, Göring, Himmler und Heydrich sind als Urheber der im Vernichtungslager Treblinka durchgeführten Massentötungen und damit als Haupttäter der abzuurteilenden Straftaten anzusehen.
Gemäß dem Befehl Hitlers zur Endlösung der Judenfrage entwickelten Göring, Himmler und Heydrich den Plan über die Tötung der Juden und Zigeuner bis in alle Einzelheiten, bereiteten seine Durchführung in organisatorischer und technischer Hinsicht vor und ließen ihn schließlich mit Hilfe des Reichssicherheitshauptamtes, der Einsatzgruppen und der Angehörigen der Vernichtungslager ausführen.

Diesen Taturhebern standen, soweit es sich um die Aktion Reinhard handelt, als weitere Haupttäter unter anderem der SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin Odilo Globocnik und der erste Kommandant des Vernichtungslagers Belzec und spätere Inspekteur der drei Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka, der SS-Obersturmführer und spätere Sturmbannführer Christian Wirth, zur Seite.
Beide sorgten gemeinsam für die Errichtung der genannten drei Vernichtungslager und die Durchführung der Aktion Reinhard.

Die Verhaltensweise von Hitler, Göring, Himmler, Heydrich, Globocnik und Wirth erfüllt den Tatbestand des gemeinschaftlichen Mordes nach 211 StGB alter und neuer Fassung. Die Täter handelten im Sinne des 211 StGB alter Fassung mit Überlegung, wie die genaue Vorausplanung und die bis in die letzten Einzelheiten organisierte Durchführung der Aktion Reinhard aufzeigt. Sie handelten schließlich auch aus den in 211 StGB neuer Fassung vorgesehenen Motiven, nämlich aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch und grausam. Die Haupttäter der Aktion Reinhard handelten einmal aus niedrigen Beweggründen, da ihr rassenideologischer Wahn, der sie zu ihrem Handeln bestimmte, in krasser Weise allem gesunden menschlichen Empfinden widersprach und in besonderem Masse verwerflich war (vergleiche dazu BGHSt. 2, 63, 3, 133 und 18, 37).

Die brutalen und mit großer Gefühlskälte durchgeführten Massentötungen in Treblinka waren darüber hinaus grausam. Die im Lazarett des Lagers getöteten alten und kranken Menschen erlitten vor und während ihrer Erschiessung eine unbeschreiblich große Todesangst, da sie sich nach ihrer völligen Entkleidung auf den etwa einen Meter hohen Erdwall am Rande der Lazarettgrube setzen und hierbei die bereits in der Grube brennenden Leichen sehen mussten, bevor sie selbst durch Genickschuss getötet wurden und ebenfalls in die Grube fielen, wobei sie in manchen Fällen noch nicht einmal tot waren. Die Masse der übrigen Opfer, die unter Peitschen und Kolbenhieben zu den Gaskammern getrieben wurden, erlitten, wenn sie in den Kammern auf engstem Raum zusammengepresst waren und den nahen Tod vor Augen hatten, nicht nur unermessliche seelische Not, sondern mehrere Minuten lang bei gelegentlichen Motorschäden sogar manchmal einige Stunden lang heftige Erstickungsqualen, ehe sie bewusstlos waren und umkamen. Die im Schlauch Wartenden mussten sich sogar die Schreie der ihnen im Tod vorausgehenden Opfer anhören, bevor sie selbst an der Reihe waren. Im Winter mussten sie bei zum Teil eisiger Kälte nackt und frierend darauf warten, dass sie als nächste in die Kammern getrieben wurden.

Schließlich erfolgten die Tötungen auch heimtückisch, weil den Opfern durch Ansprachen oder durch entsprechende Schilder am Bahnhof vorgespiegelt wurde, sie kämen entweder zur Behandlung in ein richtiges Krankenhaus oder nach einem Bad zu einer neuen Arbeitsstelle außerhalb des Lagers Treblinka.
Durch die hierdurch bewirkte Täuschung wurden die Opfer arglos und wehrlos gemacht, zumal man von ihnen sogleich die völlige Entkleidung verlangte. In den meisten Fällen verschaffte sich die deutsche Lagerbesatzung durch diese Täuschung eine erhebliche Erleichterung bei der Durchführung der Vernichtung, da die Ankömmlinge, ohne an eine Flucht oder an Widerstand zu denken, willenlos alles taten, was man zunächst von ihnen verlangte. Wenn sie später im Lazarett und vor den Gaskammern erkannten, was ihnen wirklich bevorstand, kam jede Auflehnung gegen das ihnen zugedachte Schicksal zu spät. Außerdem wurde jeder Versuch eines Widerstandes durch Peitschenhiebe, Kolbenschläge und notfalls auch mit Hilfe von Schusswaffen im Keime erstickt.

Die Massenvernichtung der unschuldigen Menschen war rechtswidrig, da sie brutal gegen die einfachsten Grundsätze der Menschlichkeit und die unter Kulturvölkern feststehenden Auffassungen verstieß. Sie wurde auch nicht etwa dadurch rechtmäßig, dass sie auf dem Willen Hitlers als des höchsten Gesetzgebers des nationalsozialistischen Staates beruhte. Einmal muss dem Führerbefehl zur Endlösung der Judenfrage, dh also zur völligen physischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Herrschaftsbereich des Nationalsozialismus, die Bedeutung einer gesetzgeberischen Maßnahme schon deshalb abgesprochen werden, weil er nicht im Reichsgesetzblatt veröffentlicht und auch sonst nicht öffentlich bekanntgemacht worden ist. Schon dadurch entbehrt die in ihm zum Ausdruck gekommene Abweichung von dem in Deutschland allgemein geltenden Rechtszustand jeder ordnungsmäßigen Grundlage.

Der von Roesen (NJW 1964, 133) vertretenen Ansicht, der Führer habe als oberster Gesetzgeber die Macht gehabt, die Form der Veröffentlichung der von ihm beschlossenen Gesetze zu bestimmen oder sogar auf ihre Veröffentlichung ganz zu verzichten, vermag sich das Schwurgericht jedenfalls für den vorliegenden Sachverhalt nicht anzuschließen.

Zwar ist das in der Weimarer Verfassung vorgesehene Gesetzgebungsverfahren während der Zeit des Nationalsozialismus weitgehend geändert worden, so unter anderem durch das Ermächtigungsgesetz.
Auf die Veröffentlichung der von Hitler und der Reichsregierung erlassenen Gesetze hat man jedoch nie verzichtet. Selbst Gesetze oder Rechtsverordnungen von untergeordneter Bedeutung wurden stets im Reichsgesetzblatt bekanntgemacht. Die Vorschrift der Weimarer Verfassung, welche die Veröffentlichung von Gesetzen im Reichsgesetzblatt vorschrieb, hatte auch nach der Verfassungswirklichkeit des Dritten Reiches ihre Bedeutung nicht verloren (vergleiche Baumann, Die strafrechtliche Problematik der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Henkys, Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, Seite 295 f., Anmerkung 77a).
Demnach kann Geheimbefehlen Hitlers niemals Gesetzeskraft beigemessen werden.

Aber auch wenn der Führerbefehl zur Endlösung der Judenfrage im Reichsgesetzblatt veröffentlicht worden wäre, so hätte er dennoch wegen seines Inhalts kein Recht geschaffen. Die Freiheit eines Staates, für seinen Bereich darüber zu bestimmen, was Recht und was Unrecht sein soll, mag noch so weit bemessen werden, jedoch auch sie hat ihre Grenzen. Im Bewusstsein aller zivilisierten Völker besteht bei allen Unterschieden, welche die nationalen Rechtsordnungen aufweisen, ein im Naturrecht tief verankerter Kernbereich des Rechts, der nach allgemeiner Rechtsüberzeugung von keinem Gesetz und keiner obrigkeitlichen Maßnahme beschnitten werden kann.
Er umfasst bestimmte als unantastbar angesehene Grundsätze des menschlichen Verhaltens, die sich bei allen Kulturvölkern auf dem Boden sittlicher Grundanschauungen im Laufe der Zeit herausgebildet haben und die als rechtlich verbindlich gelten.
Wo die Grenze zu ziehen ist zwischen dem Bereich, in dem eine nationale Rechtsordnung darüber bestimmen kann, was in ihrem Land Recht und Unrecht sein soll, und jenem international verbindlichen Kernbereich des Rechts, auf den jeder Staat mit seinen rechtsetzenden Anordnungen Rücksicht zu nehmen hat, ergab sich auch für die Zeit des Nationalsozialismus aus den Grundsätzen der Gerechtigkeit, Gleichheit und Humanität. Eine Anordnung wie der Führerbefehl zur Endlösung der Judenfrage, der die Gerechtigkeit nicht einmal erstrebte, den Gedanken der Gleichheit bewusst verleugnete und die Würde des Menschen brutal verachtete, schuf kein Recht, und ein nach ihm ausgerichtetes Verhalten blieb in jedem Falle Unrecht. Der Führerbefehl zur physischen Vernichtung der Juden und Zigeuner kann deshalb nicht als Rechtfertigungsgrund für die an seiner Durchführung beteiligten Personen angesehen werden.

Die Haupttäter waren sich auch dessen bewusst, dass die Planung und Durchführung der Massentötungen im Rahmen der Aktion Reinhard jeder Rechtsgrundlage entbehrten. Ihr Unrechtsbewusstsein kommt in der strengen Geheimhaltung aller Maßnahmen, die mit der Erklärung zur Geheimen Reichssache den höchsten Grad der Geheimhaltung erfuhren, deutlich zum Ausdruck.

Hitler und seine Tatgenossen stellten, soweit sie nicht überhaupt die Technik der Massenvernichtung aus persönlicher Augenscheinseinnahme genauestens kannten, wie es zum Beispiel bei Globocnik und Wirth der Fall war, bewusst in Rechnung, dass die Durchführung der Vernichtungsaktion notwendig erhebliche seelische und körperliche Qualen für die Opfer mit sich bringen würden. Dennoch ließen sie bedenkenlos die geplanten Maßnahmen ausführen, weil ihnen die Erreichung ihrer verwerflichen Ziele mehr bedeutete als das Leben unschuldiger Menschen. Damit offenbarten sie ihre gefühllose und unbarmherzige Gesinnung.

Die Haupttäter Hitler, Göring, Himmler, Heydrich, Globocnik und Wirth handelten als mittelbare Täter gemeinschaftlich. In bewusstem und gewolltem Zusammenwirken entwickelten sie den Plan zur Tötung der Juden, erteilten sie die erforderlichen Anweisungen zur Einrichtung und zum Betrieb der Vernichtungslager und bedienten sich zur Tatausführung der eigens hierfür geschaffenen Sonderkommandos, deren Angehörige in einem Gehorsamsverhältnis zu ihnen standen und befehlsgemäß in der gewünschten Richtung tätig wurden.

Die Massentötungen im Rahmen der Aktion Reinhard beruhen zumindest für das Vernichtungslager Treblinka auf einem einzigen Befehl der Haupttäter, der die grundsätzliche Anordnung zur Vernichtung einer großen Zahl jüdischer Menschen enthielt und diese Vernichtung gemäß den in Lublin ausgearbeiteten Richtlinien bis in alle technischen Einzelheiten regelte.

Mithin stellten die einzelnen auf diese eine Willensbetätigung zurückgehenden und von den Angehörigen des Sonderkommandos Treblinka vom Sommer 1942 bis zum Herbst 1943 durchgeführten Massentötungen von mindestens 700000 Personen rechtlich eine Handlung im Sinne einer gleichartigen Tateinheit gemäß 73 StGB dar.

Das Massentötungen in einem Vernichtungslager, die während eines bestimmten, nicht unterbrochenen Zeitraumes aufgrund eines alle Einzelheiten umfassenden einzigen Befehls durchgeführt worden sind, rechtlich keine einzige Handlung darstellen, hat bereits das Schwurgericht bei dem Landgericht in Bonn - 8 Ks 3/62 - unter C.II. seines Urteils vom 30.März 1963 gegen Laabs und andere, die im Vernichtungslager Chelmno tätig gewesen waren, ausführlich dargetan.

Der Bundesgerichtshof - 2 StR 71/64 - hat unter B.II. seines Urteils vom 25.November 1964 in der Strafsache gegen Laabs und andere hinsichtlich dieser sachlichrechtlichen Würdigung durch das Schwurgericht in Bonn keine Bedenken erhoben.