Erschießung von mindestens 10 Häftlingen Anfang September 1942 als Vergeltung für den Überfall auf Max Biala

Am Spätnachmittag eines Tages Anfang September 1942, wahrscheinlich am 11.September 1942 führte der zur Wachmannschaft gehrende SS-Unterscharführer Max Biala eine Selektion durch, um aus den angetretenen Männern eines eben aus Warschau angekommenen Transportes neue Arbeitsjuden auszuwählen.
Beim Abschreiten der Front stürzte sich aus den Reihen der Angetretenen ein junger Mann auf Biala und verletzte ihn mit mehreren Messerstichen in der Schultergegend. Max Biala brach zusammen. Er wurde von dem Angeklagten Stadie verbunden und sofort in das Kriegslazarett in Ostrow gebracht. Auf dem Wege dahin verstarb er jedoch bereits.
Der Angreifer, der wahrscheinlich Lubliner hieß, wurde von anwesenden und hinzueilenden SS-Männern und Ukrainern auf der Stelle mit Spaten und Gewehrkolben niedergeschlagen und hierdurch getötet.

Zur Vergeltung für diesen Überfall veranstalteten die Wachmannschaften unter den angetretenen Juden ein fürchterliches Massaker, indem sie längere Zeit mit Schusswaffen wahllos auf die Juden einschossen und hierdurch eine größere Anzahl von ihnen töteten. Unter den Juden entstand eine Panik. Sie zerstreuten sich in alle Richtungen. Einigen von ihnen gelang es sogar, durch das Lagertor außerhalb des Lagers zu gelangen. Sie alle wurden jedoch wieder von den Ukrainern und den SS-Leuten zusammengetrieben und mussten erneut antreten.

Inzwischen hatte der sich im Totenlager bei den Gaskammern aufhaltende SS-Obersturmführer Christian Wirth von den Vorfällen erfahren. Er eilte ins untere Lager hinunter. Er tobte und gab dem inzwischen ebenfalls am Tatort eingetroffenen Angeklagten Franz Weisung, jeden Zehnten der angetretenen Juden zu erschießen. Dann entfernte Wirth sich und überließ Franz die Durchführung dieser Anordnung. Franz konnte nach eigenem Gutdünken die Opfer aussuchen. Er verfuhr hierbei so, dass er keineswegs jeden Zehnten heraussuchte, sondern willkürlich auf einzelne Personen zeigte, die heraustreten mussten. Die Männer mussten sich mit dem Gesicht in Richtung zu den noch angetretenen Juden in einer Reihe hinknien. Franz erschoss sie dann durch Genickschuss. Dabei benutzte er zunächst seine eigene Pistole und dann die Pistole des Angeklagten Mentz, die ihm dieser reichte, nachdem Franz seine eigene Pistole leergeschoßen hatte. Die Zahl der bei dieser Aktion getöteten Männer steht nicht mit Sicherheit fest, es waren aber mindestens zehn Personen, die hierbei durch die Hand des Angeklagten Franz den Tod fanden.

Der Angeklagte bestreitet diese Tat unter Hinweis darauf, dass er sich erst ab 1.November 1942 im Vernichtungslager Treblinka befunden habe.
Dass Franz sich jedenfalls bereits am Tage des Todes von Max Biala im Vernichtungslager befunden hat, ergibt einmal die Einlassung des Angeklagten Miete zu diesem Punkt. Miete hat in der Voruntersuchung und in der Hauptverhandlung mit aller Bestimmtheit erklärt, dass Franz sich schon am Tage des Todes von Max Biala im Lager befunden hat. Er hat sogar mit eigener Hand eine Skizze angefertigt, in der die Einzelheiten der Hinrichtung und die Stelle, an der Franz die Erschießung vorgenommen hat, eingezeichnet sind. Alle anderen Angeklagten, insbesondere die im unteren Lager tätig gewesenen Angeklagten Stadie und Suchomel haben dazu gesagt, Miete und Franz hätten niemals Streit miteinander gehabt und sie könnten sich nicht vorstellen, dass Miete in diesem Punkt die Unwahrheit sage.
Auch das Schwurgericht hat keine Anhaltspunkte dafür finden können, dass Miete seinen Mitangeklagten Franz, sei es vorsätzlich oder sei es irrtümlich, zu Unrecht belastet hat. Es hat deshalb keine Bedenken, der Einlassung Mietes zu folgen, Franz habe am Tage des Todes von Max Biala zehn Häftlinge erschossen.
Das gilt umso mehr, als drei eidlich gehrte Zeugen diesen Tathergang im Wesentlichen übereinstimmend geschildert haben, und zwar der 68 Jahre alte Angestellte Au. aus Stockholm, der 42 Jahre alte Schlosser Tai. aus Tel Aviv und vor allem der 40 Jahre alte Hafenlagerist Ros. aus Bat Jam in Israel. Lediglich bei der Zahl der von Franz bei dieser Gelegenheit durch Genickschuss getöteten Juden bestehen Unterschiede in den Zeugenaussagen.
Während Au. die Zahl der von Franz erschossenen Personen mit 30 bis 40 beziffert, gibt Tai. eine Zahl von 30 an. Demgegenüber hat der Zeuge Ros., der diesen Vorgang wie auch andere Vorfälle im Lager besonders präzise geschildert hat, angegeben, die Zahl der Opfer sei geringer gewesen, es seien aber mindestens insgesamt 10 Männer von Franz ausgesucht und durch Genickschuss erschossen worden. Insoweit stimmt seine Bekundung weitgehend mit der von dem Mitangeklagten Miete gegebenen Darstellung überein.

Das Schwurgericht geht deshalb zugunsten des Angeklagten Franz davon aus, dass er bei dieser Gelegenheit 10 Männer durch Genickschuss getötet hat.
Das Schwurgericht hält die drei eidlich vernommenen Zeugen Au., Tai. und Ros. sämtlich für glaubwürdig.

Der jetzt 68 Jahre alte Zeuge Au., der Oberleutnant der Reserve beim Österreichischen Heer gewesen ist und am ersten Weltkrieg teilgenommen hat, befand sich von August 1942 bis zum 23.Dezember 1942 in Treblinka. An diesem Tage gelang es ihm, sich in einem mit Bettwäsche beladenen Güterwaggon zu verstecken und ca. 3 km vor Siedlce aus dem Zug herauszuspringen. Er hat Franz auf Anhieb wiedererkannt. Seine Schilderungen zur Lagerorganisation und zum Lagerleben stimmen mit denen von zahlreichen anderen Zeugen und zum Teil auch mit den Einlassungen der Angeklagten überein. Er hat seine Aussage besonnen, ruhig und ohne Hass- und Rachegefühle gemacht. Das Gericht trägt deshalb keine Bedenken, seiner Aussage über den allgemeinen Geschehnisablauf bei der Erschießung der Männer anlässlich des Todes von Max Biala zu folgen.
Das gilt auch für die entsprechenden Angaben des Zeugen Tai. Dass dieser Zeuge glaubwürdig ist, ist bereits unter AV 7. des Zweiten Teiles der Gründe naher dargelegt worden. Der Hafenlagerist Ros. ist einer der zuverlässigsten Zeugen dieses Strafverfahrens, da er immer nur das geschildert hat, was er persönlich erlebt hat, da er sich insbesondere vor jeglicher Übertreibung, auch in weniger bedeutsamen Punkten dieses Strafverfahrens, gehütet hat und da er insgesamt auf das Schwurgericht einen reifen und ausgewogenen Eindruck gemacht hat. Er hat Franz spontan wiedererkannt. Die Aussagen dieses Zeugen, der vereidigt worden ist, sieht das Schwurgericht in vollem Umfange als zutreffend an.