Arzt im Euthanasie-Programm

* 19.06.1909 in Leipzig
+ 10.10.1993 in Bielefeld

Hans Bodo Gorgaß wurde am 19. Juni 1909 in Leipzig als Sohn eines Reichsbahnbeamten geboren. Seine Eltern waren beide mehrfach in der Psychiatrie gewesen.

1920 - 1929 besuchte er das Realgymnasium in Leipzig.

1929 Reifeprüfung am Realgymnasium in Leipzig

1929 - 1935 Medizinstudium in Leipzig
(Er mußte sein Studium wegen eines finanziellen Zusammenbruchs seines Vaters im Jahre 1931 auf ein Jahr unterbrechen).

1930 legte Gorgass das Staatsexamen ab und promovierte zum Dr. med
(Anders als Gorgaß nach dem Krieg behauptete, hat er offensichtlich keine Promotion in Medizin erhalten. Auf Drängen des Bezirksverbandes Hessen-Nassau als seines späteren Arbeitgebers, ließ sich Gorgaß 1937 von Professor Karl Kleist in Frankfurt am Main als neues Thema die Erforschung des weiteren Schicksas der Hebephrenen, die 1920 – 1925 in der Nervenklinik Frankfurt/Main waren, geben. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bezirksverband Nassau war die Arbeit nicht abgeschlossen und dürfte auch später nicht vollendet worden sein, da eine Dissertation von Gorgaß nach dem Krieg nicht nachgewiesen werden konnte)

Juli 1933 Eintritt in die SA, dort als Sanitätsobersturmführer tätig.

August 1933 - Oktober 1933 Famulus in der Universitätsklinik Leipzig
(Psychiatrie und Nervenklinik)

März 1934 - April 1934 Famulus in der Universitätsklinik Leipzig
(Psychiatrie und Nervenklinik)

August 1934 - Oktober 1934 Famulus in der Universitätsklinik Leipzig
(Psychiatrie und Nervenklinik)

1935 erstes Dissertationsvorhaben über Infantilismus bei Privatdozent Hans Bürger-Prinz in Leipzig.
(aus finanziellen Gründen nicht vollendent)

ab 01. Februar 1936 Medizinalpraktikant in der zum Bezirksverband Hessen-Nassau gehörenden Landesheilanstalt Eichberg

am 1. Februar 1937 erhielt er seine Approbation als Volontärarzt an der Landesheilanstalt Weilmünster. (erneut vom Bezirksverband Nassau angestellt)

01. März - Juli 1937 als Volontärarzt an der Landesheilanstalt Eichberg
(Gorgaß hinterließ beim damaligen Direktor der Landesheilanstalt Eichberg, Wilhelm Hinsen, keinen guten Eindruck. Hinsen prangerte in späteren Aussagen besonders die dienstlichen und außerdienstlichen Disziplinlosigkeiten der SS- oder SA-Jungärzte an: Es waren, sagen wir mal, meine jüngeren Kollegen recht unsolide es wurde viel getrunken. So war es vorgekommen, dass sie laut grölend in der Anstalt eintrafen).

seit dem 1.Mai 1937 Mitglied der Partei

01. August 1937 - September 1938 als Assistenzarzt an der Landesheilanstalt Eichberg

ab 01. Oktober 1938 wurde Gorgaß mit nur 29 Jahren leitender Arzt der Heilerziehungsanstalt Kalmenhof in Idstein.
Da es sich um eine private Behinderteneinrichtung handelte, musste er wieder aus den Diensten des Bezirksverbandes Hessen-Nassau ausscheiden. Formal blieb Gorgaß bis zum Juli 1945 Leiter der
Anstalt Kalmenhof. Seine Assistentin Mathilde Weber übernahm für die Zeiten seiner Abwesenheit die ärztliche Leitung, so auch für die um die Jahreswende 1941/42 eingerichtete Kinderfachabteilung, in der die sogenannten Reichsausschußkinder im Rahmen der Kinder-„Euthanasie getötet wurden.

1939 Umzug nach Königshofen bei Niedernhausen

Er heiratete am 01. Dezember 1939 (Kriegstrauung) die Pflegerin Käthe Sch., die bis März 1940 weiter in der Landesheilanstalt Eichberg tätig

Dezember 1939 - 10. April 1941 Ableistung Militärdienst in der Wehrmacht
(Teilnahme am Frankreichfeldzug).

am 10. April 1941 vom Kriegsdienst freigestellt und vom Anstaltsdezernenten seines früheren Arbeitgebers, des Bezirksverbandes Hessen-Nassau, Landesrat
Fritz Bernotat, in die Kanzlei des Führers nach Berlin geschickt. Der Chef des dortigen Hauptamtes II, Oberdienstleiter Viktor Brack, schilderte Gorgaß seine ihm zugedachte neue Verwendung als Arzt im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasie-Programms (Aktion T4). Er sollte die selektierten Kranken in speziell hierfür eingerichteten Tötungsanstalten vergasen. Als Handlungslegitimation wurde auf ein Gesetz hingewiesen, das zwar noch nicht veröffentlicht, aber neben einer schriftlichen Anweisung Hitlers vom 01. September 1939, als völlig ausreichende Grundlage für die Krankentötungen dargestellt wurde.

vom 01. Mai 1941 bis zum 30. April 1942 Angehöriger der T4-Organisation
Zu seiner Einarbeitung wurde Gorgaß für sechs bis sieben Wochen in die NS-Tötungsanstalt Hartheim bei Linz gesandt, wo ihn deren Leiter Rudolf Lonauer mit dem Handwerk der Krankentötung mittels Kohlenmonoxid in einer Gaskammer vertraut machte.
Weitere Ausbildungs-Station war die NS-Tötungsanstalt Sonnenstein in Pirna. Mit dem Leiter dieser Anstalt Horst Schumann, nahm er gemeinsam mit Friedrich Berner, dem künftigen ersten Vergasungsarzt in Hadamar und damit seines Vorgesetzten, an einer Selektion von Häftlingen im Rahmen der Aktion 14f13 im KZ Buchenwald teil, die daraufhin in Sonnenstein vergast wurden. Gorgaß bestätigte später, dass keiner der selektierten Häftlinge geisteskrank war, es sich also keineswegs um medizinische Auswahlkriterien handelte, sondern letztlich um reine Nützlichkeitserwägungen im Hinblick auf die Arbeitsfähigkeit der Häftlinge.


ab 18. Juni 1941 zweiter Vergasungsarzt in der NS-Tötungsanstalt Hadamar, wo er unter dem Tarnnamen Dr. Kramer im Schriftverkehr auftrat.
Der mörderische Alltag in den Tötungsanstalten prägte das ärztliche und nichtärztliche Personal auch in Hadamar in einem erheblichen Maße. Ideologische Beeinflussung und Abstumpfung durch Routine führten zu Rohheiten gegenüber den Opfern, die zunehmend nicht mehr als menschliche Wesen, sondern als Objekte gesehen wurden. Ein besonders widerlicher Höhepunkt dieses inhumanen und zynischen Umgangs mit den Kranken, war die Jubiläumsfeier anlässlich des 10.000. Vergasungstoten in Hadamar im August 1941. Die gesamte Belegschaft beging dieses Ereignis mit Musik und Freibier, nachdem Direktor Berner und der Verwaltungsleiter entsprechende Ansprachen gehalten hatten.

Für seine Tätigkeit in Hadamar wurde Gorgaß durch eine von der T4-Organisation beschaffte Facharztanerkennung als Psychiater honoriert.

27./28. November 1941 Teilnahme an einer Tagung in der NS-Tötungsanstalt Sonnenstein.
Der T4-Organisator Viktor Brack erläuterte den aus allen Vergasungsanstalten abgeordneten Mitarbeitern die künftigen Ziele und ihre weitere Verwendung. Nach Aussage von Gorgaß wurde die Aktion von Brack nicht für beendet erklärt, diese ginge vielmehr in anderer Form weiter. Ein Großteil des T4-Personals wurde für die Aktion Reinhard im Distrikt Lublin des Generalgouvernements zur Vernichtung vorwiegend polnischer Juden eingesetzt, während ein Teil des ärztlichen Personals als Gutachter für die Aktion 14f13 sowie die zweite Phase des Euthanasie-Programms verwendet wurde.

ab 06. Januar 1942 an die Landesheilanstalt Eichberg versetzt.

am 30. April 1942 schied er aus der T4-Organisation aus.

vom 10. Mai 1942 - 1944 Truppenarzt in der Wehrmacht

1944 - Februar 1945 Leiter eines Reserve-Lazaretts in Dossenheim bei Heidelberg

Mai - August 1945 Kriegsgefangenschaft

Gorgaß arbeitete unter dem Falschnamen Dr. Gerber in der zweiten Jahreshälfte sowie 1946 wieder privat-wissenschaftlich an der Universitätsklinik Heidelberg.

am 2. April 1946 erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main Mordanklage gegen die Vergasungsärzte von Hadamar. Nach einer längeren Fahndung konnte Gorgaß am 20. oder 27. Januar 1947 in Ludwigshafen festgenommen werden.

Mit Urteil vom 21.03.1947 erkannte das Landgericht Frankfurt am Main wegen Mordes in mindestens 1.000 Fällen auf die Todesstrafe.

Gerichtsentscheidungen

LG Frankfurt am Main vom 21.3.1947, 4 KLs 7/47

In der Strafsache gegen den Dr.med. Hans Bodo Gorgass 1, geboren am 19.Juni 1909 in Leipzig, verheiratet, Reichsdeutscher,

wegen Mordes bzw. Beihilfe zum Mord

hat die 4. Strafkammer des Landgerichts in Frankfurt am Main in der Hauptverhandlung vom 24., 25. und 27.Februar, 3., 4., 6., 10., 11., 13., 14., 17., 20. und 21.März des Jahres 1947 für Recht erkannt:

Die Angeklagten Dr. Hans Bodo Gorgass, Dr. Adolf Wahlmann, Irmgard Huber, Lydia Thomas, Paul Reuter, Erich Moos, Christel Zielke, Benedikt Härtle, Agnes Schrankel geb. Kappenberg, Wilhelm Lückoff und Margarete Borkowski haben in Hadamar an den Tötungen im Rahmen des sogenannten Euthanasieprogramms des Nationalsozialismus teilgenommen, und zwar die Angeklagten Gorgass und Wahlmann als Täter, die Angeklagten Huber, Thomas, Reuter, Moos, Zielke, Härtle, Schrankel, Lückoff und Borkowski als Gehilfen.

Es werden daher verurteilt:

1. der Angeklagte Gorgass wegen Mordes in mindestens 1000 Fällen zum Tode,
2. der Angeklagte Wahlmann wegen Mordes in mindestens 900 Fällen zum Tode,
3. die Angeklagte Huber wegen Beihilfe zum Morde in mindestens 120 Fällen zu einer Gesamtstrafe von 8 Jahren Zuchthaus,
4. die Angeklagte Thomas wegen Beihilfe zum Morde in einer unbestimmten Anzahl von Fällen zu einer Gesamtstrafe von 5 Jahren Zuchthaus,
5. der Angeklagte Reuter wegen Beihilfe zum Morde in einer unbestimmten Anzahl von Fällen zu einer Gesamtstrafe von 4 Jahren 6 Monaten Zuchthaus,
6. der Angeklagte Moos wegen Beihilfe zum Morde in einer unbestimmten Anzahl von Fällen zu einer Gesamtstrafe von 4 Jahren Zuchthaus,
7. die Angeklagte Zielke wegen Beihilfe zum Morde in mindestens 25 Fällen zu einer Gesamtstrafe von 3 Jahren Monaten Zuchthaus,
8. der Angeklagte Härtle wegen Beihilfe zum Morde in einer unbestimmten Anzahl von Fällen zu einer Gesamtstrafe von 3 Jahren 6 Monaten Zuchthaus,
9. die Angeklagte Schrankel wegen Beihilfe zum Morde in mindestens 20 Fällen zu einer Gesamtstrafe von 3 Jahren 6 Monaten Zuchthaus,
10. der Angeklagte Lückoff wegen Beihilfe zum Morde in mindestens 8 Fällen zu einer Gesamtstrafe von 3 Jahren 1 Monat Zuchthaus,
11. die Angeklagte Borkowski wegen Beihilfe zum Morde in mindestens 50 Fällen unter Zubilligung des Milderungsgrundes des §51 Abs.2 StGB zu einer Gesamtstrafe von 2 Jahren 6 Monaten Zuchthaus.

II. Der Angeklagte Härtle wird von der Anklage freigesprochen, auch nach August 1941 Beihilfe zu Morden in Hadamar begangen zu haben.

III. Folgende Angeklagten werden freigesprochen:
H., W. geb. Wo., D., G., L., T. geb. S., S., Sc. geb. M., R., Hä., U., Se. geb. Wa., Schm., Ge. geb. St.

IV. Die bürgerlichen Ehrenrechte werden aberkannt:
den Angeklagten Gorgass und Wahlmann auf Lebenszeit,
den Angeklagten Huber, Thomas und Reuter auf die Dauer von 3 Jahren,
den Angeklagten Moos, Zielke, Härtle, Schrankel, Lückoff und Borkowski auf die Dauer von 2 Jahren.

V. Den Angeklagten Huber, Thomas, Reuter, Moos, Zielke, Härtle, Schrankel, Lückoff und Borkowski wird die erlittene Untersuchungshaft auf die Strafe angerechnet.

VI. Die Kosten des Verfahrens tragen, soweit Verurteilung erfolgt ist, die Angeklagten, soweit Freisprechung erfolgt ist, die Staatskasse.



Dr. Gorgass. Der Angeklagte Dr. Gorgass ist als Sohn eines mittleren Reichsbahnbeamten bei Leipzig aufgewachsen. Von 1920 bis 1929 besuchte er das Realgymnasium in Leipzig, wo er 1929 die Reifeprüfung ablegte. Im gleichen Jahr begann er sein medizinisches Studium, das er wegen eines finanziellen Zusammenbruchs seines Vaters im Jahre 1931 auf ein Jahr unterbrechen musste. Im Jahre 1930 legte der Angeklagte Gorgass das Staatsexamen ab und promovierte zum Dr. med. Nach seiner unwiderlegten Einlassung hat der Angeklagte sich schon während seines Studiums besonders für Psychiatrie interessiert. Seine praktische Tätigkeit begann der Angeklagte im Februar 1936 in der Heil- und Pflegeanstalt Eichberg. Nach acht Monaten ging er zur Poliklinik nach Leipzig, von wo er am 1.Februar 1937 erneut vom Bezirksverband Nassau angestellt und nach kurzer Tätigkeit in Weilmünster zum 1.März 1937 nach dem Eichberg versetzt wurde. Am 1.Juli 1937 wurde der Angeklagte dort Assistenzarzt und bereits am 1.August 1938 leitender Anstaltsarzt in der Heil- und Erziehungsanstalt Kalmenhof in Idstein/Taunus. Am 1.Dezember 1939 wurde der Angeklagte nach vollzogener Kriegstrauung als Sanitätssoldat zur Wehrmacht einberufen und später nach entsprechender Beförderung als Truppenarzt eingesetzt. Er war seit Juli 1933 Angehöriger der SA und zuletzt Sanitätsobersturmführer. Mitglied der Partei war der Angeklagte seit dem 1.Mai 1937. Der Angeklagte ist unbestraft; er befindet sich seit dem 31.Januar 1947 in Untersuchungshaft.

Revision

OLG Frankfurt am Main vom 20.10.1948, Ss 160/48 u. Ss 188/48

Auf die Revision der Angeklagten zu 1-14 gegen das Urteil der Strafkammer des Landgerichts in Frankfurt/M. vom 21.März 1947 und das Urteil des Schwurgerichts des Landgerichts in Frankfurt am Main vom 28.Januar 1948, hat der Strafsenat des Oberlandesgerichts in Frankfurt/M. auf die Verhandlungen vom 6. und 7.Oktober 1948 in der Sitzung vom 20.Oktober 1948 für Recht erkannt:

I.
Die Revisionen der Angeklagten Gorgass und Härtle werden auf ihre Kosten, die der anderen Angeklagten werden auf deren Kosten mit der Massgabe verworfen.

Nachtrag

Nach Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und der damit abgeschafften Todesstrafe wurde das Urteil in eine lebenslange Zuchthausstrafe umgewandelt. Diese wurde am 10. August 1956 in eine 15-jährige Haftzeit vermindert. Schließlich begnadigte der hessische Ministerpräsident und Justizminister Georg August Zinn Gorgaß, so dass dieser die Haftanstalt Butzbach im Januar 1958 verlassen konnte.

Gorgaß ließ sich in Bielefeld nieder und fand Beschäftigung als wissenschaftlicher Mitarbeiter eines Pharmaunternehmens. Im Oktober 1993 ist Bodo Gorgaß verstorben.