Bezeichnung: Judenlager Hellerberg

Gebiet
Sachsen, Direktionsbezirk Dresden, Kreisfreie Stadt Dresden

Gebiet heute
Radeburger Straße

Eröffnung
Am 10. November 1942 hatten Vertreter von Polizei- und Partei-Dienststellen sowie der Zeiss Ikon AG die Einrichtung des Judenlagers Hellerberg zur Unterbringung der noch verbliebenen in der Rüstungsindustrie beschäftigten Juden beschlossen. Der spätere Abtransport nach Auschwitz-Birkenau war von Anfang an ausgemachte Sache.

Besprechungsprotokoll vom 10.November 1942
verfasst von Dr. Hasdenteufel Vertreter dieses Rüstungswerkes
Der SS-Untersturmführer Henry Schmidt ist darin an der Spitze als Vertreter der Gestapo erwähnt, ausser ihm Müller und Köhler sowie mehrere Vertreter der Zeiss-Ikon AG.
Festgelegt wurde, dass das Lager am 23.November 1942, einem Montag, bezogen werden sollte.

Weiter heisst es im Protokoll in Blatt 1 u.a. wörtlich:

2. ) An Einrichtungen sind von Zeiss-Ikon zu beschaffen:
Bettgestelle mit Strohsäcken, Schränke (pro Familie insgesamt 1 Schrank), im übrigen entsprechend der Angabe der Aussenstelle des Reichsministers für Beschaffung und Munition.

3.) Von den Juden sind mitzubringen:
Teller, Schüsseln, Bestecke, Becher, Decken, Bettwäsche, Steppdecken und Federbetten, Kopfkissen und je Kopf 6 Hand- und Wischtücher. Für die Einrichtung des Krankenzimmers werden 10 komplette Metallbetten, 150 Handtücher und 150 Wischtücher für Wirtschaftsbetrieb benötigt. Es ist weiter von seitens der Juden die Einrichtung für die Büroräume zu beschaffen.

Sollten von der Aussenstelle die uns zugesagten Sachen nicht geliefert werden, so müsste die jüdische Gemeinde für deren Ersatz Sorge tragen .

Auf Blatt 2 des Protokolls wurde festgehalten:

3.) Verwaltung:
Es wurde festgelegt, dass das Lager eine Selbstverwaltung erhält. Herr Kommissar Schmidt gibt uns noch einen Lagerältesten, 1 Verwaltungssachbearbeiter und 1 Köchin bekannt. Die Kosten der 3 Personen trägt die Selbstverwaltung. Sie untersteht unmittelbar der Gestapo und wird verpflegsmässig von der Kreisleitung, Pg. Köhler betreut.
Die Beschaffung der Verpflegung obliegt ausschliesslich der Firma Zeiss-Ikon. Die Zubereitung und Verteilung liegt bei der Selbstverwaltung. Zeiss-Ikon beschafft die Lebensmittel und stellt sie der Selbstverwaltung zur Verfügung. Bezüglich der Einteilung nicht bezugsscheinpflichtiger Waren setzt sich die Verpflegungsverwaltung Zeiss-Ikon von Fall zu Fall mit der Kreisleitung in Verbindung.
Die Berechnung der Lebensmittel erfolgt am Ende des Monats für den vorangegangenen Monat, in dem Zeiss-Ikon der Selbstverwaltung eine Rechnung ausstellt .

4.) Betr.: Mietpreis:
Es wurde für die ersten zwei Monate ein Mietpreis von -,60 RM pro Kopf und Tag der Lagerinsassen festgelegt, der von der Selbstverwaltung an die Zeiss-Ikon zu entrichten ist .

Im Mietpreis sind inbegriffen:
die Kosten für Licht, Heizung, Wasser, Telefon, Müllabfuhr, Reparaturen und Reinigungsmittel sowie alle Kosten die durch die Bebauung des Geländes entstehen. (Pacht an die Landesforstverwaltung usw.) Ausserdem die Kosten einer Wache des Bewachungsgewerbes (Dauernde Besetzung eines Postens).

Es wurde grundsätzlich festgelegt, dass die als Lagerinsassen zugewiesenen Juden auch dann im Lager verbleiben und wirtschaftlich betreut werden, wenn sie nicht mehr bei Zeiss-Ikon beschäftigt sind und zwar bis zum Zeitpunkt des Abtransportes. Es steht der Gestapo frei, unbelegte Plätze im Lager mit Juden zu belegen, die nicht bei Zeiss-Ikon beschäftigt sind.
Die Lagerordnung wird von der Gestapo festgelegt und überwacht. Die Wache hat dafür zu sorgen, dass Unbefugte vom Lagergelände ferngehalten werden und ausserdem die von der Gestapo festgelegte Ausgehzeit eingehalten wird. Richtlinien für die Wache erlässt die Gestapo.
Die sanitäre Betreuung ist nicht Angelegenheit der Zeiss-Ikon, sie wird gewährleistet durch die Selbstverwaltung."

die Hauptverantwortlichen der Aktion:
SS-Scharführer Martin Petri Gestapo-Angehöriger

SS-Untersturmführer Henry Schmidt Leiter des Judenreferats der Dresdner Gestapo war während der gesamten Deportation anwesend.

Dr. Johannes Hasdenteufel von der Zeiss-Ikon AG

Kriminalobersekretär Rudolf Müller.

Schließung
Zunächst wurde das Lager am 1. März 1943 von der Gestapo zum Ersatzpolizeigefängnis erklärt und nunmehr von Bereitschaftspolizei bewacht. Weiterhin gelangten in den Abendstunden des 2. März 1943 40 Personen in das Lager, die zur jüdischen Bevölkerungsgruppe in Chemnitz gehört hatten. Hierüber berichtete der Überlebende Herr Son., der zusammen mit anderen in Chemnitz festgenommen und im Laufe des 2.März 1943 nach Dresden verbracht und in ein Barackenlager geschleppt wurde, das sich nach seiner Erinnerung unweit des Bahnhofs Dresden-Neustadt befand und aus mehreren Baracken bestand, wobei die ihm zugewiesene Baracke überbelegt war.

Am Abend des 2. März 1943 wurden die Insassen des Lagers, einschliesslich der Neuzugänge, lediglich unter Mitnahme von Handgepäck mittels Lkw zum Güterbahnhof Dresden-Neustadt transportiert. Die Leitung dieser Aktion nahm im Auftrag SS-Untersturmführer Henry Schmidt sowie der ihm unterstellte Müller vor. An der Aktion nahmen weitere Beamte des Sachgebietes IIB3 teil. Der SS-Untersturmführer hatte weiterhin mit Hilfe seiner Vorgesetzten zusätzliche Kräfte angefordert, jedoch über deren Zahl und ob es sich dabei um SS-Kräfte oder Schutzpolizei handelte, können keine genauen Angaben mehr gemacht werden. Schmidt selbst hielt sich zu Beginn dieser 3- bis 4stündigen Aktion im Lager Hellerberg auf und begab sich dann zum Güterbahnhof, wo er die Übergabe der Opfer überwachte und deren Abtransport mit sicherte.
Die Opfer wurden zum Besteigen leerer (gedeckter) Güterwagen (Viehwagen), die bereits an einen längeren Güterzug angekuppelt waren, gezwungen. Zeugen erinnern sich, dass etwa 4-6 Güterwagen zur Verladung der mehr als 300 Menschen zur Verfügung gestanden haben könnten. Die Güterwagen wurden, wie Zeugen bestätigen, verschlossen und unterwegs nur zu einem kurzen Halt und einem Auswechseln der für die Notdurft bestimmten Kübel geöffnet. Die Transportierten erhielten weder zu essen noch zu trinken.

Wie von Überlebenden nach 1945 berichtet wird, handelte es sich bei dem Güterzug um einen Transport, der durch ganz Deutschland gefahren war. Ein Zeuge der damals in Paderborn in einem Lager war, wurde dort mit seiner jungen Frau festgenommen und von Bielefeld aus mit diesem Zug deportiert, wobei er sich erinnert, dass der Transport mehrmals für einige Stunden hielt, und dass die Insassen bemerkten, dass der Zug immer länger wurde. Seine Aussage deckt sich in allen von ihm wahrnehmbaren Umständen mit Erklärungen des Herrn Son. Er sagt weiter darüber aus, dass der Zug am Abend des nächsten Tages, also am 3.März 1943, in Auschwitz-Birkenau eingetroffen ist.

Er schildert weiter, und seine Aussage deckt sich mit gerichtsnotorischen Tatsachen, dass der Transport, mit dem sie abends oder nachts in Auschwitz ankamen, etwa 30 oder mehr Güterwagen umfasste, worauf sie auf mehrere tausend Menschen schlossen. Die Insassen wurden, bewacht von SS und angestrahlt von Scheinwerfern, gezwungen, sich auf der Rampe aufzustellen, wobei von vornherein die Männer von den Frauen und Kindern getrennt wurden. Kinder und ältere Menschen beiderlei Geschlechts und die Mehrzahl der ankommenden Frauen wurden offensichtlich von für die sogenannte Selektion verantwortlichen SS-Ärzten sofort für die Vergasung bestimmt. Nur arbeitsfähige Männer und eine geringe Zahl für arbeitsfähig angesehene Frauen wurden als Lagerinsassen aufgenommen.

Der Transport, mit dem die Zeugen Deu. und Son. und damit auch die von Dresden deportierten mindestens 300 Menschen nach Auschwitz gelangten, ist nicht ausdrücklich bezeichnet. Die erhalten gebliebenen Aufzeichnungen aus der Verwaltung des KZ weisen für den 3.März 1943 die Ankunft mehrerer Häftlingstransporte nach. Solche Lagerdokumente konnten daher in Beziehung zu den Häftlingsnummern derjenigen Opfer gesetzt werden, die die erste Selektion mit dem Ergebnis überstanden, zunächst ins Lager eingewiesen und als Arbeitssklaven eingesetzt zu werden.

Die Zeugen Deu. und Son., die bei der Selektion für einen Arbeitseinsatz vorgesehen wurden, erhielten die Häftlingsnummern 104911 bzw. 105027. In den Lagerdokumenten wird festgestellt, dass ein RSHA-Transport vom 3.März 1943 das Ergebnis hatte, dass 535 Männer die Häftlingsnummern von 104890 bis 105424 und 145 Frauen die Häftlingsnummern von 36935 bis 37079 erhielten und unter diesen Nummern in das Lager aufgenommen wurden. Angesichts der von den beiden Zeugen genannten und vorgezeigten Häftlingsnummern ist demnach klargestellt, dass es sich hierbei um den Transport handelte, mit dem auch die früheren Insassen des Lagers Hellerberg nach Auschwitz verbracht worden waren. Da mit dem Güterzug mehr als 30 Waggons voller Menschen nach Auschwitz gebracht worden waren, steht demnach auch fest, dass die grosse Mehrzahl der Transportierten bereits bei der Ankunft auf der Rampe zur sofortigen Ermordung bestimmt und vergast worden ist. Das entsprach der üblichen Praxis dieses Vernichtungslagers, die mindestens seit dem erwähnten Urteil gegen den SS-Arzt Fischer auch in vielen Einzelheiten gerichtsnotorisch ist und die bedeutete, dass mindestens 70% der im Jahre 1943 Ankommenden sofort vergast wurden.

Unterstellung
Judenreferat der Dresdner Gestapo

Häftlinge
Juden und unerwünschte Elemente

Geschlecht
Frauen, Männer und Kinder

Namensliste der Inhaftierten

Einsatz der Häftlinge bei
Goehle-Werk des Zeiss-Ikon Konzerns

Art der Arbeit
Herstellung von Zündern für U-Boot-Torpedos

Lagerausstattung

Ausstattung der Insassen

Lageralltag

Bemerkungen
SS-Untersturmführer Henry Schmidt (Um sich eine Unterkunft zu besorgen, ließ er die jüdische Bürgerin Klara Weiß und ihre Tochter Eva durch den Kriminalobersekretär Rudolf Müller (genannt Juden-Müller) aus der Wohnung in der Schlüterstraße 22b vertreiben. Nach seiner Einrichtung und dem Nachzug seiner Familie begann er, mit der Erfassung und Registrierung der jüdischen Bürger, um ihre Deportation vorzubereiten.


Nach 1945 als Schmidt bekannt wurde, dass nach ihm gefahndet wurde, zog er zu Verwandten seiner Frau nach Oelsnitz. Dort arbeitete er die kommenden Jahre als Arbeiter in einer Sandgrube bei Frohnsdorf. Als der Betrieb verstaatlicht wurde, hatte er die Stellung eines Verwalters erreicht, die er auch unter der VEB Starkstromanlagenbau Halle behielt. Er lebte unter seinem richtigen Namen in Altenburg, Erich-Weinert-Höhe 29. Am 1. April 1963 wurde er Geschäftsführer der Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft (AWG) Glückauf.

1977 ging er in Rente

Die Fahndung nach Schmidt wurde über viele Jahre fortgesetzt. Aus Akten in Polen und anderen Dienststellen konnten sein Geburtsdatum und andere Merkmale seiner Identität rekonstruiert werden. Am 9. April 1986 wurde er vom Kreisstaatsanwalt von Altenburg verhaftet. In der Anklageschrift vom 27. Juli 1987 des Generalstaatswalts der DDR (Az: 211-87) wurde er aufgrund von Artikel 6 des Buchstabens c des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofes von Nürnberg vom 8. August 1945 als Rechtsgrundlage vielfältiger Verbrechen beschuldigt. Weiterhin wurde als geltendes Recht die UNO-Konvention vom 26. November 1968 angeführt, wonach die Verjährung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht anwendbar ist.

In der Zeit vom 15. bis 28. September 1987 wurde der Strafprozess vor dem Bezirksgericht Dresden gegen Henry Schmidt abgehalten. Dabei wurden zahlreiche Zeugen gehört, deren Angehörige von Schmidt selbst misshandelt und mit großer Gewalt geschädigt worden waren. Seine Mitwirkung an der Deportation jüdischer Bürger in Konzentrationslager wurde nachgewiesen. Am 28. September 1987 verkündete der Vorsitzende des 1. Strafsenats des Bezirksgerichts Dresden, Siegfried Stranovska, das Urteil auf lebenslange Freiheitsstrafe und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte.

Die Berufung gegen das Urteil wies das Oberste Gericht der DDR mit seinem Urteil vom 22. Dezember 1987 als unbegründet zurück. In der Urteilsbegründung wurde auf den Grundsatz hingewiesen, dass je schwerer die begangenen Verbrechen des Täters sind, desto weniger haben die Umstände der Persönlichkeit des Täters und sein Verhalten nach der Tat einen Einfluss auf die Bemessung des Strafmaßes

Über das Arbeitslager blieb ein Dokumentarfilm vom November 1942 erhalten.

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