Zigeunerrastplatz Marzahn

Bezeichnung: Zigeunerrastplatz Marzahn (Zwangslager für Sinti und Roma)

Gebiet
Land und Stadtstaat Berlin (Bezirk Marzahn-Falkenberg) Falkenberger Weg

Gebiet heute
Auf Höhe des heutigen S-Bahnhofes Raoul-Wallenberg Straße auf der Seite des Parkfriedhofes Marzahn

Eröffnung
22. Mai 1936

Schließung
13. Januar 1949

Unterstellung

Häftlinge
Sinti und Roma

Geschlecht
Frauen, Männer und Kinder

Einsatz der Häftlinge bei
Verschiedene Unternehmen in Berlin und Umgebung

Lagerausstattung

Ausstattung der Insassen

Lageralltag

Während die Sportler der Welt bei den Sommerspielen 1936 in Berlin um Medaillen kämpften, spielte sich in Marzahn ein schwarzes Kapitel dieser braunen Zeit ab. Um die Weltöffentlichkeit über die tatsächlichen Verhältnisse in Deutschland zu täuschen, hatten die Nazis für ein sauberes Stadtbild gesorgt.
Zahlreiche Antifaschisten wurden in Vorbeugehaft genommen, um Proteste zu verhindern, antisemitische Losungen und Verbotsschilder wurden entfernt, um die Judenverfolgung zu vertuschen. Um die schlechten Lebensbedingungen der in Berlin weilenden Sinti und Roma, geringschätzig als Zigeuner bezeichnet, wurden diese in einem Lager am Falkenberger Weg in Marzahn, unweit des Friedhofes zusammengefasst, um sie dem Blick der Olympioniken und der Besucher und vor allem der zahlreich anwesenden Weltpresse zu entziehen.
Unter unwürdigen Bedingungen hausten in dem als Zigeunerrastplatz Marzahn bezeichneten Ghetto die Menschen in Wohnwagen und Baracken. Die Reichshauptstadt war während der Spiele zigeunerfrei, ein Probelauf für ein Verfahren, das gegen Juden in den folgenden Jahren massenweise angewendet werden sollte.

Lage, Bedeutung und historischer Hintergrund
Auf Höhe des heutigen S-Bahnhofes Raoul-Wallenberg Straße auf der Seite des Parkfriedhofes Marzahn, befand sich
eines der ersten rassisch definierten nationalsozialistischen Zwangslager in Deutschland, das von den Nazis zynisch als

Zigeunerrastplatz Marzahn (offizieller Name: Berlin-Marzahn Rastplatz)
bezeichnet wurde.
Die Errichtung des Lagers Berlin-Marzahn, welches mit zur ersten Station der systematischen Ausgrenzung und
Ermordung der Sinti und Roma in den Vernichtungslagern im Osten gehörte, erfolgte jedoch ohne Rechtsgrundlage in Zusammenarbeit zwischen der städtischen Wohlfahrtsverwaltung Berlin, dem Berliner Polizeipräsidenten und im Einvernehmen mit dem Rassepolitischen Amt der Gauleitung der NSDAP.

Mit dem Ziel zur Olympiade in Berlin eine im Sinne der Nazis von Schandflecken gesäuberte (Sinti und Roma freie Stadt) vorweisen zu können, wurde bereits im Mai 1936 mit den Erdarbeiten begonnen um den Platz für das Lager herzurichten.
Einer der Ersten, der mit seinem Wohnwagen das Lager beziehen musste, war der Sinti Johannes Rosenberg.
Das Formular, mit dem er seine Tochter Agnes Steinbach und ihre beiden Geschwister polizeilich anmelden musste,
ist am 22. Mai 1936 ausgestellt worden.
Den Zusatz zum Runderlass zur Bekämpfung der Zigeunerplage, der vom Reichsinnenminister Frick am 6. Juni 1936
unterzeichnet wurde, nahm der Kommandeur der Berliner Schutzpolizei am 16. Juli zum Anlass, einen allgemeinen Landesfahndungstag in Berlin und Umgebung abzuhalten.
Überwiegend Sinti aus Berlin und umliegenden Ortschaften wurden meist am frühen Morgen durch Polizei und SA
zusammengetrieben um anschließend auf Lastwagen nach Marzahn deportiert zu werden.
Viele Sinti- und Roma Familien, die in festen Häusern gelebt hatten, mussten ihren Wohnsitz aufgeben und in
das Zwangslager übersiedeln.
Einige rasch aufgestellte, abgewrackte ehemalige Baracken des Reichsarbeitsdienstes, für die die Wehrmacht keine
Verwendung mehr hatte, und die zum Teil nach Marzahn verbrachten Wohnwagen dienten ihnen dort als Behausung.
Da oftmals nicht für alle Angehörigen in den Wagen Platz war, mussten sie unter den Wagen, wo mit Decken und Lumpen
ein Windschutz hergerichtet wurde, nächtigen.

Zuständig für die Zwangseinweisungen war die Zigeunerdienststelle im Berliner Polizeipräsidium. Die Kriminalpolizei
teilte den Betroffenen keine Gründe mit, eine gerichtliche Überprüfung war ausgeschlossen. Maßgeblich war die rassische Zugehörigkeit.
Wer von der Polizei als Zigeuner oder Zigeunermischling geführt wurde, kam ins Marzahner Lager, auch wenn er/sie weder vorbestraft war, noch eine asoziale Lebensweise (synonym zu nicht-sesshaft) führte.

Am 16.7.1936 meldete der Berliner-Lokal-Anzeiger den Abschluss der Polizeiaktion bei der die Wohnwagenstellplätze
von über 600 Sinti und Roma geräumt wurden:

Berlin ohne Zigeuner!

Als die ersten Sinti und Roma im Zwangslager eintrafen, stand das Gras zum Teil noch mehr als einen Meter hoch.
Die Wiese wurde bald gemäht, umgegraben und planiert. Das Resultat war ein vollkommen ebener Platz.

Lebensumstände und Struktur des Lagers
Marzahn war zu dieser Zeit ein Dorf inmitten von Rieselfeldern am Berliner Stadtrand, weswegen die Umgebung des Zwangslagers von (Entwässerungs-) Gräben durchzogen war.
Ständig kamen Wagen, die Jauche in Gräben pumpten, was einen furchtbaren Gestank verursachte. Die Internierung der Sinti und Roma an diesem Ort geschah in dem Wissen, dass sich die Sinti und Roma nie dort aufgehalten hätten, da ihre Gesetze ihnen das genauso wie das Rasten an Friedhöfen verbieten.

Selbst der überzeugte Nazi Gerhard Stein, der im Auftrag des Berliner Polizeipräsidenten das Marzahn-Lager 1936
untersuchte und glaubte, dass sie Zigeuner bis 1918 einen König hatten, und vom Zigeuner-Bastard sagte, er sei der
übelste und minderwertigste Mensch, den man sich vorstellen kann, brutal und streitsüchtig, arbeitsscheu und verlogen, unehrlich und schmutzig und zur Trinksucht neigend, politisch natürlich mehr als nicht einwandfrei, nichts tuend als seine Umwelt aufwiegeln und aufhetzen, kam um die Feststellung nicht herum, dass die Zwangsansiedelung die Insassen aus ihrem Gewerbe gerissen und brotlos gemacht hatte.
Den Lagerinsassen drohte ständig die Deportation in ein Konzentrationslager, welche dann auch in mehreren Schüben erfolgte.
Seit dem Asozialenerlass vom 14. Dezember1937 galt jede/r Zigeunerin als asozial und konnte daher in Vorbeugungshaft genommen werden, das heißt in KZ-Haft. Viele sind diesem Erlass zum Opfer gefallen und in die Konzentrationslager
Sachsenhausen und Buchenwald deportiert worden.
Von nun an mussten die Sinti und Roma des Lagers täglich mit dem Abtransport ins KZ rechnen. Immer wieder wurden einzelne abgeholt.
Die Anzahl der in Marzahn Internierten sank 1937 von anfangs 600 auf 400, stieg jedoch 1938 langsam wieder an, so
dass am 1.Juni 576, am 23. Juni schon 672 und am 27. September 852 internierte Sinti gezählt wurden.

Ab August 1938 lebten im Lager überwiegend Frauen und Kinder. Die meisten Männer waren aufgrund eines Schnellbriefs
vom 1. Juni 1938 in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert worden. Die Anordnung beinhaltete in der
Woche vom 13.-18. Juni 1938 aus jedem Kriminalpolizeistellenbezirk mindestens 200 männliche arbeitsfähige Personen zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung zu inhaftieren.
Das Schreiben berief sich auf den Asozialen-Erlass. Die Sinti und Roma galten als asozial, da sie zum Teil nomadisch lebten
und damit wie aus diversen ethnologischen Betrachtungen der Zeit hervorgeht auch als kriminell galten. Dieses Bild
von Sinti und Roma reiht sich in die historische Kontinuität ethnologischer Betrachtungen.
Obwohl 150 Wohnwagen dicht an dicht standen, besaßen nicht alle Gefangenen einen Wohnwagen. Daher mussten im Zigeunerlager zusätzlich Wohnbaracken aufgestellt werden.
Die Wohnbaracken beherbergten nun Sinti und Roma, die vor ihrer Einweisung in das Zwangslager zum Teil in
festen Wohnungen gelebt hatten. Im Lager gab es nur drei Wasserstellen, die im Winter häufig eingefroren waren, und zwei Toilettenanlagen.
Durch die schlechten Wohnverhältnisse und die miserable Ausstattung mit Sanitäranlagen kam es zu zahlreichen Erkrankungen. Bereits Anfang Oktober 1936 wurde über die Verhältnisse im Lager Marzahn festgestellt:

Der Platz befindet sich in unmittelbarer Nähe der Rieselfelder, die vor allem abends und bei gewissem Wetter üble Dünste
hervorkommen lassen, die zeitweise unerträglich sind. Das Wasser des neu gebohrten Brunnens ist in der Tat
ungenießbar, wovon ich mich selbst überzeugt habe. Am schlimmsten sind die Toilettenverhältnisse, ganz unzureichend
für eine so große Zahl Menschen. Ich bin überzeugt, dass dort manche Krankheit übertragen wird. Der mangelhafte Gesundheitszustand bildet eine Gefahr für jedermann. Inzwischen sind auch wieder eine Anzahl Menschen schwer erkrankt, teils tödlich.

Direkt neben dem Bahnwärterhäuschen wurde 1937 eine Polizeibaracke errichtet, die mit einem großen Suchscheinwerfer ausgestattet war.
An die Polizeibaracke, in der sich die Räume für die ständige Polizeiwache und den ständigen Rastplatzverwalter befanden
und die ein riesiges Fenster besaß von dem aus der gesamte Platz überblickt werden konnte, wurde 1938 ein Kranken und Entbindungszimmer gebaut.
An dieses Krankenzimmer schloss sich ein zweites Zimmer an. In diesem war das Wohlfahrtsamt untergebracht.
Im Juli 1939 haben von insgesamt 800 Personen im Lager nur 64 ältere und kranke Zigeuner Fürsorgeunterstützung
erhalten.
Dafür mussten sie, soweit wie noch verwendungsfähig, Platzarbeit verrichten. Im Wohlfahrtsamt tätig waren ein gewisser
Herr Huckauf und Herr Schukalla.
Zusätzlich befanden sich in dieser Verwaltungsbaracke zwei Wärmestuben.
Ebenfalls 1938 wurden drei weitere Wohnbaracken (die in der Mitte geteilt waren und von beiden Seiten immer Familien
weise bewohnt wurden, Rosenbergs z.B. Baracke 28a) und eine Schulbaracke direkt neben der Polizeibaracke errichtet.
Den Lagerinsassen war es verboten die große Volkshochschule nahe dem Dorf Marzahn zu besuchen. Die Schulbaracke
stellte einen reinen Alibi-Bau dar. Es gab nur einen Lehrer, Herrn Barwich, fünf Klassen, jedoch nur zwei Räume in der Baracke. Einen Teil der Bücher erhielten die Lager-Kinder umsonst, andere hatten sie zu bezahlen. Als der Lehrer zur Wehrmacht eingezogen wurde, hörte jeder Unterricht auf, sodass viele Kinder Analphabeten bleiben mussten.

Laut Entschädigungsgesetz hätten die im Marzahn-Lager festgesetzten Kinder Schulgeld erstattet bekommen müssen,
doch die Betroffenen kämpften meist ihr Leben lang vergeblich darum.
Die Erziehung der Kinder des Marzahner-Zwangslagers wurde, wie ausdrücklich betont wurde weitgehend ihren
Erziehungsberechtigten überlassen. Bei der fürsorgerischen Beaufsichtigung dieser Kinder stünde jedoch nicht ihr
persönliches Wohlergehen und persönlich günstige Fortentwicklung im Vordergrund, sondern es sollte primär darauf
geachtet werden, dass diese Kinder nicht zu einer Gefahr für die deutsche Jugend werden. Falls sie die deutsche Umwelt
etwa beeinträchtigen oder gefährden würden, werde mit Zwangsmaßnahmen gegen sie vorgegangen, womit offensichtlich
die Einweisung in ein Konzentrationslager oder ein so genanntes Jugendschutzlager gemeint war.
Durch die vollzogenen Baumaßnahmen hatten sich die Wohn- und Lebensbedingungen keineswegs verbessert. Im März 1939 wurde von der Gesundheitsverwaltung angegeben, dass fast 40% der Lagerinsassen unter Krätze litten. Darüber hinaus
wurden zahlreiche Fälle von Scharlach, Diphtherie und Tuberkulose festgestellt.

Zugang und Bewachung
Das Lager war nur den Mitarbeitern/inen der Rassehygienischen Forschungsstelle wie „Dr.
Robert Ritter und kirchlichen Vertretern zugänglich. Die katholischen Schwestern und Missionare stammten meist vom am Straußberger Platz ansässigen Christkönigshaus. Dieses dürfte von den Lager-Kindern regelmäßig besucht werden. Hier wurden sie jeden Freitagabend
nach der Schule von einem Direktor namens Trüding im Katechismus unterrichtet. Umgang hatten die Kinder ebenfalls mit Pater Petrus, Bruder Williges und Bonifazius.
Zum Ziel der Missionierung dürften die Kinder hier übernachten, bekamen zu Essen und wurden gut behandelt. Gleichzeitig unterstützten die evangelische, wie die katholische Kirche die Verfolgung der Sinti und Roma durch die Offenlegung der Kirchenbücher.
Obwohl das Lager von keinem Zaun o.ä. umgeben und nur spärlich bewacht war, schloss sich eine Flucht und das
Untertauchen wegen der Denunziationsbereitschaft der Bevölkerung nahezu von selbst aus. Außerdem befand sich alles
an dem die Lagerinsassen hingen, ihr Besitz, ihre Familienangehörigen an diesem Ort.

Die Wachmannschaft
Den Internierten war die gängige Praxis der Misshandlung von Familienangehörigen durch die Polizisten im Falle der Lagerregelverletzung (zum Beispiel Fluchtversuche) bekannt. Die wenigen Fluchtversuche endeten alle in Konzentrations-
und Vernichtungslagern.
Zur Bewachung des Zigeunerlagers waren ständig drei bis vier Polizeibeamte mit Hunden eingesetzt. Dass es sich um
Kriminalpolizisten handelte, drückte das Verständnis gegenüber den Sinti und Roma, sie seien Kriminelle, die eine
entsprechende Behandlungen verdienten, nochmals aus.
Der schlimmste Aufseher war der neben Hauptwachtmeister Bredel agierende so genannte Oberwachtmeister (Politz) Polenz:
Er ging immer herum und schlug auf jeden ein, der ihm gerade vor das Gesicht kam. Vor allem die Kinder mußten
schrecklich unter ihm leiden.
Widersetzte sich ein Sinti den Anweisungen der Bewacher, oder wurde das Lager ohne Erlaubnis verlassen, kamen die Wachhunde zum Einsatz, die oft schwere Bissverletzungen verursachten. So gibt es Berichte über abgebissene Genitalien.
Das Lager dürfte nur aus zwingenden Gründen, wie dem Gang zur (Zwangs-) Arbeit, zum Einkaufen, Wasserholen und Brennholz besorgen, verlassen werden. Die Internierten mussten sich dazu ab und pünktlich wieder anmelden.
Ab 22 Uhr bestand eine Ausgangssperre. Jede/r, der/die das Lager verlassen wollte oder zurückkehrte, wurde von der
Wachmannschaft kontrolliert, da der Hauptweg direkt an der Polizeibaracke vorbeiführte.
Ein so genannter Obmann hatte dafür zu sorgen, dass der Platz immer sauber war. Er hatte Nummern an den Baracken
und Wagen anzubringen, so dass ein/e jede/r sofort gefunden werden konnte. Wenn Leute nachts ankamen schrieb er
die Namen auf, um sie der Polizei zu melden.
Nachdem alle Internierten registriert waren, durfte der Platz verlassen werden. Die Namen, persönlichen Daten und
Fingerabdrücke wurden in der Dienststelle für Zigeunerfragen im Polizeipräsidium am Alexanderplatz hinterlegt. Die Sinti
und Roma hatten sich selbst zu versorgen, eine Lagerkantine gab es nicht. Da die Insassen nahezu kein Geld hatten und
selten Lebensmittelmarken erhielten, litten sie oft Hunger. Am Schlimmsten traf es Mütter, die kleine Kinder ernähren mussten. Für sie war nur 1/8 l Magermilch vorgesehen, und die bekamen sie nur, wenn die Bauern in der Umgebung
Milch übrig hatten.
Das wenige ihnen zur Verfügung stehende Geld investierten sie in das Lebensnotwendigste: Lebensmittel, Kohle und Holz
zum Heizen im Winter.
Diese Waren bezogen sie von Händlern aus dem Marzahner Dorf:
Willi Haase verkaufte in seinem Kolonialwarengeschäft Kohle in 1/2 oder 1/4 Zentner Säcken und Lebensmittel.
Daneben gab es einen Schmied, einen Bäcker und den Milchmann Herrn Drilling. Später verkaufte ein Fuhrmann Milch
direkt auf dem Platz und ein gewisser Walter Schwarz eröffnete einen Kaufmannsladen im Lager. Beide machten gute Geschäfte, da sich die Internierten die Einholwege sparen konnten.

Arbeitssituation
Jugendliche und Erwachsene, Männer wie Frauen über 14 Jahre waren verpflichtet, jede Arbeit anzunehmen. Im Juni 1939 machte das Hauptwohlfahrtsamt den Vorschlag zu einem vollen Einsatz der Arbeitskräfte der Zigeuner einschließlich der Frauen, der Alten und Jugendlichen zu gelangen. Die Stellen wies ihnen das Arbeitsamt zu, wobei einige wie die
KZ-Häftlinge aus Sachsenhausen bei den gefährlichen Bombenräumkommandos eingesetzt wurden.
Ein Teil der Sinti und Roma soll in einer nahegelegenen Kiesgrube gearbeitet haben. Eines der in Marzahn internierten Familienmitglieder der Rosenbergs war bei Hasse und Wrede, einer damaligen Steinmühle und 100% Tochterunternehmen
der Knorr Bremse AG, das wohl auch die Kiesgrubenarbeiterinnen beschäftigte, zwangsangestellt.
Die Knorr Bremse AG unterhielt auf dem eigenen Firmengelände mindestens 2 Zwangsarbeiterinnen-Lager. Beide
Unternehmen wollen die Verbrechen noch heute nicht öffentlich thematisieren. Ein weiterer Rosenberg arbeitete in Hohenschönhausen in einer Kistenfabrik, Weitere in der Norddeutschen Kugellager-Fabrik in Neu-Lichtenberg (Ewald Hanstein), in einer Wachsfabrik in Neukölln oder beim Rüstungsbetrieb Dannemann und Quandt Apparatebau in Berlin-Lichtenberg.
Um zur Arbeit zu kommen, waren oft erhebliche Wege zurückzulegen. Daher nutzten einige Sinti und Roma den Bus, der
an der Haltestelle an der Kirche im Marzahner-Dorf hielt. Der Weg bis ins Dorf nahm etwa 20 Minuten zu Fuß in Anspruch.
Alternativ nutzten die Internierten den sich gleich beim Lager befindlichen Bahnhof Marzahn, von dem aus ein Zug jede Halbestunde über Marzahn und Ahrensfelde nach Werneuchen beziehungsweise Lichtenberg fuhr.
Daneben gab es noch einen weiteren Weg, den heute noch existierenden Falkenberger Weg nach Falkenberg. Kürzere Wege
zum Einholen von Kohle, Lebensmitteln, Holz oder zum Bahnhof durften nicht benutzt werden.
Bei Zuwiderhandlung wurden die Wachhunde als Strafe auf die Person losgelassen. Die Älteren blieben auf dem Platz, die
Erwachsenen mussten soweit möglich arbeiten und die Kinder gingen zur Schule und erledigten Einholwege. Für einige Lagerinsassen war es vorteilhaft bei den auf der anderen Seite der Bahngleise ansässigen Bauern wie Schönagel oder Rohde,
der Großbauer und Nazi war, beschäftigt zu werden. Hier erhielten sie Verpflegung als Gegenleistung für ihre Arbeit
(z.B. Hilfe bei Rübenernte) oder (in den seltensten Fällen auch) Geld.
Einige Lagerinsassen wurden von Angestellten der Babelsberger Filmstudios auf dem Zwangslagerplatz ausgesucht um als Statisten in dem Abenteuer- und Spionagefilm Anschlag auf Baku türkische Kämpfer darzustellen.
Auch Leni Riefenstahl ließ sich Sinti und Roma aus Marzahn bringen, die anschließend als Komparsen in ihrem von Hitler persönlich mitfinanzierten Film Tiefland mitzuwirken hatten.

Tiefland von Leni Riefenstahl
Ich könnte die Leute umbringen, die das verbreiten, so sehr hasse ich sie.
Als Regisseurin und Hauptdarstellerin des Films Tiefland erklärte Leni Riefenstahl dies auf der Pressekonferenz zur
Frankfurter Buchmesse im Jahr 2000 bezüglich der Verwendung von Inhaftierten als Komparsen aus den Sinti und Roma Lagern Berlin-Marzahn und Salzburg-Maxglan.
Der Filmdreh fand von 1940-1942 in den spanischen Pyrenäen, dem Alpendorf Krün sowie den Babelsberger Filmstudios statt. Die Handlung des Melodramas beschränkt sich hierbei auf das leidende, aufbegehrende Volk, das sich noch nicht zur
Volksgemeinschaft entwickelt hat. So waren sowohl in Krün als auch in Babelsberg Sinti und Roma aus dem Lager
Marzahn zur Darstellung von spanischen Mägden, Knechten und Bauern gezwungen. Als solche werden sie schließlich auch lediglich im Vorspann erwähnt, wobei Herkunft und Schicksal der Sinti und Roma verschwiegen wird. Des Weiteren ist eine Liste erhalten, welche den Namen Sozialausgleichsabgabe für die Zigeuner bei dem Film Tiefland ab 27.04.1942 trägt.
Diese beinhaltet eine Auflistung von 65 steuerpflichtigen Komparsen aus dem Lager Marzahn. Außerdem existieren
50 Standfotos, welche während des Drehs in Krün bei Mittenwald entstanden.
Sinti und Roma, welche das Lager überlebten, sowie der Deportation nach Auschwitz entgingen, identifizierten vor allen Dingen Verwandte auf den Fotos. Die Wiedererkennung, in Verbindung mit der vorhandenen Liste der steuerpflichtigen Komparsen des Lagers, widerlegt grundlegend die Position Leni Riefenstahls, auf der sie ihr Leben lang beharrte.
Insgesamt konnten 29 Riefenstahl-Komparsen identifiziert werden, welche in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert worden waren. Der Film wurde schließlich 1954 in Stuttgart uraufgeführt. Auch die Veranstalterinnen der Filmfestspiele in Cannes scheuten sich nicht Tiefland dem Publikum zu präsentieren. Selbst heute noch wird der Film beispielsweise durch
arte Edition vertrieben. Hierbei wird festgestellt, dass der Film beste Unterhaltung in überzeugender Qualität auf VHS oder DVD bietet, wobei ein Hinweis oder jegliche Reflexion der Umstände und Schicksale fehlt.

Weitere Verschärfung der Situation
Nach Heydrichs Festsetzungserlass vom 17. Oktober 1939 kam es zu einer Verschärfung der Situation für die internierten
Sinti und Roma, da die Sicherheitspolizei die Überwachung verstärkte. Jede/r Festgesetzte musste eine Erklärung
unterzeichen, in der er/sie sich verpflichtete, das Lager nicht ohne Erlaubnis zu verlassen, widrigenfalls er/sie mit der Einweisung in ein Konzentrationslager zu rechnen habe. Fremden wurde der Platzzutritt untersagt und die Polizei war
nun stets direkt am Eingang präsent. Bei Streitigkeiten oder Fahndungen auf dem Platz schalteten die Beamten der Kriminalpolizei einen großen Suchscheinwerfer ein und liefen ihre Waffen präsentierend über den Platz. Am Morgen entschieden sie sich meist wahllos für einen Wohnwagen oder eine Baracke und nahmen die Leute mit.
KZ konnte man da schon sagen.
Die wahllos Selektierten kamen in die Dircksenstraße am Alexanderplatz, Berlin C-Zwei, ins Zigeunerdezernat.
Hier befand sich die Dienststelle für Zigeunerfragen, deren Leiter Leo Karsten war. Viele Insassen wurden einzeln dorthin gebracht, so auch Otto Rosenbergs Mutter, die von dort aus ins Frauen-KZ Ravensbrück deportiert wurde.
Mitte 1939 wurden Pläne entwickelt, die bauliche Ausgestaltung“ des Lagers voranzutreiben und in ihm eine straffe Lagerordnung nach Art der Konzentrationslager einzuführen.
Eine längere Aufrechterhaltung des Lagers im gegenwärtigen Zustand wurde vom Hauptwohlfahrtsamt für nicht mehr verantwortbar gehalten. Allerdings vor allem deshalb, weil die Gefahr der Übertragung von Krankheiten auf die
Bevölkerung von Marzahn befürchtet wurde.
Da es außerdem schon seit dem 8. Dezember 1938 Überlegungen gab eine endgültige Lösung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse heraus voranzutreiben, sind die Vorschläge des Berliner Hauptwohlfahrtsamtes nicht aufgegriffen worden, das Zigeunerlager Marzahn in ein Konzentrationslager für Zigeuner umzuwandeln.
Auch der Krieg ging nicht an den Lagerinsassen vorbei. So flogen immer wieder messerscharfe Granatsplitter von der Flugabwehr (in der Nahe befand sich eine Flakstation) ins Lager. Um sich vor den Anfang der 1940er Jahre begonnen Bombenangriffen auf Berlin zu schützen, wurden provisorisch Gräben im Lager ausgehoben, in die sich viele Insassen bei Luftalarm begaben.
Wann das Lager wieder aufgelöst wurde, ist nicht bekannt, jedoch dürfte dies bis zum 1. März 1943 geschehen sein. An
diesem Tag wurden im gesamten deutschen Reichsgebiet Zigeuner und Zigeunermischlinge aufgrund des
Auschwitzerlasses von Heinrich Himmler vom 16. Dezember 1942 inhaftiert und in das so genannte Familienlager Auschwitz-Birkenau verbracht, wo die Meisten von ihnen in den Gaskammern ermordet wurden.

Ein Bombenangriff hatte 1944 die meisten Wohnwagen und Baracken des Marzahn-Lagers verbrannt. Für die letzten
Insassen blieb nur die Schulbaracke bewohnbar. Dort vegetierten sie in bedrückender Enge, tiefster Not und dem
Verhungern nahe bis die Sowjetarmee am 21. April 1945 den heutigen Bezirk Marzahn-Hellersdorf eroberte und dabei auch jene 2 Dutzend Sinti befreite, die im Marzahn-Lager überlebt hatten.
Aber es dauerte noch lange bis die Opfer das Lager verlassen konnten. Vorerst hausten sie weiter in der Schulbaracke.
Niemand kümmerte sich um die Sinti, wie Agnes Steinbach, und Roma, die im halb zerfallenen Bahnwärterhäuschen gleich neben der Baracke 1947 ihre Tochter zur Welt bringen musste. Erst nahezu vier Jahre nach der Befreiung erhielt sie für sich selbst, ihre Mutter und ihre Tochter eine Wohnung zugewiesen. Die polizeiliche Ummeldung vom Rastplatz Marzahn in ein Haus in Alt-Friedrichsfelde ist am 13. Januar 1949 ausgestellt.
Noch vier Jahre lang mussten die Opfer des Zigeunerlagers am Ort ihrer Zwangsfestsetzung hausen. Sie wurden zu
Befreiten, die keine Freiheit, Opfern, die keine Hilfe fanden. Vier Jahre führte die Meldebehörde die Stätte des ersten
Zwangslagers für rassisch Verfolgte unter dem nazistischen Tarnnamen Rastplatz fort.

Zu den ersten großen Transporten, die 1943 im Zigeunerlager von Auschwitz eintrafen, gehörten die Sinti und Roma des Marzahn-Lagers, das insofern als inhaltliche und zeitliche Vorstufe von Auschwitz bezeichnet werden kann.
Ihre zurückgelassenen Wohnwagen wurden auf Grund des Paragraphen 1 des Gesetzes über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens vom 14. Juli 1933 beschlagnahmt oder an Ort und Stelle verbrannt.
Wahrscheinlich waren bis zu 2000 überwiegend deutsche Sinti, aber auch Roma aus Jugoslawien, Ungarn und Tschechien, die schon länger in Berlin gelebt hatten, von 1936-1945 im Marzahner Lager interniert gewesen, immer wieder reduziert durch Einweisungen der vorwiegend männlichen Insassen in KZ‘s (Sachsenhausen und Buchenwald) und Zuchthäuser.

Situation nach der Auflösung
Nach der Auschwitz-Deportation lebten nur noch zwei Familien im Marzahn-Lager, die nächsten Verwandten des Sinti
Heinrich Steinbach und des Lalleru Gregor Lehmann. Sie überlebten aufgrund der widerwärtigen Kategorisierung als besonders reinrassige Zigeuner durch Mitarbeiterinnen der Rassehygienischen Forschungsstelle. Somit fielen sie nicht dem Auschwitzerlass zum Opfer.

Nach dem Krieg wurden die Insassen des Lagers Berlin-Mahrzahn nicht als Verfolgte anerkannt. Das Lager sei kein Konzentrationslager gewesen und die dorthin verschleppten Menschen nicht rassisch Verfolgte, lautete die Begründung der zuständigen Behörden. Erst 1987 gelang es Otto Rosenberg gemeinsam mit Wolfgang Wippermann, dass die Sinti und Roma,
die in Mahrzahn inhaftiert waren, als rassisch Verfolgte anerkannt wurden.
In Mahrzahn findet jährlich die Gedenkfeier des Landesverbandes für die ermordeten Berliner Sinti und Roma statt. Das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma soll aber in der Nähe des Reichstages gebaut werden, nicht am Rande der Stadt. Die geographische Lage der Orte der Deutschen Sinti und Roma sagt viel über ihren Stellenwert innerhalb der deutschen Gesellschaft aus. Mit der Entscheidung, das Mahnmal nicht am Rande der Stadt, sondern in ihrem Herz zu errichten, könnte ein Signal gesetzt werden.

Unbehelligte Täter - unentschädigte Opfer
Statt Entschädigung und Anerkennung ihrer Verfolgung haben Roma und Sinti in Deutschland nach 1945 weitere Stigmatisierung und Entrechtung erfahren. Dabei trafen sie beispielsweise bei Schadenersatzprozessen zum Teil auf
Gutachter, die während des Nationalsozialismus für ihre Verschleppung in Konzentrationslager verantwortlich waren.
Zwei tragende Figuren in diesem Zusammenhang waren Robert Ritter (1901-1951), vor 1945 Leiter der rassehygienischen Forschungsstelle in Berlin, und seine Assistentin Eva Justin (1909-1966). Eine verheerende personelle und inhaltliche Kontinuität gab es aber auch bei der Polizei.
Der Nervenarzt Ritter und die Psychologin
Justin waren im Rassehygieneinstitut für die Erfassung und Sichtung aller
Zigeuner und Zigeunermischlinge zuständig. Ihre pseudowissenschaftlichen Gutachten boten die Basis für die Ermordung Tausender in den Vernichtungslagern:
Daten von mehr als 25 000 deutschen Roma und Sinti hatte ihr Institut gesammelt. Dies ging nur, weil es eine reibungslose Zusammenarbeit mit Fürsorge- und Gesundheitsämtern, den Pfarrämtern und der Kriminalpolizei gab, berichtet die
Roma-Union. Bis 1942 überführte das Ritter-Institut, mittlerweile dem Reichssicherheitshauptamt angeschlossen, mehr als 30.000 Akten an Gestapo und Polizei, wo sie zum Leitfaden des Völkermordes wurden. Die Psychologin Justin schrieb ihre Doktorarbeit über Sinti-Kinder. Nach Abschluss ihrer Arbeit wurden bis auf drei Kinder alle in Auschwitz ermordet.
Ritter und Justin führten im Jugend-KZ Uckermark erb- und kriminalbiologische Untersuchungen an Häftlingen durch.
Diese waren für zahlreiche Zwangssterilisierungen sowie für Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, Ravensbrück, Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald verantwortlich.
Die beiden Forscher wurden nach dem Krieg nicht zur Verantwortung gezogen. Im Gegenteil sie setzten ihre Karrieren fort, obwohl ihre früheren Funktionen bekannt waren. Ritter war ab 1947 Amtsarzt der Stadt Frankfurt am Main, Justin wurde leitende Kriminalpsychologin beim Jugendgesundheitsamt dieser Stadt. Zum Nachteil betroffener Sinti und Roma wurde
Ritter in Entschädigungsverfahren nach 1945 als Gutachter engagiert.
Unbehelligt blieben auch die Fachkräfte der Polizei. Den behördlichen Umgang mit Angehörigen der Minderheit
übernahmen viele Beamte, die schon im Reichssicherheitshauptamt ihre Erfahrungen bei der Zigeunerverfolgung
gesammelt hatten. Die Dienststelle für Landfahrer in München, vor 1945 für die Deportation bayerischer Sinti und Roma zuständig, setzte ihre Arbeit einfach fort und benutzte bis in die 60er Jahre Akten des Ritter-Instituts. 1962 erschien ein offizieller Leitfaden für Kriminalbeamte, in dem Sinti und Roma nach wie vor eine ausgeprägte Arbeitsscheu unterstellt
wird.
Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma wurden in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft geleugnet
oder als kriminalpräventive Maßnahme gegen als asozial bezeichnete Zigeuner dargestellt. Wiedergutmachungszahlungen wurden ihnen zum größten Teil vorenthalten. Ausgebürgert, ihrer sozialen und ökonomischen Existenz beraubt, von den grauenhaften Erfahrungen in den Lagern traumatisiert, kehrten die Überlebenden in ihre Heimat zurück. Dort erfuhren sie
die anhaltende Wirksamkeit antiziganistischer Vorurteile und eine Ausgrenzungspolitik, die weiterhin auf der NS-Rasseideologie beruhte. So begründete der Bundesgerichtshof am 7. Januar 1956 die Ablehnung von Entschädigungen für
Sinti und Roma damit, dass sie nicht aus Gründen der Rasse, sondern aufgrund ihrer asozialen Eigenschaften verfolgt
worden seien.
Das Bundesentschädigungsgesetz schloss Roma und Sinti in mehrerlei Hinsicht von Entschädigungsansprüchen aus: Nur diejenigen Personen, die ihren Wohnsitz im Gebiet des früheren Deutschen Reichs gehabt oder zumindest zum deutschen Sprach- und Kulturkreis gehört hatten, und aus Gründen der politischen Überzeugung, des Glaubens oder der Rasse verfolgt worden waren, waren anspruchsberechtigt. Diese Voraussetzungen wurden den Roma und Sinti rundweg abgesprochen, auch wenn diese zum Teil deutsche Staatsbürger/innen (gewesen) waren und/oder sich seit Generationen auf deutschem Gebiet niedergelassen hatten.
Die rassenideologische Begründung des Völkermords an Roma und Sinti wurde außerdem noch bestritten: Der Kommentar
zum Entschädigungsgesetz legte fest, dass jegliche Verfolgung vor 1943 bis zu ihrer Deportation nach Auschwitz
ausschließlich aus kriminalpolitischen Gründen erfolgt sei. Die Zwangseinlieferungen in sog. Zigeunerlager im
Deutschen Reich, die Deportationen in das besetzte Polen 1939/40, Zwangsarbeit, Massen-Erschießungen, medizinische Versuche, seien aufgrund der asozialen Eigenschaften der Zigeuner erfolgt.
Am 18. Dezember 1963 revidierte der Bundesgerichtshof diese Entscheidung zum Teil: Roma und Sinti wurde zugestanden,
dass in Folge des Himmler-Erlasses vom 08.12.1938, der die endgültige Lösung der Zigeunerfrage aus dem Wesen der Rasse heraus ankündigte, in Einzelfällen rassenideologische Motive bei der Verfolgung und Ermordung der Angehörigen der Roma und Sinti mitursächlich gewesen seien.
Der Bundestag eröffnete nach dieser Revidierung eine erneute Antragsmöglichkeit für diejenigen Verfolgten, die die
rassistische Motivation ihrer Verfolgung vor 1943 nachweisen konnten. Die Beweislast lag auf Seiten der Opfer. Eine Mindestzeit in bestimmten offiziell anerkannten Lagern und Ghettos musste nachgewiesen werden wobei so genannte Zigeunerlager oftmals nicht anerkannt wurden. Ansprüche wegen Gesundheitsschäden aufgrund von Zwangssterilisationen
und medizinischen Experimenten wurden abgelehnt. Als Amtsärzte wurden bis in die 60er Jahre ehemalige NS-Ärzte und -Gutachter herangezogen. Behörden und Ämter benutzten die umfangreichen NS-Akten, um die Verfolgung kriminalistisch zu begründen und Entschädigungsansprüche abzuwehren.
Ab 1979 forderte die sich formierende Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma öffentliche Aufmerksamkeit für diese unerträgliche Situation. Mit einem Hungerstreik in der KZ-Gedenkstätte Dachau 1980 wurde die Forderung unterstrichen,
die Ritter'schen Rasse-Gutachten und die Akten der Zentralstelle in München an die Betroffenen herauszugeben. Diese Unterlagen wurden schließlich dem Bundesarchiv in Koblenz übergeben.
Die Arbeit der Bürgerrechtsbewegung schaffte es, ein größeres gesellschaftliches Bewusstsein für die Situation der Sinti und Roma zu erreichen. Der Bundestag richtete 1981 einen Härtefonds ein, der eine Pauschalentschädigung von bis zu 5.000 DM
für bisher nicht entschädigte Verfolgte ermöglichte. 1985 schließlich erfolgte die Anerkennung des Völkermords an
Roma und Sinti durch den Bundestag.