20.09.1941

An
die Reichsstatthalter in den Reichsgauen (Landesregierungen)
die Regierungspräsidenten
den Polizeipräsidenten in Berlin
den Oberbürgermeister der Reichshauptstadt
die Gesundheitsämter

Betrifft: Behandlung missgestalteter usw. Neugeborener

Die Volksgemeinschaft hat das größte Interesse daran, dass Kinder mit schweren Missbildungen
oder schweren geistigen Schädigungen alsbald einer erfolgversprechenden Behandlung
oder einer Asylierung zugeführt werden. Über die Notwendigkeit einer Behandlung ist nichts
weiter zu sagen, da dies selbstverständlich ist. Ich verweise hierzu auf den Runderlaß vom 1.
Juli 1940 – IV b 2140/40 – 1079 Mi – (RBBliv. S. 1437)
Durch die Asylierung schwer leidender und besonders pflegebedürftiger Kinder wird den Eltern
erfahrungsgemäß einer wirtschaftliche und seelisch Last abgenommen und eine Vernachlässigung
etwa in der Familie vorhandener gesunder Kinder zugunsten des kranken Kindes verhindert.
Oft wird beobachtet, dass, auch wenn das Leiden des kranken Kindes nicht anlagemäßig
bedingt ist, seitens der Eltern auf weitere Nachkommenschaft verzichtet wird, um alle Sorgfalt
dem kranken Kinde zuwenden zu können. Alle diese ungesunden Begleitumstände werden
durch eine Asylierung des Kindes vermieden. Die in den Anstalten mögliche fachärztliche Untersuchung
gestattet es auch, die Erblichkeit des Leidens zu körn und diesen Eltern gegebenenfalls
von weiterem Nachwuchs abzuraten oder sie zu Zeugung weiterer Kinder zu ermutigen.

Der Reichssusschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagedingter schwerer
Leiden hat hervorragende Sachkenner auf dem in Frage kommenden medizinischen Spezialgebiet
in den Dienst seiner Aufgabe gestellt. Neben der in dem Erlaß vom 1. Juli 1940 – IV b
2140/40 – 1079 Mi – erwähnten Anstalt Görden sind noch andere Anstalten zur Mitarbeit herangezogen
worden. Die Fürsorgeverbände sind durch Runderlaß vom 30. Mai 1941 – IV W I
9/41 – 7805 – (RMBliV. S. 1009) angewiesen, bei fürsorgerechtlicher Hilfsbedürftigkeit die
Anstaltsbedürftigkeit und Notwendigkeit der Durchführung der Anstaltspflege in der vom
Reichsausschuß bestimmten Anstalt anzuerkennen. Dem Reichsausschuß stehen weiterhin auch
Mittel zur Verfügung, um in bestimmten Fällen, in denen die Eltern zwar nicht hilfsbedürftig
sind, aber die Anstaltskosten selbst nur schwer tragen können, helfend einzugreifen. Der Reichsausschuß
übernimmt in derartigen Fällen auch die Verlegungskosten und in einzelnen Fällen
auch die Kosten für Besuche durch die Angehörigen. Um die Regelung dieser Fragen sicherzustellen
und eine zweckmäßige Verteilung der Fälle auf die einzelnen Anstalten zu erreichen,
ersuch ich, Anstaltsüberweisungen von Kindern, bei denen eine Mitwirkung des Reichsausschusses
in Frage kommt, nicht unmittelbar, sondern durch seine Vermittlung vorzunehmen.

Die Sorgeberechtigten sind oft nicht gern bereit, das Kind in eine Anstalt zu geben. Sie stützen
sich dabei oft auf die Angebe des Hausarztes, dass auch eine Anstaltsbehandlung an dem Zustand
nichts ändern könne, oder sich glauben, eine fortschreitende Besserung im Zustand des
Kindes zu bemerken, was in Wirklichkeit aber meist keine Besserung des Zustandes des Kindes
als vielmehr eine Anpassung der Beobachter an diesen Zustand darstellt. Erfahrungsgemäß ist
dies bei Kindern mit mongoloider Idiotie besonders häufig der Fall, zumal die Angehörigen die
Anhänglichkeit, Freundlichkeit oder Musikfreude derartiger Kinder oft falsch werten, sich unerfüllbare
Hoffnung vortäuschen und daher von Anstaltspflege nichts wissen wollen.

Die Kinder werden nicht in Irrenanstalten sondern in offenen Kinder- und Jugendfachabteilungen,
die zur Zeit nur verwaltungsmäßig einzelnen Heil- und Pflegeanstalten angegliedert sind,
untergebracht.

Ich bringe das den Gesundheitsämtern zu Kenntnis, damit sie die Sorgeberechtigten entsprechend
belehren können.

Den Amtsärzten mache ich zur besonderen Pflicht,
(1) sich zu vergewissern, dass die Hebammen der ihnen obliegenden Meldepflicht gewissenhaft
nachkommen.

Ich bemerke hierzu, dass die Meldungen aus einzelnen Bezirken nur spärlich eingehen,
was auf Mängel in der Durchführung der Meldepflicht schließen lässt, denen nachzugehen
ich mir noch vorbehalte;

(2) die Bestrebungen des Reichsausschusses in jeder Weise zu unterstützen, insbesondere
auf die Sorgeberechtigten im Sinne obiger Ausführungen gegebenenfalls auch mit Hilfe
des Hausarztes einzuwirken.

Den Eltern muß gesagt werden, dass durch eine rechtzeitige Anstaltsunterbringung ihnen und
dem Kind am besten gedient sei, dass eine Anstaltsunterbringung später doch notwendig werde,
dass bei Verweigerung des Anstaltsunterbringung gegebenenfalls für sie oder für das Kind später
wirtschaftliche Belastungen eintreten können, so dass unter Umständen geprüft werden
müsse, ob nicht in der Zurückweisung des Angebots eine Überschreitung des Sorgerechts zu
erblicken ist.

In Vertretung
(gez.) Dr. Conti