Schwangerschaftsunterbrechungen

Präsident des Gauarbeitsamtes
Reichstreuhänder der Arbeit
Rhein-Main

194.0, 23 u. 23/1 22

Frankfurt/Main, 24.Mai 1944

Vertraulich!

An die Arbeitsämter
im Bezirk des Gauarbeitsamtes
Rhein-Main u. Kurhessen

Betr.: Schwangerschaftsunterbrechungen

Bei einem Besuch im Hilfskrankenhaus Pfaffenwald durch meinen Leitenden Arzt wurde seitens des russischen Arztes darüber Beschwerde geführt, dass ihm seitens der Arbeitsämter sowohl aus dem Bezirk des Gauarbeitsamtes Rhein-Main wie aus dem Bezirk des Gauarbeitsamtes Kurhessen schwangere Ostarbeiterinnen in grösseren Transporten zugeführt wurden (darunter Transporte mit 25 Frauen), die sich überwiegend bereits im vorgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft befanden.
Infolge Fehlens ausgiebiger ärztlicher Instrumente war es daher nicht immer möglich, alle Fälle sofort zu erledigen, weshalb den Arbeitsämtern eine Anzahl der Frauen wieder zurückgeschickt werden musste, da sie sonst sich unnütz im Lager Pfaffenwald mehrere Wochen hätten aufhalten müssen. Den betreffenden Frauen wurde durch den russischen Arzt eine schriftliche Mitteilung übergeben, zu welchem Termin sie wieder zur Durchführung der Unterbrechung nach Pfaffenwald kommen sollten. Dieser durch den russischen Arzt veranlaßten Lenkung der Schwangerschaftsunterbrechung wurde jedoch in den wenigsten Fällen Rechnung getragen, so dass anzunehmen ist, dass die betreffenden Frauen den Wiedereinberufungsbescheid vernichtet haben und anscheinend gewillt sind, entgegen ihrer früheren Bereitwilligkeit zur Durchführung der Unterbrechung, nunmehr das zu erwartende Kind bis zur Entbindung auszutragen.
Ich bitte um Rückfrage in den betreffenden Betrieben der in Betracht kommenden Ostarbeiterinnen festzustellen, aus welchen Gründen diese Frauen nicht mehr zum Hilfskrankenhaus Pfaffenwald kamen. Bei dieser Gelegenheit teile ich den Arbeitsämtern gleichzeitig mit, das Obstarbeiterinnen ihrem Betriebsführer gegenüber sich geäußert haben, das der russische Arzt die Durchführung der Schwangerschaftsunterbrechung von einer Zuwendung: wie Butter, Eier, Brot, Kartoffelln und Geld abhänngig gemacht habe. Diesen Erzählungen ist jedoch kein Glaube beizumessen, da auf Grund einer durch meinen Leitenden Arzt im Hilfskrankenhaus Pfaffenwald vorgenommenen Einvernahme des russischen Arztes sich die Haltlosigkeit der Anschuldigungen einwandfrei herausgestellt hat. Der russische Arzt wird durch den deutschen Lagerarzt Herrn Med. Rat Dr. Fulda, als ein äusserst gewissenhafter und tüchtiger, aus seinem Fach erfahrener Arzt geschildert. Mein Leitender Arzt kann diese Feststellung nur bestätigen, dahin ergänzend, dass es bisher trotz der ziemlich weit fortgeschrittenen Schwangerschaftsfälle noch in keinem einzigen Falle zu einer Gefährdung des Lebens einer Ostarbeiterin gekommen ist.
Um nun eine Lenkung in der Durchführung der Schwangerschaftunterbrechungsfällen zu erreichen, Ordne ich mit sofortiger Wirkung an, das ohne meine Ausdrückliche Genehmigung, Unterbrechungsfälle weder mach dem Hilfskrankenhaus Pfaffenwaald noch nach dem Hilfskrankenhaus im
Dulag Kelsterbach seitens der Arbeitsämter verbracht werden dürfen.

Bei Zuwiderhandlungen dieser Anordnung wird der betreffende Sachbearbeiter von mir für die entstehenden Kosten regresspflichtig gemacht. Allgemein zur Kenntnis der Arbeitsämter diene, dass Unterbrechungsfälle im 2. und 3. Monat innerhalb 4 Tagen in den beiden Hilfskrankenhäusern durchgeführt werden.
Im Lager Pfaffenwald wird eine Unterbrechung durch den deutschen Arzt aus medizinischen Gründen im 4 1/2 - 5. Monat der Schwangerschaft nicht durchgeführt, dagegen wieder Unterbrechungsfälle im 6. Monat unbedenklich.
Im Hilfskrankenhaus Kelsterbach werden allgemein nur Unterbrechungsfälle bis zum 5. Monat der Schwangerschaft durchgeführt. Die Arbeitsämter haben daher bei den Genehmigungsanträgen mir jeweils genauestens anzugeben, in welchem Monat der Schwangerschaft die betreffende Ostarbeiterinnen oder Polinnen sich befinden, damit meinerseits entsprechende Weisung, woselbst die Unterbrechung durchgeführt werden soll, erteilt wird.

Von vorstehender Verfügung ist Ihren beratenden und begutachtenden Ärzten sowie den nichtärztlichen Mitarbeitern gegen Abzeichnung Kenntnis zu geben.

Im Auftrage:
gez. Dr. Welcker
Leitender Arzt

Beglaubigt:
gez. Grass
BA.

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