Das Lied von Theresienstadt

Wir sind hier 40.000 Juden
Es warn viel mehr an diesem Ort
Und die wir nicht nach Polen verluden
Die trugen wir in Särgen fort.
Und in den Höfen der Kasernen
da stehn wir abends sehnsuchtsbang
Und blicken zu den ew’gen Sternen
Hinauf und fühlen erst den Zwang.
Die Freiheit wohnt im Sternenraume
Und nicht in dem Kasernenloch
Und nachts da flüstern wir im Traume:
Wie lange noch, wie lange noch?

Oh, merk Dir’s Bruder, Kamerad
Das Liedchen von Theresienstadt.

Wir kämpfen um das nackte Leben
Und jeder Tag bringt neue Not.
Den Stolz, den darf es hier nicht geben
Man bettelt um ein Stückchen Brot.
Früh’ hätt man das nicht machen dürfen
Die Suppe holen im Blechgeschirr
Und ohne Löffel gierig schlürfen.
Hier heißt es: friss oder krepier.
Und demaskiert zeigt sich das Elend
Im Antlitz jeder Kreatur
Verfehlend, quälend, manchmal stehlend
Denn hier regiert die Ich-Natur.

Oh, merk Dir’s Bruder, Kamerad
Das Liedchen von Theresienstadt.

Und wo wir wohnen, ist’s nicht helle
Nur Hoffnung leuchtet uns voran.
Hier hatten Pferde ihre Ställe

Dort schlafen heute 60 Mann.
Die Wangen eingefallen und mager
Von Sehnsucht wird man hier nicht fett
so liegt man nachts auf seinem Lager
Und träumt vom Bett im Kavalett.
Den Schmerz, den tapfer man verbissen
Bei Tag, wenn grell die Sonne scheint
Der hat uns oft das Herz zerrissen,
In Nächten, wenn man einsam weint.

Oh, merk Dir’s Bruder, Kamerad
Das Liedchen von Theresienstadt.

Du Stadt der Kinder und der Greise
Die einen unser Hoffnungskeim
Die anderen, sie entschlafen leise
und kehren zu den Vätern heim.

Text: Walter Lindenbaum

Walter Lindenbaum wurde 1943 mit seiner Familie in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Er wurde am 28. September 1944 nach Auschwitz überstellt und kam von dort mit einem Evakuierungstransport in das KZ Buchenwald, wo er am 20. Februar 1945 umkam. Seine Frau Rahel und seine Tochter Ruth wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet.