Dritter Teil 2. C. I. 4.

Suchomel

Der Angeklagte Suchomel förderte die Massentötungen dadurch direkt, dass er an der Rampe mehrfach von seiner Peitsche und auch von seiner Schusswaffe Gebrauch machte, um das Aussteigen und das Einordnen der Ankömmlinge in nach Geschlechtern getrennte Gruppen zu beschleunigen, dass er in mehreren Fällen Juden und Zigeuner zum Erschießen ins Lazarett führte, dass er das Auskleiden der weiblichen Ankömmlinge in der Frauenauskleidebaracke beaufsichtigte und ihnen den Weg in den Schlauch wies, indirekt damit, dass er Geld, Gold, Schmuck- und Wertsachen durch seine Goldjuden einsammeln und sortieren ließ und dass er mit Hilfe der ihm gleichfalls unterstellten Hofjuden zahlreiche handwerkliche Arbeiten in den Werkstätten und im Lagergelände ausführen ließ, die dem allgemeinen Lagerbetrieb und auch einem besseren Ablauf der Transportabfertigungen zugute kamen.

Der Angeklagte leistete seinen Tatbeitrag, obwohl er wusste, dass er hierdurch die Massentötung förderte.

Er handelte deshalb vorsätzlich.

Suchomel ist nicht als Mittäter, sondern als Gehilfe anzusehen. Man kann nicht davon ausgehen, dass sein Wille über die Leistung eines Unterstützungsbeitrages hinausging und dass er die Massentötungen als eigene wollte.

Obwohl er Mitglied des NSKK war und den Ideen des Nationalsozialismus nicht ablehnend gegenüberstand, so hatte er sich jedoch die nationalsozialistischen Grundsätze über die rassische Minderwertigkeit von Juden und Zigeunern nicht voll zu eigen gemacht.

Das zeigt deutlich der Umstand, dass er die ihm unterstellten Gold- und Hofjuden gut behandelte und dass er sogar zu anderen Arbeitsjuden, insbesondere zu den Deutsch sprechenden Juden aus der Tschechoslowakei, freundlich und entgegenkommend war. Wäre er ein Antisemit gewesen, dann hätte er sich mit Sicherheit anders aufgeführt. Auch hatte er bei den Massentötungen keine Tatherrschaft. Wollte er jemanden vor der Vergasung bewahren, so musste er hierzu die Einwilligung eines Vorgesetzten einholen.

So musste er sich an den Kommandanten Stangl wenden, bevor er die Zeugin Su. zur Arbeit in der Schneiderwerkstatt heraussuchen und so vor der Vergasung bewahren konnte.

Entscheidend ist aber seine innere Einstellung zu den Vorgängen in Treblinka.

Nach seinem Gesamtverhalten in Treblinka und seinem in der mehrmonatigen Hauptverhandlung zutage getretenen Persönlichkeits- und Charakterbild ist das Schwurgericht davon überzeugt, dass Suchomel nicht deshalb an der Vernichtungsaktion in Treblinka teilnahm, weil er sich den Haupttätern anschließen und mit ihnen auf eine Stufe stellen, sondern weil er infolge seiner Einstellung zu Befehl und Gehorsam eine fremde Tat weisungsgemäß fördern wollte. Er war ständig darum bemüht, seine beiden einander entgegengesetzten Absichten, einerseits das Streben um die Anerkennung seiner Vorgesetzten für die peinlich genaue und eifrige Befolgung der ihm übertragenen Aufgaben und andererseits seine Fürsorge um die ihm unterstellten Gold- und Hofjuden, auf einen Nenner zu bringen und sich damit das Wohlwollen seiner Vorgesetzten und der Häftlinge zu sichern. Dieses Bestreben, auf zwei Schultern zu tragen und es mit niemandem, wer es auch sei, zu verderben, ist typisch für die geistige Haltung Suchomels während seines Aufenthalts in Treblinka.
Zwischen den beiden gegensätzlichen Polen, nämlich seinen Vorgesetzten und den Häftlingen, hin- und herschwankend, war seine zu jedem Kompromiss bereite Denkungsweise jedoch unter keinen Umständen derart, dass er sich den Vernichtungswillen seiner Haupttäter zu eigen machen wollte.
Hätte er doch lieber nur die Aufsicht über arbeitende Juden geführt, als sich an der Vernichtung von Menschen zu beteiligen, wenn das ohne Einbusse seines Ansehens bei seinen Vorgesetzten möglich gewesen wäre.

Seine innere Einstellung zur Massenvernichtung kann man deshalb mit Sicherheit nicht als Täterwillen bezeichnen.

Suchomel hat in Treblinka an der Tötung von mindestens 300000 Menschen mitgewirkt. Er hat von Ende August 1942 bis Ende Oktober 1943, also rund 15 Monate dem SS-Sonderkommando Treblinka angehört. Selbst wenn man hiervon etwa 15 Wochen Heimaturlaub absetzt, so verbleiben immerhin noch mehr als 11 Monate, in denen Suchomel in Treblinka tätig gewesen ist, darunter auch mehrere Monate in der zweiten Hälfte des Jahres 1942, als besonders viele Transporte mit Juden aus Warschau und aus anderen polnischen Städten in Treblinka eintrafen und dort abgefertigt wurden.

Das Schwurgericht schätzt mithin die Zahl der Personen, an deren Tötung Suchomel im Rahmen der Massenvernichtung mitgewirkt hat, auf mindestens 300000. Hierunter fallen auch die im Abschnitt F.III. des Zweiten Teiles der Gründe aufgeführten Taten, denn auch in diesen Fällen hat Suchomel nicht aus eigenem Antrieb gehandelt, sondern nur Beihilfe zu einer fremden Tat geleistet.

Der Angeklagte Suchomel hat somit den Tatbestand der Beihilfe zum gemeinschaftlichen, aus niedrigen Beweggründen (Rassenhass), heimtückisch und grausam begangenen Mord in mindestens 300000 tateinheitlich miteinander verbundenen Fällen verwirklicht (211, 47, 49, 73 StGB).