C IV. 1.

Die Selektion von mindestens 5 fleckfieberkranken Häftlingen in der Baracke zur Erschießung im Lazarett

Im Winter 1942/1943 war infolge der fehlenden hygienischen Einrichtungen unter den Häftlingen des Totenlagers Fleckfieber ausgebrochen. Die Fleckfieberkranken wurden zwar gemeinsam in einem Teil der Unterkunftsbaracke und von den anderen Häftlingen getrennt untergebracht, aber sonst geschah nichts zur Behandlung ihrer Krankheit. Zwar gab es auch im oberen Lager einen jüdischen Arzt, der jedoch nicht viel für seine erkrankten Kameraden tun konnte, weil es an Medikamenten fehlte.
Der Angeklagte Matthes meldete dem Kommandanten Stangl das Auftreten des Fleckfiebers im oberen Lager, das von Stangl deshalb bald aufgesucht wurde. Gemeinsam mit Matthes betrat Stangl den Teil der Baracke, in dem sich die Fleckfieberkranken befanden, und ließ sich von dem jüdischen Arzt über den Zustand der Kranken informieren. Er suchte daraufhin mindestens 5, höchstens 8 Schwerkranke heraus und gab dem Angeklagten Matthes die Weisung, diese Ausgesuchten zur Erschießung ins Lazarett bringen zu lassen. Matthes war mit dieser Maßnahme vollauf einverstanden, da mit der Tötung dieser Fleckfieberkranken die Ansteckungsgefahr für andere Häftlinge verringert wurde, die er angesichts des zur damaligen Zeit herrschenden Hochbetriebes bei der Abfertigung als Arbeitskräfte dringend benötigte. Nachdem Stangl das obere Lager verlassen hatte, holte Matthes die 5 bis 8 Ausgesuchten aus der Baracke heraus und ließ sie sofort zum Lazarett ins untere Lager bringen, wo sie erschossen wurden.

Diese Feststellungen beruhen auf dem von Matthes in der Hauptverhandlung gemachten glaubhaften Geständnis. Auch der Angeklagte Münzberger hat diesen Vorfall bestätigt, wobei er darauf hinwies, dass er selbst am Abtransport der von Stangl ausgesuchten Häftlinge zum Lazarett nicht beteiligt gewesen sei.

Weitere Selektionen von Fleckfieberkranken durch Matthes hat die Hauptverhandlung nicht mit Sicherheit ergeben.
Der eidlich vernommene israelische Staatsangestellte Li. hat allerdings von zwei verschiedenartigen Selektionen durch Matthes berichtet, und zwar von der Aussonderung Kranker in der Baracke, die Matthes gemeinsam mit einem jüdischen Arzt vorgenommen haben soll, und von der Aussonderung nicht mehr voll Arbeitsfähiger, die Matthes während des Appells allein durchgeführt haben soll. Der Zeuge Li. bekundet weiter, dass man einen Teil dieser Aussortierten im Lazarett des unteren Lagers und einen anderen Teil direkt an den Leichengruben des oberen Lagers erschossen habe. Li. erinnert sich jedoch nicht mehr an nähere Einzelheiten, die eine Konkretisierung seiner allgemein gehaltenen Belastungen ermöglichen würden. Zur Feststellung bestimmter, genau abgrenzbarer Selektionen von Arbeitsjuden des oberen Lagers reicht seine Bekundung deshalb nicht aus.
Das gleiche gilt auch von der Aussage des uneidlich vernommenen Mechanikers Ep. aus Petach Tikwa in Israel. Er schildert zwei Aussortierungen von Typhuskranken, die Matthes jeweils beim Abendappell vorgenommen haben soll und die einmal zum Tod von 40 Häftlingen und ein andermal zum Tod von weniger als 40 Häftlingen geführt haben sollen, wobei jeweils ein Teil dieser Leute im oberen Lager und der andere Teil im Lazarett des unteren Lagers erschossen worden sein soll. Auch Ep., der während seiner Vernehmung stark erregt war, konnte hinsichtlich beider Aussortierungen keine näheren Einzelheiten angeben, so dass sich beide Tatkomplexe nicht voneinander abgrenzen und darüber hinaus auch nicht präzisieren lassen. Obwohl es durchaus wahrscheinlich ist, dass Matthes über die von ihm zugegebene Beteiligung an einer von Stangl vorgenommenen Selektion hinaus weitere Aussortierungen von kranken und nicht mehr voll arbeitsfähigen Häftlingen vorgenommen hat, kann man das nicht mit Sicherheit feststellen, da die Zeugen Li. und Ep. sich an nähere Einzelheiten der Selektionen nicht mehr erinnern.

Grundlage einer Verurteilung kann deshalb nur das von Matthes abgelegte Geständnis über seine Beteiligung an einer von Stangl durchgeführten Selektion von 5 bis 8 Männern sein. Etwaige weitere Selektionen durch Matthes sind angesichts des unklaren Beweisergebnisses mit einer für eine Verurteilung erforderlichen Genauigkeit nicht zu erfassen.