A VI. 9.

Erschießung eines jungen Häftlings im oberen Lager

Im Sommer 1943 befahl der Angeklagte Franz bei einer Inspektion des oberen Lagers einem jungen Häftling, sich nackt auszuziehen und sich auf Händen und Füssen niederzulassen. Nachdem der Häftling dies getan hatte, schoss der Angeklagte ihm eine Pistolenkugel durch den Kopf und tötete ihn hierdurch.

Der Grund für diese Tötung konnte in der Hauptverhandlung nicht geklärt werden.
Der Angeklagte bestreitet diesen Vorfall. Er wird jedoch durch die eidliche Aussage der jetzt 42 Jahre alten, in Bat Jam / Israel lebenden Büroangestellten Lew. überführt, die den Vorfall persönlich gesehen hat.
Die Zeugin Lew., die als eine der wenigen Frauen aus dem Vernichtungslager Treblinka entkommen konnte, hat auf das Schwurgericht einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Sie befand sich vom 15.Dezember 1942 bis 2.August 1943 in Treblinka, und zwar zunächst im unteren Lager und ab 5.März 1943 im oberen Lager. Sie verfügt über ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Mit einer geradezu verblüffenden Genauigkeit konnte sie eine zutreffende Beschreibung des im Lager tätigen deutschen Personals geben. Spontan hat sie von den Angeklagten, die am Tage der Vernehmung der Zeugin wie an zahlreichen anderen Verhandlungstagen ihre Plätze nach einem stets wechselnden Plan vertauschen mussten, acht wiedererkannt.
Nur Ru. und Lambert vermochte sie nicht zu identifizieren. Sie schilderte darüber hinaus die allgemeinen Lagerverhältnisse und die allgemeinen Ereignisse im Lager so präzise, dass einige der Angeklagten, so der Angeklagte Suchomel für das untere Lager und der Angeklagte H. für das obere Lager, ihre Angaben insoweit für 100%ig richtig bezeichneten. Zudem hat Frau Lew. auch einige Umstände bekundet, welche für die Angeklagten Stadie und H. nicht ungünstig sind, indem sie gesagt hat, Stadie habe sie dadurch vor der Vergasung gerettet, dass er sie für die Wäscherei ausgesucht habe, und H. habe sich mit den Frauen des oberen Lagers des öfteren freundlich unterhalten und an einige der Frauen Bonbons verteilt, wobei sie selbst allerdings nicht bedacht worden sei. Das hat der Angeklagte H. bestätigt. Sind die Schilderungen der Zeugin aber in allen diesen Punkten zutreffend, so ist nicht einzusehen, weshalb sie gerade in Bezug auf einzelne Taten des Angeklagten Franz die Unwahrheit gesagt haben soll, zumal sie selbst durch ihn kein einziges Mal misshandelt worden ist.

Unter diesen Umständen bestehen keine Bedenken, aufgrund der Aussage der Zeugin Lew. die Erschießung eines jungen Häftlings im oberen Lager durch Franz als erwiesen anzusehen.