A V. 8

Der Tod der Warschauer Jüdin Inka Salzwasser

Der Zeuge Sed., der damals beim sogenannten Desinfektionskommando beschäftigt war, das die Desinfizierung und Verpackung des abgeschnittenen Frauenhaares zu besorgen hatte, bemerkte bei der Abfertigung eines Transportes seine frühere Freundin Inka Salzwasser aus Warschau.
Er wollte sie retten. Der über 1.90 m große Zeuge, der von den Deutschen Langer genannt wurde, genoss bei den deutschen SS-Leuten wegen seiner Größe und wegen seiner sportlichen Erscheinung einige Sympathien. Er hoffte deshalb, seine frühere Freundin durch Fürsprache bei den deutschen SS-Leuten vor der Vergasung retten zu können. Er wandte sich zunächst an die in der Frauenauskleidebaracke tätigen jüdischen Frisöre mit der Bitte, seiner Freundin Inka Salzwasser nicht die Haare zu schneiden, da er sich für sie einsetzen wolle.
Dann ging er zum SS-Hauptscharführer Kttner und bat ihn, Inka Salzwasser zur Arbeit im unteren Lager auszusuchen. Kttner tobte zunächst, war aber nach längerer Fürbitte durch Sed. mit der Rettung von Inka Salzwasser einverstanden. Unter mehreren hundert Frauen suchte Sed. nach ihr, konnte sie jedoch nicht finden. Wie er hörte, befand sie sich bereits auf dem Wege zum Totenlager. Auf seine Bitte lief ein SS-Mann, dem die Häftlinge den Spitznamen Maus gegeben hatten, in Richtung zum Totenlager und brachte von dort die bereits nackte Inka Salzwasser zurück, die sich sogleich wieder anziehen konnte. Voller Freude über die gelungene Rettung ging Sed. mit der Salzwasser zu Kttner, um sie ihm vorzustellen. Da kam Franz hinzu und erkundigte sich danach, was hier los sei. Sed. sagte ihm, dass Kttner die Inka Salzwasser gerettet habe.

Da wurde Franz sehr böse und sagte im Hinblick auf Inka Salzwasser:
Weg mit der Scheisse! Auf seine Anordnung wurde Inka Salzwasser von einem dem Zeugen Sed. namentlich nicht mehr bekannten SS-Mann in den Schlauch gebracht und dort von ihm erschossen.

Der Angeklagte Franz bestreitet diese Tat und gibt an, den Zeugen aus Treblinka überhaupt nicht zu kennen, während die Angeklagten Suchomel und Miete einräumen, den Zeugen aus Treblinka zu kennen, wo er wegen seiner Körpergrösse aufgefallen sei. Der jetzt 51 Jahre alte Zeuge Sed. ist Assistent Direktor in einem großen Hotel in New York. Er hatte von dem bereits begonnenen Prozess gegen Franz und andere zum ersten Mal in der New York Times gelesen. Zunächst war er nicht bereit, sich als Zeuge zu melden, da er das grausige Geschehen in Treblinka, wo er seine Ehefrau, seine Eltern und seine Schwester verloren hat, vergessen wollte.
Als er sich bei einem New Yorker Anwalt deswegen Rat holte, ermahnte ihn dieser, sich um der Gerechtigkeit und der Geschichte willen doch als Zeuge zur Verfügung zu stellen. Erst nach langen inneren Kämpfen hat er sich bereit gefunden, nach Deutschland zu kommen, um in Düsseldorf auszusagen. Er hat auf das Schwurgericht wegen seiner ruhigen, präzisen und ausgewogenen Schilderung der Verhältnisse in Treblinka einen guten Eindruck gemacht. Er hat sich nicht darauf beschränkt, nur belastende Dinge über die Angeklagten zu bekunden, sondern er ist bestrebt gewesen, für die Angeklagten Suchomel und Stadie auch günstige Umstände bekanntzugeben.
Die Angeklagten Franz, Stadie, Suchomel und Mentz hat er prompt wiedererkannt, Franz auch auf den ihm vorgelegten drei Fotos. Trotz des Verlustes seiner Angehörigen in Treblinka hat er sich in keinem Punkte dazu hinreißen lassen, in seinen Schilderungen zu übertreiben oder nur Gehörtes als selbst Erlebtes auszugeben. Er zählt mit zu den zuverlässigsten Zeugen dieses Verfahrens. Das Schwurgericht hatte daher keinerlei Bedenken, ihm in vollem Umfange Glauben zu schenken.