Rowno

Ghetto

Gebiet
Reichskommissariat Ukraine, Generalbezirk Wolhynien-Podolien

Eröffnung

Liquidierung
Nacht vom 13. zum 14. Juli

Deportationen

Einsatz der Häftlinge bei

Art der Arbeit

Bemerkungen


Aussiedlung

In der Nacht vom 13. zum 14. Juli wurden in Rowno alle Insassen des Ghettos, in dem sich noch ungefähr 5000 Juden befanden, liquidiert.
Kurz nach 22 Uhr wurde das Ghetto durch ein großes SS-Aufgebot und einer etwa 3-fachen Anzahl ukrainischer Miliz umstellt und daraufhin die im und um das Ghetto errichteten elektrischen Bogenlampen eingeschaltet. SS- und Miliztrupps von je 4-6 Personen drangen nun in die Häuser ein oder versuchten einzudringen. Wo die Türen und Fenster verschlossen waren und die Hausbewohner auf Rufen und Klopfen nicht öffneten, schlugen die SS- und Milizleute die Fenster ein, brachen die Türen mit Balken und Brecheisen auf und drangen in die Wohnungen ein. Wie die Bewohner gingen und standen, ob sie bekleidet waren oder zu Bett lagen, so wurden sie auf die Straße getrieben. Da sich die Juden in den meisten Fällen weigerten und wehrten, aus den Wohnungen zu gehen, legten die SS- und Milizleute Gewalt an. Mit Peitschenschlägen, Fußtritten und Kolbenschlägen erreichten sie schließlich erreichten sie schließlich, daß die Wohnungen geräumt wurden. Das Austreiben aus den Häusern ging in einer derartigen Hast vor sich, daß die kleinen Kinder, die im Bett lagen, in einigen Fällen zurückgelassen wurden. Auf der Straße jammerten und schrien die Frauen nach ihren Kindern, Kinder nach ihren Eltern. Das hinderte die SS nicht, die Menschen nun im Laufschritt unter Schlägen über die Straßen zu jagen, bis sie zu dem bereitstehenden Güterzug gelangten. Waggon auf Waggon füllte sich, unaufhörlich ertönte das Geschrei der Frauen und Kinder, das Klatschen der Peitschen und die Gewehrschüsse. Da sich einzelne Familien oder Gruppen in besonders guten Häusern verbarrikadiert hatten und auch die Türen mittels Brecheisen und Balken nicht aufzubringen waren, sprengte man diese Handgranaten auf. Da das Ghetto dicht am Bahnkörper von Rowno lag, versuchten junge Leute über die Schienenstränge und durch einen kleinen Fluß aus dem Bereich des Ghettos zu entkommen.
Da dieses Gelände außerhalb der elektrischen Beleuchtung lag, erhellte man dieses durch Leuchtraketen. Während der ganzen Nacht zogen über die erleuchteten Straßen die geprügelten, gejagten und verwundeten Menschen. Frauen trugen in ihren Armen tote Kinder, Kinder schleppten und schleiften an Armen und Beinen ihre toten Eltern über die Straßen zum Zuge. Immer wieder hallten durch das Ghettoviertel die Rufe „Aufmachen! Aufmachen!“

Quelle: Friedrich Gräbe


Augenzeugenbericht

Von der Straße vor dem Tore kam das gewohnte Gepolter der Mörder mit lautem Rufen und Stampfen eisenbeschlagener Stiefel. Scheinwerfer bestrahlten den Hof. Ich rannte in den offenen Torweg und dann eine Treppe hinauf. Unter mir streifte ein Scheinwerfer den Torweg, dann die Treppe und hielt dort an. Ich klomm höher. Genagelte Stiefel waren schon auf der Treppe zu hören.
Ich gelangte auf den Boden des Hauses und tastete mich im Dunkeln weiter. Das Kopfende eines zerbrochenen Bettes lehnte gegen die Wand. Ich kroch dahinter und stieß auf einen menschlichen Körper. Er war warm und zitterte heftig.
Wer immer es war, er war lebend und genauso voll Furcht wie ich selber. Der Raum war nicht groß genug für zwei, aber es war zu spät, umzukehren und woanders Platz zu suchen. Selbst wenn ich gewollt hätte, es wäre nicht gegangen, denn der andere umklammerte mich in krampfhafter Angst. Es war eine Frau. Sie atmete schwer und bemühte sich, ihr Keuchen zu dämpfen Wir pressten uns gegen die Wand. Sie schmiegte sich dicht an mich und grub ihr Kinn in meine Schulter.
Ihr Herz schlug wild. Sie sagte kein Wort. Ich hörte nur ihren schweren, halberstickten Atem.
Mehrmals kamen Polizisten auf den Speicher und ließen ihre Taschenlampen umherleuchten. Geduckt, zitternd erwarteten wir jeden Moment, daß ein Lichtstrahl auf uns fallen würde. Jedes mal wenn wir die schlurfenden Schritte auf der Treppe vernahmen, festigte die Frau ihren Griff um mich. Furcht durchrieselte mich bei dem Gedanken, daß sie einen Herzschlag bekommen und mit ihren Arm fest um mich geschlungen sterben könnte.
Und wieder kamen die verdammten Stiefel näher. „Hier ist niemand. Wir waren schon hier“, rief ihnen einer zu. Die Schritte verhalten. Grabesstille umfing uns. Für den Augenblick wenigstens waren wir gerettet.

Quelle: Bernhard Goldstein


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